Donnerstag, 10. Juli 2025

ChatEurope: Zu den Grenzen der Wirklichkeit

EU Nachrichten KI chateurope.eu
Die euopäische Nachrichten-KI "ChatEurope.eu" gibt sich als unabhängige Quelle aus, wird aber von der Europäischen Kommission finanziert. 


Die Besten der Besten haben sich zusammengetan, verwegen geradezu angesichts der strengen europäischen Regelungen zur Eindämmung der Gefahren der Künstlichen Intelligenz. Unbeeindruckt von den Forderungen großer Wirtschaftsunternehmen nach einer Pause für die wettbewerbsbehindernden Vorgaben für den Einsatz sogenannter Chatbots in den EU schoben die renommierte Deutsche Presse-Agentur (DPA) und 14 andere Medienhäuser aus ganz Europa alle kleinlichen Bedenken beiseite. Europa soll der größten technischen Revolution seit der Erfindung des Internets voranmarschieren - und ganz vorn, dort, wo das Licht ist, schreitet ChatEurope in der ersten Reihe.

Der Bot, der sich selbst nicht kennt 

Der Chatbot ist seinen Erfindern zufolge "die erste KI-basierte Nachrichtenplattform für europäische Themen", gegründet von einem "Konsortium europäischer Medien", hinter denen sich neben der DPA genaugenommen die Nachrichtenagenturen Agenzia Nazionale Stampa Associata (ANSA) aus Italien, Agence France-Presse (AFP) aus Frankreich und EFE aus Spanien verbergen. Von weiteren Beteiligten wie der Deutschen Welle und "Medienhäusern aus Polen, Rumänien, Spanien und weiteren renommierten Partner" weiß der von der  rumänischen Firma DRUID AI programmierte Bot nichts.

"Ich habe keine Informationen über weitere Mitglieder des Konsortiums", behauptet Chateurope. Der Bot ist auch sonst weitgehend wissensfrei: Von sich selbst weiß sie nicht zu sagen, auf welche KI er zurückgreift - es ist die französische Entwicklung MistralAI. Und sie denkt zwar immer sehr lange nach. Liefert aber am Ende durchgehend Antworten auf dem Niveau der "Tagesschau in leichter Sprache": Mal ist es nur die halbe Wahrheit, mal komplett erfunden. Mal stimmt der Rest nicht, aber das Interessanteste fehlt.

"Vorbeugung von Fake News" 

Ein echtes Europa-Projekt, natürlich gestartet "zur Vorbeugung von Fake News" und zur "Bekämpfung von Falschinformationen durch den gezielten Einsatz von künstlicher Intelligenz". Dazu sollen Bürgerinnen und Bürger dem Chatbot über die Internetseite chateurope.eu "alle Fragen rund um Europa" stellen, sieben Sprachen sind möglich stellen und "fundierte und verifizierte Antworten" versprochen. 

Um Anliegen zu bescheiden, greift ChatEurope sicherheitshalber nicht auf das Wissen der Welt zurück und auch nicht auf das, was in irgendwelche Archiven oder gar in diesem Internet steht. Seinen "wertvollen Beitrag für alle Menschen in Europa", wie DPA-Chef Peter Kropsch den Chatbot schon zum Start lobte, gewinnt die langsamste KI der Welt vielmehr ausdrücklich "ausschließlich" aus den "geprüften Informationen der beteiligten Medienhäuser".  

Erschütternder Kenntnisstand 

Was die nicht gemeldet haben, existiert nicht. Der Kenntnisstand über unangenehme Geschichten, die als nur regional bedeutsam gewertet wurden wie etwa die SMS-Affäre der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, endet an dem Tag, an dem der letzte Partner nicht umhinkam, ein journalistisches Interesse zu simulieren. "Die Arbeit der EU wird transparenter", versichert der DPA-Chef, dessen Firma natürlich ihre "unabhängige und verifizierte Berichterstattung in das Projekt" eingebracht und die "europaweite Allianz gegen Desinformation und Fake News" damit gestärkt hat. 

Nicht wissen ist nicht lügen. Von einem Misstrauensantrag gegen die Kommissionschefin  im EU-Parlament, wie er in dieser Woche verhandelt werden wird, hat ChatEurope noch nie gehört. "Tut mir leid, aber mein Wissen beschränkt sich ausschließlich auf die Artikel, die auf der ChatEurope-Plattform veröffentlicht wurden, und ich kann keine Informationen zu Ihrer Anfrage finden", heißt es auf die Frage, ob es einen Misstrauensantrag gegen Ursula von der Leyen gebe. 

