Samstag, 16. Februar 2019

SPD-Ostprogramm: Punkt, Punkt, Komma, Strich

Nach knapp drei Jahrzehnten intensiven Nachdenkens hat die SPD jetzt einen Plan, um den Osten in eine blühende Landschaft zu verwandeln.

Schon seit Jahren geht der Trend weg vom klassischen Zehn-Punkte-Plan, wie ihn Helmut Kohl einst für die Deutsche Einheit schrieb. Und hin zu irgendwie spannenderen Zahlen: Pegida versuchte es mit 17, die SPD auch schon mal mit fünf, aber da ging es auch nur um die "Zustromkrise" (Merkel). Für Ostdeutschland sind es dann doch zwölf Anstriche geworden, die die deutsche Sozialdemokratie angesichts anstehender Strafwahlen in mehreren abgehängten Bundesländern in einen "Beschluss des SPD-Parteivorstands" mit dem Titel "Jetzt ist unsere Zeit: Aufarbeitung, Anerkennung und Aufbruch" gepackt hat.

Ein Dokument der Verzweiflung


Es ist inhaltlich natürlich ein Dokument der Verzweiflung geworden, das die Parteiführung da vorgelegt hat, aber in der Form auch Beweis der Bildungsmisere, die mittlerweile bis in die Kernelite der Bundespolitik reicht. Sieben Kommafehler und eine irrtümliche Großschreibung zeigen, dass die konsequente Verwendung der automatischen Rechtschreibprüfung zwar grobe Rechtschreibschnitzer vermeiden helfen kann. Dadurch aber nur umso mehr auffällt, wie dünn die Decke ist, wenn es darum geht, Grundschulinhalte ohne maschinelle Hilfe anzuwenden.

Zu beachten ist dabei, dass der Vorstand der SPD zwölf Mitglieder hat, die den Ostdeutschland-Beschluss allesamt gelesen haben dürften. Zwölf Chancen, die viereinhalb Fehler in den 1.100 Worten zu finden - der Führung der ältesten deutschen Partei aber gelingt das auch kollektiv nicht. Und das, obwohl neben den zwölf Lesern aus dem Vorstand selbst wenigstens weitere 24 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Papier vor der Veröffentlichung studiert haben dürften.

Neuer Aufbruch für Ostdeutschland

Man ehrt, wen man überzeugen will. "Die Menschen in Ostdeutschland haben dank gesamtdeutscher Solidarität eine große Leistung vollbracht. Darauf können sie stolz sein. Die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen, ja es besteht mancherorts akuter Fachkräftebedarf. Junge Leute finden heute wieder Perspektiven in ihrer Heimat. Die ostdeutsche Wirtschaft steht auf einem deutlich stabileren Grund, als es noch vor wenigen Jahren zu erwarten war. Es haben sich international wettbewerbsfähige Unternehmen entwickelt. Gleichzeitig hatte der massive Umbruch wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Folgen, die bis heute wirken. Die meisten politischen, gesellschaftlichen und sozialen Zukunftsfragen stellen sich in ganz Deutschland, treten im Osten aber verstärkt auf oder sind anders gelagert. Diese wollen wir angehen mit konkreten Vorschlägen", führt die Parteispitze in einem Stakkato aus Lobeshymnen auf. Nun verstehe man diesen Stand endlich "als große Chance über deutsch-deutsche Geschichte miteinander ins Gespräch zu kommen, einander zuzuhören und sich gegenseitig Respekt zu zollen."

Zeit wurde es. Aber allerhöchste. Das sieht auch die SPD so. "Es ist an der Zeit mit Missverständnissen zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen aufzuräumen, und wir brauchen Gespräche über die vielen Brüche, die Familien in den 90er Jahren erlebt haben: Ehrlich und einander zugewand", heißt es im Ost-Papier-

Aber hier geht es nicht um die Form, um kleinliches Aufzählen von Punkt, Punkt, Komma und Strich. Die SPD, vor 29 Jahren entschieden gegen die deutsche Einheit, hat lange nachgedacht und nun Nägel mit Köpfen gemacht. "Wir wollen die Erinnerung an 30 Jahre friedliche Revolution und Mauerfall mit einem neuen Aufbruch für Ostdeutschland verbinden", verkündet sie und reklamiert einen "guten Anteil daran", dass der Osten heute steht, wo er liegt: Ganz hinten, ganz unten, ein kolonialisierter Landstrich, dessen Geschicke von Zugereisten gelenkt werden.

Die SPD ist stolz darauf. "Heute übernehmen wir in allen ostdeutschen Bundesländern als Regierungsparteien Verantwortung und gestalten mit und leisten unseren Beitrag die soziale Einheit zu vollenden" (Grammatik im Original), schreibt der Parteivorstand und wundert sich: "Dennoch hat die SPD vielerorts Vertrauen verloren."


