Montag, 30. November 2020

Corona-Sport: Der Seuchen-Zirkus ist in der Stadt

Die edelste Aufgabe der Exekutive ist der Eigenschutz.

Je härter die Corona-Regeln und je länger sie verhängt aufrechterhalten werden müssen, desto wichtiger wird der gesellschaftliche Ausgleich. Fußball, Biathlon und der "Tatort", sie müssen ebenso wie die Schulen und Kindergärten geöffnet bleiben, um einen Rest Normalität zu bewahren. Ohne Brot und Spiele, dem alten Erfolgsrezept der römischen Kaiser, würden die Durchhalteparolen der Kanzlerin schon längst nicht mehr auf fruchtbaren Boden fallen. Und auch der Bundespräsident, ein seit dem Ausbruch der Pandemie zur Unsichtbarkeit verblasster früherer Sozialdemokrat, könnte nicht mehr hoffen, mit Mutzusprechen und Zuversichtausstrahlen durch die Arbeitswoche zu kommen.  

Schwer bepackt mit Viruslast

Dazu brauch es den bizarrer Seuchen-Zirkus, der in diesen Monaten durch Europa zieht, als sei die Frage, wer den Weltcup, die EM-Quali, das Formel-1-Rennen von Bahrain oder das Revierderby gewinnt, von fundamentaler Bedeutung im Wettlauf der Welt mit der Übersterblichkeit. Wunder geschehen hier mit großer Beiläufigkeit. Während die Politik an die Bürger appelliert, sich nur ja nicht mit mehr als vier Blutsverwandten aus höchstens zwei Haushalten möglichst bei offenem Fenster oder besser noch maskiert auf einem Supermarktparkplatz zu treffen, gondeln junge Spitzensportler Tag für Tag und Woche für Woche schwer bepackt mit Viruslast von Stadt zu Stadt.

Das alles ist freilich zur Unterhaltung gedacht und deshalb nicht nur notwendig, sondern auch zulässig. Wunderheilungen geschehen hier häufiger als im Neuen Testament: Wer eben noch mit dem Corona-Tod rang, der ihn zwang, ganze drei Länderspiele auszusetzen, steht nun schon wieder auf dem Platz, womöglich  noch ohne Geschmackssinn, aber auf jeden Fall  mit genug Luft für 90 Minuten. The show must go on, denn erst wenn alle infiziert sind, kann sich niemand mehr anstecken. 

Der Kriegssport des Abendlandes

Beim Biathlon, einer kriegerischen Laufsportart, in der deutsche Bundeswehrsportler mit Frankreich, Schweden und Norwegen allwinterlich um einen sogenannten "Weltcup" kämpfen, obwohl weder Starter aus Süd- oder Nordamerika, Asien, Afrika oder Ozeanien am Start sind, reisten zum Startwettbewerb gleich ganze Seuchen-Kommandos an. Teammitglieder aus Russland, Lettland und Moldau wurden positiv getestet, ebenso Mitreisende aus den Mannschaften Frankreichs und Rumäniens.  mit. Die Betroffenen wurden isoliert worden, heißt es, über das weitere Vorgehen würden die finnischen Gesundheitsbehörden entscheiden.

Auch die Sportblase, an der die Seuche abprallen sollte wie ein Fernschuss am Torgebälk, ist zum großen Erstaunen aller nicht komplett dicht. Doch die gesellschaftliche Funktion des Fußballs in freudloser Zeit ohne sonstige Unterhaltung, ohne Kino, Konzert und Kneipe, ist zu wichtig, um solche Kleinigkeiten  entscheiden zu lassen. Wo in der Pandemie Profisport betrieben wird, rollt schwere Viruslast durch die Lande. Die Politik aber duldet das Spektakel, denn Sport muss ablenken, Sport muss Ausgleich schaffen, Sport muss, wenn auch vor leeren Rängen, Normalität simulieren.

Ersatzkriege in Stadien

Hauptsache, der Ball rollt und es bleiben ein paar Aktive übrig, die noch eine Mannschaft bilden können. "Da bekommt der durchsedierte Kickerfan mit Dauerkarte nicht nur feuchte Augen, sondern auch nasse Höschen", quengelt ein Kommentäter beim Bolzkultur-Blog PPQ.li, der die Alternative für Deutschland fürchtet. Ohne Ersatzkriege in den Stadien würden die Zuschauer wohl alle wieder begeistert und "vom Endsieg gröhlend" (Zitat) auf die Schlachtfelder stürmen, "um das Wichtigste ihrer Welt zu unterstützen: das Runde in das Eckige schießen". 

Ein "Ventilspielchen" zweifellos, damit die zu Hausarrest und Maulkorb Maske verurteilte Volksmasse "nicht komplett durchdreht". Aber wichtig eben wirklich in der gesellschaftlichen Funktion, den Menschen die Zeit zu vertreiben beim "weiteren Durchhalten im Kampf gegen das Virus" (Merkel). Derweil der Einzelne als Teil einer großen Krisengemeinschaft - andere CDU-Politiker nannten sie Schicksalsgemeinschaft -   durch Folg- und Fügsamkeit mithilft, "gemeinsam stärker zu sein als das Virus", müssen die funktionabelen Reste der Unterhaltungsindustrie als Bordkapelle spielen, bis der Endsieg errungen ist. 

Fußball, Weltcup, Weihnachten und dann irgendwann wirksame Vaccine, das sind die Hoffnungsträger einer Pandemie-Politik, die sich recht früh in den Fallstricken der eigenen Fehleinschätzungen und Versäumnisse, der nachholenden Reparaturbemühungen und viel zu frühen Siegesgewissheit verheddert hat. Mittlerweile ist jeder Überblick verlorengegangen, mittlerweile sind die Zeiträume, die gemeinsame Regelungsbeschlüsse überleben, nicht mehr in Stunden, sondern in Minuten zu messen. Politiker, die sich einen Sommer lang als die besten Pandemiebekämpfer der Welt feiern lassen hatten, vertrauen jetzt auf die Verlässlichheit der Vergesslichkeit: Zehn Monate bis zur Bundestagswahl sind Zeit genug, die Geschichte noch einmal neu zu schreiben und dann wieder - gegen jede Statistik - gut dazustehen.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Herrlichst von Bernd Zeller: Meine Wottsäpp-Gemeinde bis nach Engeland, Skandinavien und Böhmen wurde damit beglückt.