Samstag, 26. Dezember 2020

SZ: Merkels Schwäche zeigt sich immer stärker

Auch das als "Merkel-Kurve" berühmt gewordene Schreckensszenario von Angela Merkel (orange) hat sich als verharmlosende Schönwetter-Projektion herausgestellt.

Es kommt ganz, ganz selten vor und wenn dann eigentlich nur, wenn alle mitmachen.  Deutsche Leitmeiden, im Normalfall nicht nur in Krisensituationen, in diesen aber ganz besonders, eingeschworen auf die immer bessere Vermittlung und Erklärung von Regierungsentscheidungen hinunter ins Volk, scheren allenfalls in Ausnahmefällen aus einer inzwischen zur schönen Tradition gewordenen Einheitsfront aus,  für die ein Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel gleichbedeutend mit dem Ende der Welt ist. Dennoch geschieht es, "nach ihr die Finsternis" analysiert das größte Nachrichtenmagazin dann. Und bei den Treuesten der Treuen fließen heiße Tränen der Trauer.  

Feuerwehrwagen in der Mitternachtsmette

Wie ein grober Etikettenverstoß kommt da ein Text daher, mit dem die eigentlich stets zuverlässige "Süddeutsche Zeitung ("Merkel - Ein Licht am Ende des Tunnels""Kniebeugen: Merkels wärmender Vorschlag", "Merkel und die Kunst des Machbaren") mitten in die Weihnachtszeit platzte wie ein Feuerwehrwagen in die Mitternachtsmette. "Die Pandemie außer Kontrolle, bei den Brexit-Gesprächen in der Defensive", fasst Autor Alexander Mühlauer die Situation in seiner umfassenden Analyse zusammen. Über Deutschland braue sich ein Sturm zusammen - und mittendrin stehe "eine orientierungslose Kanzlerin". 

Harter Stoff, schwere Geschütze, denn der streng mit dem Regierungshandeln der letzten Monate ins Gericht gehende Text lässt kaum Interpretationsspielraum. "Angela Merkel ist einfach unverbesserlich", heißt es da. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie mache die Kanzlerin Versprechen, die sie nicht halten könne. "Im Sommer behauptete sie, das Weihnachtsfest könne wie gewohnt stattfinden. Nun, nachdem sie Familien im ganzen Land verboten hat, sich an Heiligabend zu treffen, tut sie so, als ob schon zu Ostern wieder alles gut sein werde."

Eine lange uneinsichtige Optimistin

Man könne Merkel eine uneinsichtige Optimistin nennen; man könne aber auch sagen, dass sie mit ihrem Drang, die Lage immer schöner darzustellen, als sie ist, ihre Landsleute in einem Ausmaß verunsichert, dass der Vertrauensverlust in die Regierung gewaltig sei. Kein "Wir schaffen das" diesmal, stattdessen Unkenrufe, die sich als zu leise herausstellten (Grafik oben). Und ein Wettkampf mit den um die Kanzlernachfolge zur Unzeit schaulaufenden Ministerpräsidenten, der nie entschieden wurde. 

Die Methode Merkel, die Dinge laufen zu lassen, bis sie sich von selbst entscheiden, scheiterte in der Corona-Krise krachend: Angela Merkel war die letzte Politikerin weltweit, die öffentlich eine Symbolmaske aufsetzte um zu signalisieren, dass auch sie die Seuche nun für schlimm halte. Sie ließ den überforderten Gesundheitsminister Jens Spahn wochenlang fake news über eine angeblich gar nicht so große Bedrohung, eine gute Vorbereitung und unnötige Schutzmaßnahme verbreiten. Und als die EU sich die Zulassung des Impfstoffes auf den Tisch zog, machte sie trotz dadurch drohender Verzögerungen, die bei den aktuellen Sterberaten wenigstens 100.000 Europäer das Leben kosten werden, gute Miene zum mählichen Gemeinschaftsspiel.

Nur ja nicht keine Gemeinsamkeit demonstrieren

Nein, Angela Merkel kann nichts dafür, dass eine neue Corona-Mutation in Großbritannien aufgetaucht ist. Aber sie ist ist verantwortlich dafür, dass in den USA und Großbritannien, aber auch in anderen Staaten rund um die Welt bereits mehr als eine Million Menschen geimpft worden waren, noch ehe die erste Impfstoffdosis in Deutschland überhaupt ausgeliefert wurde. Von Berlin aus gesehen schien der Ärger größer, wenn  wie im Frühjahr wieder jeder EU-Mitgliedsstaat seine nationale Strategie verfolgte - und so begab sich das politische Berlin freiwillig in die Hände Brüssels. 

