Dienstag, 21. März 2023

Herr Lehmann: Fusion im Fegefeuer

Diesmal muss eine Schweizer Bank die andere retten, damit alle gerettet sind.

Bloß nicht panisch werden. Bloß nicht an den Ärger erinnern, den es beim letzten Mal gegeben hat. Wenn es nicht gelingt, eine Stampede von der Art zu verhindern, die dem modernen Westen vor 15 Jahren seine Sterblichkeit vor Augen geführt hatte, dann wird diesmal eine Kombination aus Finanzpanik, Pandemiefolgen und Kriegswirtschaft dazu führen, dass das alte Europa und das nur leicht jüngere Amerika gar keinen russischen Atomangriff mehr brauchen um im Orkus der Geschichte zu verschwinden.

Krise im Kleingedruckten

Seltsam kleingedruckt waren die Nachrichten über die ersten Bankenpleiten in den USA. Seltsam schmallippig die Kommentare aus Brüssel und Berlin angesichts der Nöte der europäischen Geldinstitute, ihre Bilanzen angesichts enorm schnell steigender Zinsen nicht zu Sieben aus lauter Löchern werden zu lassen, durch die die eigene Bonität verschwindet wie Zeitenwende-Geld im Bundeswehrbeschaffungsamt. Jeder liegt hier mit jedem im Bett, alle aber schlafen mit den Staaten: Deren Anleihen galten im zurückliegenden Nullzins-Jahrzehnt als sicherer Hafen für die von den Zentralbanken produzierte Geldschwemme. Zwar brachten staatliche Kreditpapiere auch keine Zinsen. Aber das Geld war weder weg noch hatte es plötzlich ein anderer.

Zum neuen Lehman-Problem wurden die sicheren Rücklagen, als die vermeintlich stabilen Staatsanleihen mit ihren eben noch so lukrativ erscheinenden Null-Zins-Kupons ihren Reiz verloren. Warum sollte jemand noch eine Anleihe besitzen wollen, die nichts abwirft, wenn andere Papiere zwei, drei oder vier Prozent Zinsen versprechen? Wenn aber alle loswerden wollen, was ihnen nicht mehr gefällt, sinken die Kurse. Und wenn die Kurse sinken, ist die Ware weniger wert. Und wer die Ware noch im Lager hat, wird zu Wertberichtigungen gezwungen. 

Zurück im Lehman-Modus

Eine Ausgangslage, die erst die Silicon Valley Bank, dann die Signature Bank  und die First Republic Bank, anschließend zahlreiche Regionalbanken und schließlich die Schweizer Großbank Credit Suisse in Schwierigkeiten brachte. In den USA, die die Nullzinsära mit einem wahren Trommelfeuer aus Zinserhöhungen beendet hatten, musste die Zentralbank FED zurückschalten in den Lehman-Modus: In einer einzigen Woche wurden 152 Milliarden Dollar zur sogenannten "Stabilisierung" von Geldhäusern ausgegeben, von denen es seit jener "amerikanischen Krise" (Peer Steinbrück) vor 15 Jahren geheißen hatte, sie seien nun stabil für immer und jedes Wetter.

Die Größe des Problems zeigt sich nicht in der Größe der Schlagzeilen. Aber in der Höhe der Summe. 152 Milliarden waren ein Drittel mehr als seinerzeit nach dem Zusammenbruch von Lehman Bros. ausgegeben wurde und 300 Mal mehr als noch ein Woche zuvor noch im Normalbetrieb bereitgestellt worden war. In Europa traten erstmal nur die Gesundbeter auf. Aus Brüssel, bei der EZB in Frankfurt und aus dem politischen Berlin kamen Trost und Zuspruch. Die Lage sei stabil. Die Banken seien gesund. Der Überblick gewährleistet. Koste es, was es wolle.

Banges Warten auf Montag

Bang wartete die Finanzwelt auf das Wochenende, traditionell die 48 Stunden, in denen in "Stunden hektischer Krisendiplomatie" (FAZ)  "Rettungspakete" (BWHF) "geschnürt" DPA) werden, um die Kuh vom Eis zu holen, in trockene Tücher zu packen und nach einem "Endspiel" (FAZ, SZ) eine "rasche Lösung" zu präsentieren, "ehe die Märkte in Asien am Montagmorgen öffnen".  Ein Standardtrick aus der Krisengrundschule, der seinerzeit nicht nur die letzten halbgroßen deutschen Banken vor dem Untergang bewahrte, sondern später auch den Euro, jene legendär stabile Gemeinschaftswährung, deren Kaufkraft heute in der Nähe der einstigen D-Mark liegt. 

