Montag, 16. Mai 2022

Festival des politischen Liedes: The Great Rock'n'Roll Swindle

Die Sieger der Schlagerschlacht und der Verlierer aus dem Brexit-Land mit guter Miene zum undurchschaubaren Spiel.

Es schien alles schief zu gehen. Die Solidaritätserklärung, das deutliche Zeichen Richtung Kreml, das Signal an die Völker der Welt, die vor den TV-Geräten saßen und stundenlang bangten. Würde es kommen, wie es vorhergesagt war? Ein Sieg der Ukraine auch auf dem Schlachtfeld des Schlagergesangs als Tritt ins Gemächt des Kremlherrschers, der noch kurz vor den letzten Stellproben Cyberangriffe auf den European Song Contest angekündigt hatte, den größten und überhaupt einzigen Sängerwettstreit weltweit, bei dem Popgesang wie eine Eislaufkür ausgetragen wird.

Alles singt im großen Saal und niemand lässt sich ruhig nieder, weil jeder in die Kamera drängt, ein Influenzer in eigener Sache, mit ewiggestrigen nationalistische Symbolen wie Fahnen, T-Shirt in Landesfarben und Wimpeln behängt, auf denen Namen von Sternchen prangen, die keiner kennt und morgen schon vergessen haben wird. Unter den Aktiven läuft Wasser aus der Bühne, über ihnen glühen Scheinwerferbatterien, die aus dem Kreml gespeist werden.

 Wiedergeburt als Vikinger

Die Fachjuroren der angeschlossenen Anstalten wählten einen Brexit-Briten ganz nach vorn, Sam Ryder, eine Wiedergeburt David Bowies in Gestalt eines Vikingers, der einen paillettenbesetzen Schlafanzug trug und eine auf links gedrehte Version von Bowies 72er Hits "Starman" gesungen hatte, nun aber originellerweise "Space Man" genannt, um nicht sofort erkannt zu werden. Das favorisierte Kalush Orchestra aus der Ukraine rangierte unter ferner liefen. Der Flötenpop mit Rapeinlage und Anflügen getanzter cultural appropriation der amerikanischen Hiphop-Bräuche schien aus dem Rennen.

ESC aber ist, wenn alles doch so kommt wie immer. Deutschland ganz hinten, große Popmusiknationen wie Spanien, Moldawien, Serbien und Griechenland ganz vorn. Wo 90 Prozent der künstlerischen Leistung Oberfläche, Kostüme, Licht und Hinterteile, kommt es nicht auf Melodien und schon gar nicht auf Originalität an. Wichtig ist die Klangtapete, meist aus dem Coldplay-Soundbaukasten entliehen. Und die Solidarität der Nachbarstaaten, auch bekannt als Zärtlichkeit der Völker

Europa siegt immer

Kalusha deutsche Farben Solidarität
Starkes Zeichen: Kalusha zeigt Solidarität.
Doch der ESC, ein allfrühjährliches Medienereignis, bei dem in der Regel ganz Europa den sicheren Sieg davonträgt, stand in diesem ersten offiziellen Kriegsjahr seit 1945 ganz im Zeichen der Zeichen. War es im Vorfeld noch gelungen, mühsam ein Starterfeld für die Endrunde zusammenzukochen, in dem 25 Finalisten aus - alle Wurzeln mitgezählt - wenigstens 34 Ländern mehr oder weniger auffällige eigene Versionen von "Viva La Vida" und "A Sky Full of Stars" vortrugen, drohte der symbolhaft gedachte Abend mit dem Votum der Schlagerfachleute des Kontinents kurzzeitig seiner Botschaft verlustig zu gehen. Keine Ukraine auf Platz 1. Welche Schlüsse hätte der Kreml da ziehen können. 

