Samstag, 20. Februar 2021

Bundesworthülsenfabrik: Europas Angriff auf die Bedeutungsindustrie

Angela Merkel plädierte bei den nächtlichen Beratungen für eine größere Souveränität der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin, sie konnte sich aber nicht durchsetzen.

Dass Europa mit einer Sprache sprechen muss, hat die die Corona-Krise in aller Deutlichkeit klargemacht. Der Kontinent redet nur allzuoft aneinander vorbei, Deutschland auf Deutsch, Frankreich auf Französisch, Rom auf Italienisch und Brüssel auf Englisch, der Muttersprache der paar Iren in der Gemeinschaft, die jahrelang als natürlich lingua franca für die EU galt, seit dem Austritt der Briten aber eigentlich keine Heimat mehr hat in 26 der 27 verbliebenen Mitgliedsländer.

Nun endlich zieht die Europäische Kommission Konsequenzen und geht die ersten Schritte zur Schaffung einer europäischen Sprachunion, wie die - mehrsprachig aufgewachsene - Präsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Sprache der Union angekündigt hatte. Die Kommission legt dazu eine Reihe von Vorschlägen für den Ausbau des EU-Rahmens für Sprachgemeinsamkeit und für eine Stärkung der Rolle wichtiger EU-Agenturen bei Verständlichkeit und Debattenkultur vor. Eine gemeinsame Sprache, so von der Leyen, sei essentiell für ein gemeinsames Gespräch, gerade in einer Staatenfamilie, die weit über 60 Sprachen spreche, die jeweils bereits einige Kilometer jenseits der jeweiligen Sprachgrenze nicht mehr verstanden würden.  

Sprachnationalistische Tendenzen in der EU

Viele Missverständnisse resultierten daraus, Gesprächsfehler und auch ein globaler Bedeutungsverlust des weltgrößten Wirtschaftsraumes. Deshalb bedürfe es einer engeren Koordinierung auf EU-Ebene statt sprachnationalistischer Tendenzen, wie sie etwa bei der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin hartnäckig gepflegt würden. Diese Bundesbehörde versorgt die deutsche Politik seit Jahren mit Schlagworten wie "Euro-Rettungsschirm", "Energiewende" und "Wachstumspakt", sorgt aber mit dieser überaus erfolgreichen Worthülsenproduktion nun ausgerechnet in Brüssel für dicke Luft. 

Ursula von der Leyen schimpft auf den deutschen Sonderweg: „Unser Ziel ist es, den Sprachgebrauch aller Staaten zu harmonisieren, um das Verständnis für unsere Maßnahmen bei allen europäischen Bürgerinnen und Bürger zu stärken". Die Coronavirus-Pandemie habe ganz klar gezeigt, "dass wir eine engere Koordinierung in der EU, einheitliche Sprachregelungen und eine bessere Versorgung mit einem gemeinschaftliche genutzten Krisenvokabular brauchen". Es könne nicht in Deutschland von shutdown und lockdown gesprochen werden, in der Sprache der abtrünnigen Briten, während in Spanien vom "cierre de emergencia" und in Frankreich von "confinement" die Rede sei. "Das versteht doch kein BürgerIn", so von der Leyen.

Grenzüberschreitende Spracherfordernisse

Europa müsse und werde künftig anders mit grenzüberschreitenden Spracherfordernissen umgehen. "Wir beginnen heute damit, eine europäische Worthülsenfabrik aufzubauen, damit unsere Bürgerinnen und Bürger in einer Krise optimal mit Begrifflichkeiten mit einheitlicher Bedeutung versorgt werden und die Union und ihre Mitgliedstaaten dafür gerüstet sind, europaweite  Notlagen und die zu ihrer Bewältigung notwendigen Maßnahmen noch besser zu erklären.“ Das neue Europäische Amt für einheitliche Ansagen (AEA) solle nicht in Konkurrenz zur alteingesessenen Bundesworthülsenfabrik wirken, sondern den nationalen Sprachregelungsbehörden Rat und Hilfe bei der Vereinheitlichung und Standardisierung der Bemühungen um bürgernahe Bedeutungsproduktion geben.