Das 12-Punkte-Programm


30 Jahre hat es beinahe gedauert, aber nun macht die Partei, die 1990 scharf gegen die Einheit war, ernst. "Unser Ziel ist, endlich gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West zu erreichen", erklärt sich die SPD mit dem Grundgesetz einverstanden. Aber noch immer gebe es erhebliche Unterschiede zwischen den Regionen, wie zum Beispiel unterschiedliche Einkommen und Beschäftigungsmöglichkeiten oder auch eklatante Unterschiede bei der Sicherung von Mobilität und beim Zugang zu Angeboten der Daseinsvorsorge. Deshalb solle es nach dem Auslaufen des Solidarpaktes II einen neuen Pakt für strukturschwache Regionen in Ost und West geben. "Ziel ist es die Wirtschaftskraft weiter zu stärken und gute Arbeit zu sichern."

Hehre Ziele


Nicht Neues also unter der sozialdemokratischen Sonne. Aber die SPD ist zuversichtlich trotz fast dreier Jahrzehnte ohne Erfolg. "Wir schaffen die Voraussetzungen, um den Osten Deutschlands zur Innovationsschmiede zu machen", verspricht die Führung. Nach der Phase der verlängerten Werkbänke müsse der Osten zum herausgehobenen Produktions- und Entwicklungsstandort werden.
"Die nötigen Fördermittel für die Modernisierung der ostdeutschen Wirtschaft müssen gewährleistet werden. Dazu wollen wir die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" zu einem gesamtdeutschen Fördersystem weiterentwickeln, das die regionalen Strukturbedingungen des Ostens berücksichtigt. Und wir setzen uns für gut ausgestattete EU-Strukturfonds mit realistischen Kofinanzierungssätzen auch in der neuen Förderperiode ein. Die bestehende Forschungs- und Entwicklungslandschaft muss durch die Ansiedlung außeruniversitärer Forschungseinrichtungen vervollständigt werden."

 30 Jahre nach dem Mauerfall sei es auch nicht mehr akzeptabel, dass die meisten Ostdeutschen länger arbeiteten als ihre Kolleginnen und Kollegen im Westen, aber im Schnitt 15 Prozent weniger bekommen. "Wir brauchen die Angleichung der Löhne in Ost und West", schreibt die SPD, und "wir appellieren an die Sozialpartner die Tarifbindung im Osten zu steigern und gleiche Lohnabschlüsse in Ost und West durchzusetzen." Das gelte besonders für die Pflege, wo es endlich einen einheitlichen Pflegemindestlohn brauche und einen bundesweiten Tarifvertrag. "Mit unserer Förderpolitik unterstützen wir die Ausweitung der Tarifbindung. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen wollen wir wo nötig erleichtern." Fehlt nur: Sobald wir mal mitregieren, setzen wir das alles durch!

Anpacken in Bürokratensprache


Das will man nun ändern, "indem wir genau hinschauen und Lösungen anbieten" und diese wolle man "angehen mit konkreten Vorschlägen". Es folgen dann besagte zwölf Punkte, die so konkret sind wie ein Wackelpudding hart: Einen "neuen Pakt für strukturschwache Regionen in Ost und West", schlägt die SPD vor, zudem will sie "die Voraussetzungen schaffen, um den Osten Deutschlands zur Innovationsschmiede zu machen". Dazu setzte sie sich "für gut ausgestattete EU-Strukturfonds mit realistischen Kofinanzierungssätzen auch in der neuen Förderperiode ein", denn "die bestehende Forschungs- und Entwicklungslandschaft muss durch die Ansiedlung außeruniversitärer Forschungseinrichtungen vervollständigt werden".

Das mit der Industrieansiedlung hat ja nun drei Jahrzehnte lang nicht geklappt, deshalb hat man diese Hoffnung gleich fahren lassen. Stattdessen sollen es "neu geschaffene Einrichtungen des Bundes" richten, die die ehemalige Arbeiterpartei "in Ostdeutschland angesiedelt" sehen will.

Ähnlich kühn klingt die Idee, "eine hundertprozentige Versorgung mit Mobilfunk und schnellem Internet bis an jede Milchkanne" sicherzustellen - und zwar über eine "starke öffentliche Kontrolle der Netze und Regulationsmechanismen bis hin zu einem Rechtsanspruch auf eine Mindestqualität der digitalen Infrastruktur". Der Staat müsse die Vorgaben machen und nicht der Markt, dasselbe gelte auch für  die Löhne im Osten, die endlich an die im Westen angeglichen werden müssten. Die deutsche Sozialdemokratie ist hier knallhart: "Wir appellieren an die Sozialpartner die Tarifbindung im Osten zu steigern und gleiche Lohnabschlüsse in Ost und West durchzusetzen" (Grammatik im Original).