Hände, die Impfstoff nicht in ausreichender Menge dort bestellten, wo er zu haben war. Sondern aus Rücksicht auf die deutsche Firma Curevac, an der sich der Bund gerade erst als Anteilseigner beteiligt hatte, und mit Blick nach Paris und die französische Firma Sanofi auch dort, wo noch nicht einmal Massentests zur Wirksamkeit begonnen hatten. Da man nach früheren Ankündigungen, man wolle auch für den armen Rest der Welt genug Impfstoff übriglassen, nur doppelt und nicht dreifach bestellt hat, reicht es nun hinten und vorn nicht.

Dabei, so schreibt die Süddeutsche Zeitung, wäre "neben den Impfungen das Gebot der Stunde, Treffen an Weihnachten im gesamten Land zu untersagen". Doch obwohl sich die Lage nach der Asurufung des "harten Lockdown" weiter verschärft hat, zögert Berlin. Immer noch sind Treffen von fünf Personen einer Blutlinie gestattet. Näheres sollen regionale Behörden regeln.

Botschaften aus dem Kanzlerbunker

Direkt einzugreifen, davor scheue sich Angela Merkel, müsste sie doch eine weitere Kehrtwende vollziehen, die einmal mehr ihr Unvermögen offenbaren, besonnen und ernsthaft zu agieren. Hatte die Rekordkanzlerin zu Beginn der Krise noch regelmäßig versucht, mit Fernsehansprachen auf die Bürgerinnen und Bürger einzugehen, verzichtete sie schon wenig später darauf. Botschaften, die sie für notwendig hält, verteilt sie über ihren Youtube-Kanal an die angeschlossenen Medien. Da Merkel im Unterschied etwa zu Macron, Putin, Trump oder Johnson nie versucht hatte, sich selbst vor Ort auf Intensivstationen, in Altenheimen oder Schulen ein Bild von der Lage zu machen, fiel zumindest nicht auf, dass sie das auch später nicht tat.

Nach zehn Monaten Corona steckt Deutschland mitten in einem Albtraum-Szenario - und ist auf sich allein gestellt. Die übrigen EU-Partner sind mit sich selbst beschäftigt, von dort wird keine Hilfe kommen. Daheim aber scheren sich die Leute zunehmend weniger um die zunehmend absurderen Vorschriften, weil die Regierung dies oft auch nicht tut. An Merkels Aufforderung, zu Hause zu bleiben, halten sich viele schlichtweg nicht - auch deshalb nicht, weil Politiker immer wieder beweisen haben, dass sie es selbst nicht so ernst nehmen. Man erinnere sich nur an vielverbreitete Bilder aus der Bundestagskantine, auf denen drei Parlamentarier die Köpfe zusammenstecken.

Kein Einfluss auf Paris

Auch auf die Entscheidung von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, den Verkehr über den Ärmelkanal wegen der neuen Virusmutation weitgehend zu stoppen, hatte Angela Merkel keinen Einfluss.  Nachdem die Niederlande als erste eigenständig entschieden hatten, ihre Grenzen zu Großbritannien zuzumachen, blieb Deutschland nur noch der Nachtrab: Die Kanzlerin, die früher selbstbewusst behauptet hatte, es sei vollkommen unmöglich, die deutschen Grenzen zu schließen, veranlasste genau das.

Ein Zeichen der Schwäche. Besonders deutlich wird das jetzt, wenige Tage vor dem Brexit. In den Verhandlungen mit London findet Deutschland überhaupt nicht statt, Angela Merkel hat alle Entscheidungen nach Brüssel delegiert, obwohl sie weiß, dass es Europa immer nur gut ging, wenn Deutschland und Großbritannien ein gutes Verhältnis hatten. Doch Merkel befindet sich in einer äußerst schlechten Position: Seit Beginn der Gespräche saß die EU qua ihrer Wirtschaftskraft am längeren Hebel. Doch jetzt, in den letzten Zügen, zeigt sich, dass nicht der längere Hebel entscheidet, sondern vielleicht allein der Wille, Schmerzen zu ertragen.

Es kommt jetzt darauf an, nicht die Nerven zu verlieren, sondern das Beste draus zu machen. Angela Merkel mag in diesen Weihnachtstagen hoffen, dass das Schlimmste schon in zwei, drei Wochen hinter ihr liegt. Ändert sich die Richtung der Ansteckungsstatistiken und kommt irgendwann auch die Impfwelle in Gang, wäre noch genug Zeit, bis zur Bundestagswahl im Herbst das eigene Erbe zu ordnen. So zumindest steht es in einem Best-Case-Szenario der Beraterkreises, wie im politischen Berlin kolportiert wird. Ab März oder April könnte dann wieder vom besten Deutschland aller Zeiten die Rede sein, die Wirtschaftsdaten gingen zwangsläufig nach oben und die Novemberhilfen würden rasch ausgezahlt. 

Alles andere wäre, wie die Süddeutsche Zeitung zitiert, "ein Scheitern von Staatskunst."


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