Die für Kommunikationssicherheit in der Gemeinschaft zuständige EU-Kommissarin Stella Kyriakides sieht darin einen Quantensprung. „Sprache ist unseren Bürgerinnen und Bürgern heute wichtiger denn je", sagt sie, "und in einer Krise erwarten die Menschen zu Recht, dass sich die EU aktiver einbringt, um die Grundlagen für eine sicherere, besser vereinheitlichte und weniger nationalistische Sprache in der Gemeinschaft zu schaffen." Die AEA, die mit anfangs 1.298 Beamten vom französischen Nizza aus wirken wird, "wird unsere Fähigkeit zur gemeinsamen Reaktion erheblich verändern", so Kyriakides.

Förderung der einheitlichen EU-Lebensweise

Auch der Vizepräsident für die Förderung unserer einheitlichen europäischen Lebensweise, Margaritis Schinas, ist von der Idee begeistert. „Wir machen einen großen, wichtigen Schritt hin zu einer echten EU-Sprachheitsunion, um Vorsorge für schwerwiegende grenzüberschreitende Bedeutungsunterschiede zu treffen und darauf zu reagieren." Die neue EU-Agentur werde mit einem starken Mandat ausgestattet werden, damit sie die die Behörden der Einzelstaaten und die EU-Bürgerinnen und -Bürger besser zum  richtigen Sprechen anhalten könne. "Ziel ist nicht nur die sprachliche Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, sondern eine dauerhaft bessere Koordinierung mit effizienteren Sprachinstrumenten auf EU-Ebene.“ 

Sinn und Zweck der europäischen Europäischen Worthülsenagentur sei es, "dass wir uns miteinander als Union auf eine gemeinsame Sprache einigen - nur so können wir den Erwartungen unserer Bürgerinnen und Bürger gerecht werden.“ Im Mittelpunkt der Vorschläge und Beschlüsse der EU zur Gründung der AEA steht eine Neugestaltung des geltenden Rechtsrahmens für schwerwiegende grenzüberschreitende Sprachgefahren durch nationale Sonderwege und die Aufwertung der wichtigsten EU-Agenturen bei der Sprachpflege. 

EU-Vorsorgeplan zur Worthülsenversorgung

Um ein tragfähigeres Mandat für die Koordinierung durch die Kommission und die neue EU-Agentur zu schaffen, schlägt die Kommission, in deren Zuständigkeit die nationalen Sprachen bisher nicht fallen, eine neue Verordnung zu einem EU-Vorsorgeplan für Sprachgebrauch und Harmonisierung des Krisenvokabulars vor. Auf dieser Grundlage sollen dann Sprechplänen auf nationaler Ebene ausgearbeitet und von umfassenden und transparenten Rahmen für Berichterstattung und Audits flankiert in nationales recht umgesetzt werden. 

Die Erstellung der nationalen Substantivlisten wird vom Europäische Amt für einheitliche Ansagen (AEA) angeleitet und unterstützt, später aber auch überwacht. Dazu wird auf EU-Ebene ein integriertes Überwachungssystem geschaffen, in dem künstliche Intelligenz und andere fortschrittliche Technologien zum Einsatz kommen. Die Mitgliedstaaten wären dann verpflichtet, eine regelmäßige Berichterstattung über die Verwendung von Worthülsen im nationalen Sprachgebrauch nach Nizza zu melden. Die Ausrufung eines EU-Notstands würde dann eine noch engere Koordinierung auslösen und die Entwicklung, Bevorratung und Beschaffung von krisenrelevanten Worthülsen im Sinne einer höheren Widerspruchsfreiheit bei der AEA zentralisieren.

Weitere Informationen: Website der europäischen Spracheinheitsunion


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