Man lässt Leute in Bunkern nicht hängen, wenn man ein wenig Anstand hat, selbst wenn es nur symbolisch ist, empfiehlt die SZ eine Rückbesinnung auf die Kunst als Waffe im Sinne von Gottfried Helnwein. Ereignisse wie der ESC "sind Waffen zur Politisierung der Kunst", hat der Bildhauer Wolf Vostell 1970 festgestellt, vier Jahre, ehe ABBA den Eurovision Song Contest gewann, der damals noch Grand Prix Eurovision De La Chanson hieß und ein schweres Geschütz im kalten Krieg war, mit dem der Westen auf die popkulturell öden Weiten des kommunistischen Osteuropas schoss.

Es wäre peinlich gewesen, wenn die Ukraine nicht gewonnen hätte", nahm die Süddeutsche Zeitung später in Schutz, was dann geschah. Aus dem Off begann es Stimmen aus dem Televoting zu regnen, einem Verfahren, mit dem Anrufer die Hälfte des Endergebnisses bestimmen können. Deutschland, bis dahin bei null Punkten, freute sich über sechs points. Die ukrainische Polkaband bekam 439 - die Anrufer aus 28 der 39 Teilnehmerstaaten gaben ihr die Höchstzahl von zwölf Punkten. Ein neuer Weltrekord: Die Vorjahressieger, eine Popmetalband namens Maneskin, hatte sich noch mit 318 Punkten begnügen müssen.

Festival des politischen Liedes

Das traditionelle Festival des politischen Liedes kam so noch gerade eben über die vorab gemalte Ziellinie. Sam Ryder, ein Musiker, der in jüngeren Jahren schon einmal eine Karriere hatte, beobachtete den plötzlichen Tod seiner Siegeshoffnungen mit professionellem Lächeln, zumindest daheim auf der abtrünnigen Insel aber wurde Verrat geschrien. Nicht die Qualität der Musik habe entschieden, sondern allein die Sympathie für ein Land im Überlebenskampf. The sound of beauty, so das Motto des 66. great rock'n'roll swindle, sei der Sound der Propaganda: Kunst, die politisch sein darf, sich aber nie politisch missbrauchen lassen solle, finde sich wieder, verwandelt in eine Waffe.

Womöglich mit Hilfe "aggregierter Ersatzergebnisse", für die sechs Teilnehmerstaaten Aserbaidschan, Georgien, Montenegro, Polen, Rumänien und San Marino, mit deren Hilfe nach Bekanntwerden "unregelmäßiger Abstimmungsmuster" in diesen Ländern auch "für das große Finale" (ESC) Punktvergaben "auf der Grundlage der Ergebnisse anderer Länder mit ähnlichen Abstimmungsprotokollen" berechnet wurden. Die Zeit drängte, eine Wahlwiederholung war diesmal nicht möglich. Aber die Hochrechnung der Stimmungslage tat es auch.

Pathos, Pomp und Pose

Im fidelen Feld der auf Pathos, Pomp und Pose geeichten Konsenskultur, die die öffentlich-rechtlichen Sender als Teil der Grundversorgung der Bevölkerung alljährlich mit aufgesetzter Begeisterung in den Äther verklappen, ist Zustandekommen des Endergebnisses des CO2-schleudernden Sängerkrieges letztlich natürlich ebenso egal wie das Ergebnis selbst. Seit einem Vierteljahrhundert ist hier niemand mehr zu einem Weltstar geworden. Niemand, der es ernst meint mit seiner Musik, würde hier auftreten, teuer beleuchtet und peinlich berührt. Niemand, der es tat, ist irgendjemandem im Folgejahr noch in Erinnerung. Kein Lied, das hier gesungen wurde, kann später noch irgendeiner pfeifen.

Der aufgescheuchten Fröhlichkeit der deutschen Präsentatoren tut die traurige Bilanz des Durchlauferhitzers für Dutzendpop allerdings so wenig Abbruch wie das regelmäßig desaströse Abschneiden der deutschen Teilnehmer. Die Heimatfront nimmt es traditionell sportlich, immerhin gelang es diesmal, doppelt so viele Punkte zu holen wie letztes Jahr - und alle waren sie Sympathiepunkte der ganz normalen Miteuroäer.