Ein Drittel Mogelpackung


Neben der Anhebung des Mindestlohnes auf perspektivisch 12 Euro, einer Mindestausbildungsvergütung und einer "Stärkung des finanziellen Spielraums der Kommunen" enthält der vorgebliche Ostplan mit der Idee der "Grundrente, die spürbar über der Grundsicherung liegt", der Forderung nach einer Verlängerung der einst von der SPD gekürzten Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes (ALG 1) und Verweisen auf das „Starke-Familien-“ und das "Gute-KiTa"-Gesetz
vier weitere Punkte, die nichts mit dem Osten zu tun haben.

Dafür aber ist der aus dem Wahlprogramm zur letzten Bundestagswahl abgeschriebene Vorschlag eines "Gerechtigkeitsfonds für jene Menschen, die durch die Rentenüberleitung der Nachwendezeit Nachteile erlitten haben" originell: Die Menschen, die davon profitieren werden, sind inzwischen um die 80 Jahre alt, kommt der im Koalitionsvertrag verabredete Härtefallfonds noch diese Legislaturperiode, könnten sogar noch einige tausend Rentenbezieher ein paar Euro abbekommen.

Wichtig sind nur die Zeichen


Wichtig sind solche Symbole, vor allem der SPD, die im Osten vor einer historischen Abstrafung durch die Wähler steht. Zum Jahrestag der Deutschen Einheit will die verzweifelte Parteispitze deshalb ein "Ost-West-Kulturzentrum in einer mittelgroßen Stadt in Ostdeutschland" errichten, das "ein Zeichen setzen soll für einen gesamtgesellschaftlichen Dialog" - mit anderen Worten: Belegen soll, dass die SPD sich stets unglaublich für den Osten interessiert hat.

Der neue Leuchtturm des Dialogs ist als "Forschungs-, Veranstaltungs- und Kulturzentrum" gedacht, in dem der SPD-Vorstand einen "offenen Ort der ständigen Begegnung, der Erinnerung, des Nachdenkens und der Debatte zu allen Fragen der zukünftigen Entwicklung Ostdeutschlands innerhalb der Bundesrepublik und im Kontext Europas, vor allem auch Osteuropas" sieht. Es ist danach fünf vor Punkt 12. Der kommt ein bisschen lieblos daher und verspricht, "viele gute Initiativen, Vereine und Projekte die die Demokratie stärken" (Grammatik im Original) "dauerhaft auf eine gesetzliche Grundlage" stellen zu wollen.

Derzeit sind die wohl alle illegal.

4 Kommentare:

suedwestfunk hat gesagt…

Dem Autor ist zu danken, dass er sich der spaßbefreiten Lektüre unterzogen hat. Vermutlich ist ihm seine langjährige Erfahrung mit technischen Details der Bundesworthülsenfabrik zugute gekommen. Interessant wäre noch zu erfahren, ob und inwieweit die SPD-Medienholding DDVG Anteilseigner dieses Musterbetriebes ist. Welchen Parteien gehören Vorstand und Aufsichtsrat an? Wer versorgt eigentlich die Jurisdiktion mit geeigneten Worthülsen? Gibt es ein Bundesamt für deren normgerechte Ausführung? Eine EU-Norm, die alle Hülsen in Sprachen der Mitgliedsländer überführt? Und vor allem: Gibt es eine Beauftragte für Gendergerechtigkeit schön beim Entwurf neuer Worthülsen?
Fragen über Fragen.

ppq hat gesagt…

das sind in der tat berechtigte fragen. leider ist es ja aber so, dass die BWF sich bei der öffentlichkeitsarbeit immer noch sehr bedeckt hält. unsere offizielle anfrage, ob großprojekte wie die verbale abbildung der flüchtlingskrise durch neue begriffe wie "geflüchtete", "refugees" und "schutzsuchende" nicht hätte europaweit ausgeschrieben werden müssen, ist bis heute (4 jahre danach) nicht beantwortet.

ebenso steht die antwort auf die frage aus, was mit nicht mehr genutzten worthülsen wird, ob die in den weltmeeren landen oder von kleineren parteien aufgebraucht werden müssen, wie es beim "ostprogramm" der spd jetzt den anschein hat

derherold hat gesagt…

Ich würde Uwe Karsten Heye zum Generalbevollmächtigten der SPD in Ostdeutschland ernennen.

ppq hat gesagt…

der wäre zweifellos der richtige mann