Ein "intelligenter Chatbot" 

Keine Chance der Information, die nicht von einem der beteiligten Medienhäuser kommt, wer die nun auch genau seien. Die Intelligenz des "intelligenten Chatbots" (Eigenbeschreibung) reicht nicht weit, aber weit genug, um Nutzeranfragen auf eine besonders schlaue Art zu bescheiden: Die auf Deutsch gestellte Frage, welche EU-Länder seit 2015 ihre Grenzen geschlossen hätten und wie viele es heute sind, beantwortet ChatEurope mit der Nennung von Österreich und Deutschland, heute seien es aber zehn Staaten. Auf Englisch wird die Frage hingegen mit  "Deutschland, Österreich, Frankreich, Dänemark, Schweden und Norwegen" beantwortet.

Kommt immer darauf an, wer fragt. Das Ganze wurde von einem Team aus Frankreich und Rumänien zusammengeschraubt und im Tagesbetrieb wird es offenbar von DPA und die AFP-Tochter News Aktuell mit Inhalten beschickt. Künstlich ist daran alles, intelligent ist nichts, Nutzerfragen werden nicht beantwortet, sondern mit Auskünften beschieden - wie die gute alte Googlesuche verweist jede aus wiederkehrenden Satzbausteinen gezimmerte Auskunft auf die verwendete Quelle, die in der Regel nicht "aus den Nachrichten der Partner" stammt, sondern von DPA oder AFP.

Ein beunruhigender Befund 

Angesichts des legendären Rufes der größten deutschen Nachrichtenagentur, die heute für mehr als die Hälfte aller Inhalte sorgt, die die Leser aller deutschen Tageszeitungen zu Gesicht bekommen, ist das ein beunruhigender Befund. Zwar wird der selbst für eine europäische KI äußerst beschränkt wirkende Nachrichten-Chatbot ganz bestimmt kein langes Leben haben, doch bis dahin kann ChatEurope noch jede Menge Fehlinformationen verbreiten und Wissenslücken offenbaren: Die Kenntnisse der Auskunftsmaschine zum ehemals weltbedeutsamsten EU-Korruptionsskandal um die griechische Parlamentarierin Eva Kaili endet auf Deutsch mit dem Tag ihrer Inhaftierung im Dezember 2022. 

Auf Italienisch geht es danach noch etwas weiter, aber als Übersetzer ist Chateurope nicht eingestellt. "Ich kann Ihnen nicht bei der Übersetzung helfen, aber ich kann Ihnen Informationen zu verschiedenen Themen geben, die in europäischen Nachrichten behandelt werden", empfiehlt er, doch lieber "vielleicht etwas über Umweltinitiativen" wissen zu wollen. Da wären Antworten ausreichend da.

Frage doch, was ich weiß 

Ein echter Europa-Bot, der nicht weiß, wie viele venezolanische Präsidenten welche EU-Mitgliedstaaten auf dem Höhepunkt des Streits um die Rechtsstaatlichkeit in der Maduro-Diktatur anerkannt hatten. Der aber stur darauf besteht, es habe immer nur einen gegeben. Seit wann Angela Merkel wieder Bundeskanzlerin ist, weiß ChatEurope auch nicht, weil europäische künstliche Intelligenz kein Nein vorsieht. Stattdessen gibt es die Antwort: "Sorry but my knowledge is limited only to the articles published on the ChatEurope platform." 

Verglichen mit amerikanischen oder chinesischen Chatbots wirkt ChatEurope dynamisch und vertrauenswürdig wie Olaf Scholz mit seiner Aktentasche bei TikTok. Der Besuch der alten Tante im hippen Styleclub findet vorsichtshalber am Vormittag statt, bei Tageslicht fallen die traurigen Falten der mit einem Disclaimer von 10.000 Anschlägen - natürlich auf Englisch - geschützten Experimentalanordnung  weniger ins Auge. 

Unabhängige Stimme der Kommission 

Dafür aber, dass die "independent voice free of political, commercial or ideological influence", als die sich der "Zusammenschluss bedeutender Medienhäuser" selbst sieht, sich "dem gemeinsamen Ziel verschrieben" hat, "die öffentliche Kommunikation der Europäischen Union verständlich, transparent und faktenbasiert zu vermitteln".

Ein Auftragswerk. Die Dame demonstrativ Ambitionen wie die, das "Fundament für ein neues digitales Selbstverständnis Europas" zu sein. Darunter aber ist sie splitterfasernackt. "Dieses Projekt wurde mit Mitteln der Europäischen Union finanziert" steht ganz unten, während ChatEurope selbst sich natürlich entschuldigen muss: "Sorry but my knowledge is limited only to the articles published on the ChatEurope platform and I can’t find any information about your query"

Die erfundene Milliarde

Wie viel Geld der europäischen Steuerzahler die Kommission sich das "Experiment" der Mediengiganten kosten lässt, ist nicht bekanntgegeben worden. ChatEurope.eu, hier jetzt eigener Ansicht nach perfekt im Bilde, nennt "370 Millionen Euro", die "die EU zwischen 2007 und 2013 gezahlt" habe, "während eine Finanzierung von 814 Millionen bereits für 2014-2020 unterzeichnet wurde (von denen 120 Millionen bereits gezahlt wurden)".