7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Mal schnell auf Youtube geschaut, reine Neugier. Wenn Sam Ryders überproduzierter, overhypeter, gnadenlos banaler und also stereotyper Schlager auf Platz zwei ist, entgeht einem beim Rest nichts, wie immer.
Ich höre da eher einen Anklang von Rain and Tears von Aphrodite's Child, die Stimmlage natürlich und ein paar Noten weichen dem Original aus.

Kleine Textkritik:
If I was an astronaut, I'd be floating in mid-air
Nein, das sind die Ballonfahrer.

Case closed.

Anonym hat gesagt…

ESC >>> Gefühlsduseleifutter fürs europäische Gutmenschentrottelvolk.

Politisch korrekt inszeniertes Wochenendtrallala zur Verhinderung von regierungskritischen Resthirndenkleistungen. Stupides Einlullgedudel wie zu besten Ballermannbesäufniszeiten.

2000 Jahre Brot und Spiele sind der Beweis einer kümmerlichen Evolution, die sich nur in moderner Waffen- und Beschallungstechnik manifestiert hat. Dasselbe archaische Pöbelgegröle, nur eben bis in jede Wohnhöhle millionenfach verstärkt.

Dabei sein ist alles. Dazugehören erste Bürgersucht und Volksgenossenpflicht. Uniformität für Herdentriebindividualisten, die alle dieselben Klamotten kaufen und Ideen ausbrüten, wenn ihr Wahrheitspapst ihnen das von der GEZ-TV-Kanzel herab predigt.

Die Menschheit hat bis auf wenige Ausnahmen ihren geistigen Zenit längst überschritten und degeneriert rasant ins primitive Wir-gegen-die-Primatentum zurück, in dem Clan, Stamm, Horde, Rotte alles bedeutet: Schutz und Futter, und so das nackte überleben sichert. Ein Dasein, das auch Tiere führen, die ohne Dichter und Denker klarkommen.

Sie feiern ein Verblödungfestival nach dem anderen und sind aufgrund ihrer Masse überzeugt, den richtigen Weg einzuschlagen.

Vielleicht können Verkappung und Verteuerung im Schlepptau des Ukrainekonfliktes sie ja etwas aufrütteln? Eine minimale Hoffnung, doch das bezweifle ich nach einem halben Jahrhundert Beobachtung ihres oft nur instinktiven Rudelverhaltens. Meine frühere Hochachtung menschlicher Fähigkeiten und Leistungen sind der Verachtung gewichen, denn ohne Dummheit oder Bösartigkeit scheinen sie nicht existieren zu können, diese selbsternannten Kronen der Schöpfung.

Die Anmerkung hat gesagt…

Es war doch nur eine Nazi-Pop-Band, die da auf Platz geschummelt wurde. Ist nicht der Rede wert.

https://philosophia-perennis.com/2022/05/16/esc-sieger-strammer-hitlergruss-zum-abgang-von-der-buehne/

Anonym hat gesagt…

erstes Bild , 2te Person von LINKS trägt einen rosafarbenen Lampenschirm . Bernd findet das problematisch .

Anonym hat gesagt…

https://www.klimareporter.de/images/karo3imgmanager/resized/5301-5400/49559275403_dc2ae6fd1b_k-5359-540-360-80-c.jpg

vermutlich ein modifizierter Bidengruß

Anonym hat gesagt…

Der Arm des ukrainischen Freiheitssängers ist anhaltend gestreckt, das passiert nicht aus Versehen wie bei der Mumie Biden oder auf 100 anderen Promi-Schnappschüssen, sondern nur mit bewusster motorischer Steuerung.

ppq hat gesagt…

das ist ein gerichtsfeste soziale geste, schon seit zehn jahren. was es daran nun wieder herumzumeckern gibt! https://www.politplatschquatsch.com/2012/01/wiedergeboren-als-soziale-geste.html