Waren es damals, nach Lehman, vor allem die deutschen Staatsbanken, deren über Jahre mit eigens gegründeten Niederlassungen in Steueroasen gepflegte wilde Spekulationsgeschäfte das Finanzsystem ins Wanken brachten, erwischt es diesmal die am heftigsten, die meinten, seriös zu wirtschaften. Nicht Bitcoin und Gold, Immobilien oder Internetaktien stellen sich als gefährlichste Depotbeimischung heraus. Sondern Staatsanleihen, deren Wert infolge der hektischen Zinserhöhungen im Zeichen der Inflationsbekämpfung schneller sinkt als der die Buchhalter von Sparkassen und Volksbanken neue Minuszeichen in ihre Bücher malen können.

Rettungswerkzeug aus Deutschland

Die durch die drohende Pleite der Credit Suisse besonders betroffene Schweiz fand ihr Rettungswerkzeug in der deutschen Geschichte. Damals, als es Spitz' auf Knopf stand und die Kanzlerin ihren Finanzminister mit ins Fernsehen brachte, um die furchtsamen Volksmassen von einem bank run abzuhalten, musste eine Art Hütchenspiel veranstaltet werden, um den Laden am Laufen zu halten. 

Erst überredete die Bundesregierung die angeschlagene Commerzbank, die noch schwerer angeschlagene Dresdner Bank von der Allianz-Versicherung zu kaufen, die sich das ehemals dritte große deutsche Geldinstitut erst kurze Zeit davor zugelegt hatte. Das von außen recht unübersichtlich wirkende Manöver, finanziert mit einer staatlichen Einlage bei der Commerzbank, diente dazu, die Lebensversicherungen von 40 Millionen Deutschen zu retten, die mit der Allianz untergegangen wären, wäre die Hypo Real Estate untergegangen, was den Untergang der Dresdner Bank zur Folge gehabt hätte, wodurch die Allianz am Ende gewesen wäre.

Das Ende der EU

Die Gefahr war zu groß, dass dann die Stimmung kippt und mit ihr die Kanzlerin, die Regierung, die beiden Regierngsparteien, der Euro und am Ende die EU. Der Steuerzahler spendierte 50 Milliarden Euro in bar und 480 Milliarden Euro Bürgschaften, pro Kopf der damals schon hier Lebenden schmale 6.500 Euro. Die Commerzbank ließ sich ihre Dienste als Bad Bank für verbriefte amerikanische Häuserschulden, Anleihen auf die isländische Krone, irische Steuerspar-Zweckgesellschaften und atemberaubend strukturierte Wertpapieren mit einer Überlebensgarantie versüßen. Und als die asiatischen Börsen wieder starteten, gab es ein Minus gestartet, aber kein großes.

Seitdem gilt das Manöver als Lehrbuchstoff für Bankenretter. Auch an diesem Wochenende wurde wieder eine Übernahme organisiert, diesmal die der kriselnden Großbank Credit Suisse durch ihre ehemals gar nicht so viel größere Schweizer Konkurrentin UBS. Auch ging der Coup, der in normalen Zeiten wenigstens ein Jahr und die Zustimmung einer Legion von Kartellbehörden brauchen würde, in Stunden über die Bühne. Und auch diesmal zahlt letztlich nicht das übernehmende Institut den Ankauf, sondern der Steuerzahler, nur diesmal eben der Schweizer.  

Eine wichtige Stütze

Die Europäische Zentralbank (EZB) lobte den Deal als "wichtige Stütze, um die Spannungen auf den globalen Finanzierungsmärkten zu lindern". Die Bank of Canada, die Bank of England, die Bank of Japan und die amerikanische Federal Reserve waren genauso begeistert. Medien ersparen sich Erklärungen dazu, was da eigentlich warum geschehen ist. Man wolle nicht über die Schuldigen reden, schreibt die Süddeutsche Zeitung, die "Tagesschau" verweist auf "milliardenschwere Bonus-Zahlungen", der "Spiegel" auf " langfristige Verfehlungen des Managements" und der "Focus" auf ein Versagen der schweizerischen Behörden.

Mehr muss nicht. Bis zum nächsten Mal.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das Problem ist, um mal eine Lieblingsvokabel der Bolschewokisten korrekt anzuwenden: Systemisch.
Da die Presse zu besagtem System gehört, spart man sich Details, zumindest an der Massenmedienfront.

Die Anmerkung hat gesagt…

Das heutige Tageszeitalter in einem Film.

Fun times in France...

Besser geht Dekadenz derzeit kaum.

Gerry hat gesagt…

@Die Anmerkung
Man kann nicht glauben, was dort zu sehen ist.