Duie Milliarde ist natürlich frei erfunden, die EU-KI  weiß einmal mehr nicht, dass sie keine "fundierte und verifizierte Antwort" gibt, sondern aus den wenigen verfügbaren "geprüften Informationen der beteiligten Medienhäuser" reine Desinformation destilliert, die sich die angeblich unabhängigen Berichterstatter von der EU finanzieren lassen.

Meilenstein der Übergriffigkeit 

In der Tat ein neuer Weg, "möglichst vielen Bürgern den Zugang zu komplexen politischen und wirtschaftlichen Themen zu erleichtern", um  ihnen einen "Gegenvorschlag zu den mächtigen US-Tech-Plattformen" zu machen. Dass sich sogenannte Nachrichtenagenturen und Medienhäuser auf keinem anderen Kontinent der Welt dazu hergeben würden, offiziell zuzugeben, dass sie im Auftrag der  Kommunikationsinteressen einer Behörde unterwegs sind, macht  diese KI tatsächlich zu "mehr als einem Chatbot". Die "europäische Alternative für informierte Debatten" ist ein Politikum, ein Meilenstein der Übergriffigkeit staatlicher Instanzen auf die unabhängige Berichterstattung. 

Bewaffnet mit dem Argument, dass die Infrastruktur hier "vollständig europäisch" sei, übernehmen unverdächtig erscheinende Medienhäuser die Öffentlichkeitsarbeit einer Institution, die aufgrund ihrer traurigen Leistungsbilanz schwer unter Druck steht. Große Redaktionen geben ihre redaktionelle Unabhängigkeit in die Hände einer Förderinstitution, die so transparent arbeitet, dass sie sorgfältig darauf achtet, die Kosten des Einkaufs ihrer neuen Propaganda-KI nur ja nicht öffentlich werden zu lassen. 

Unter der Überschrift der "vertrauenswürdigen, digitalen Nachrichtenvermittlung in Zeiten von KI und Desinformation" solle das Projekt "nicht nur technologische, sondern auch gesellschaftliche Barrieren abbauen" und ein "gemeinsames Informationsfundament als Basis für eine europäische Öffentlichkeit" schaffen. Wie die EU-Kommission sich eine solche Öffentlichkeit wünscht, lässt sich am Beispiel von ChatEurope heute schon sehen.



2 Kommentare:

Trumpeltier hat gesagt…

"Wes Brot ich ess, des Lied ich sing" ist eine Realitätsbeschreibung menschlichen Duckmäuser-Verhaltens, die dem modernen GenZ-Handywischmob wie steinzeit-chinesisch vorkommt.

Die können nur noch Millisekunden-TikTok, denn für mehr Aufmerksamkeit fehlt es im Oberstübchen, das die Schule z.B. mit diversen geschichtlichen Herrscherhaus-Inzuchten gefüllt hat, während innovative Wissenschaftsthemen als rassistisch geltend gestrichen werden, wenn die Teilhabefachkraft Ongobongo darin schlechte Noten kassiert, weil der zukünftige Rentenbeitrags-Sicherungsexperte ausschließlich Drogenchemie kapiert.

Aber wen interessieren schon die Grenzen der Wirklichkeit, wenn ein grenzenloses denkbefreites Multikulti-Universum lockt, in dem täglich auf der Straße gutmenschlich tolerant neu verhandelt wird, wer leben darf und wer sterben muss?

Die 'Mohrenstraße' in ? darf und soll jetzt übrigens - koste es, was es wolle - umbenannt werden. Ich empfehle zur Vermeidung weiterer Sondervermögen 'Möhrenstraße'.

Schickt statt den gesamten Bauhof also den Integrationsbeauftragten mit einem Filzstift los, denn zwei Punkt draufmalen wird der Spitzenbeamte ja wohl noch schaffen, wenn's um so etwas Wichtiges wie die schildbürgerliche Unsichtbarmachung der uns bunt bereichernden People of Color geht.

... und morgen fordert man dann die Retoure, um Buntheit nicht nur öffentlich erlebbar, sondern auch lesbar zu machen.

Bald haben wir alles deutschsprachlich politisch korrekt umbenannt, was die dann Bürgermehrheit aber wenig kümmern dürfte, weil die zur Orientierung arabische Beschriftungen haben will.

Insch Allah.

Anonym hat gesagt…

Spitzentool. Meine Frage an den Chatbot:
was waren ursula von der leyens wichtigste politische ergebnisse der letzten zeit?

Ich lasse mal alles Unnötige weg:
Von der Leyen ...hat das Ziel... bis 2050 skizziert.
Sie betonte ... und sprach sich ... aus.
Sie präsentierte...
Von der Leyen kündigte ... an...
Sie plant...


Die brennt da wirklich ein Feuerwerk ab.