Sie waren alle da, die Engländerinnen, Spanierinnen und Französinnen, natürlich auch die Schweizerinnen, zumindest eine Zeit lang. Die Europameisterschaft im Frauenfußball, eine herabsetzende Bezeichnung, die aber gleichwohl den Sprung in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden hat, zeigte eine moderne Sportwelt, wenn gleich sie nicht ganz so modern war wie frühere Turniere. Die Regenbogenbinde erregte kaum mehr Aufsehen. Die englischen Fußballerinnen weigerten sich erstmals seit den großen Tagen von "Black Lives Matters", vor jedem Spiel rituell niederzuknien. doch es wurde auch kaum von "Damen" gesprochen, früher ein gängiger Terminus.
Ein Tabu neben dem Platz
Auch der offenkundige Mangel an farblicher Vielfalt ausgerechnet im Team des DFB blieb tabu - statt hier, bei den sichtlichen Mängeln im Bereich Integration auf die Suche nach dem Scheitern schon im Halbfinale zu gehen, verlegten sich Kommentatorinnen und Analystinnen auf Begriffe aus der Beckenbauer-Ära: Auch den Frauenfußballspielerinnen wurden die großen deutschen Sekundärtugenden zugeschrieben. Wille, Kampf, Mentalität. Nicht genannt, aber gemeint waren Helmut Schmidts "Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Standhaftigkeit", jene deutschen Eigenschaften, die der spätere SPD-Chef Oskar Lafontaine einmal die Voraussetzung nannte, "auch ein KZ zu betreiben."
Streitbar und feministisch in einem so selbstverständlichen Sinn, das Deutschland größtes Gleichstellungsproblem nicht ein einziges Mal auf die Tagesordnung geriet. Denn zwischen all den Waliserinnen, Norwegerinnen, Isländerinnen und Polinnen und Däninnen, vom Männerverein Uefa wie selbstverständlich "Teilnehmer" genannt, klafft ein sprachlicher Abgrund, mit dem die Kommentatorinnen einmal mehr heftig zu kämpfen hatten. Deutschland, ein Vorbild für die Welt, was Gendersprache anbelangt, erwies sich als unfähig, seine eigenen Fußballerinnen zu gendern.
Eine verdrängtes Problem
Öffentlich ist das Problem kaum bekannt. Bisher wurde es vom Medien, Wissenschaft und Politik totgeschwiegen. Die Frauenfußball-EM aber verdeutlichte einmal mehr: Es gibt weder "Deutschinnen" noch "Deutschländerinnen" in der deutschen Sprache. So wenig diese eigentümliche Sprache einen Reim auf "Mensch" kennt, so wenig lässt sie auch 700 Jahre nach dem Abschied vom Mittelhochdeutschen zu, dass Frauen mit einem eigenen Wort als Staatsbürgerinnen respektiert werden.
Es ist eine Peinlichkeit sondergleichen. Ausgerechnet in der deutschen Sprache, die mehr als viele andere die Möglichkeit gibt, Berufe, Rollen und soziale Funktionen geschlechtsspezifisch zu markieren, fehlt es an einer Formulierung, die Frauen endlich auch als Staatsbürgerinnen - etwa im Sportdress - ihren männlichen Kollegen gleichstellt.
Am Designation Gap
Vom designation gap spricht die Gebärdendolmetscherin Frauke Hahnwech, die sich bereits seit Jahren für die Neuschaffung eines entsprechenden Begriffes starkmacht. Sie verweist auf langjährige Traditionen: Während im Englischen ein "doctor" sowohl männlich als auch weiblich sein kann, kennt das Deutsche den Arzt und die Ärztin, den Lehrer und die Lehrerin. Diese sprachliche Präzision habe in den letzten Jahrzehnten eine intensive Debatte über geschlechtergerechte Sprache ausgelöst, die in Formulierungen wie "Bauarbeiter:innen" oder "Studierende" gipfelt. Mit denen sei versucht worden, die sprachliche Ungerechtigkeit zu neutralisieren, sagt Hahnwech.
Doch während Deutschland wegen dieser Bemühungen in Sachen Gendern weltweit als Vorreiter gilt, sei ein besonders sensibler Bereich auffällig unberührt geblieben. "Wir haben bis heute keine Bezeichnung für weibliche Staatsangehörige", klagt Frauke Hahnwech. Es geb Engländerinnen, Spanierinnen, Französinnen – aber keine Deutschinnen. Die auf Live-Übersetzungen aus dem Politischen spezialisierte Mitteldeutsche ist es leid. "Denn ein Blick in die Sprachgeschichte zeigt doch, warum diese Lücke besteht und welche Hürden einer Einführung im Wege stehen."
Versäumnisse in der Historie
Die historische Wurzel hat Hahnwech in jahrelangen Forschungen in einem Versäumnis in der Historie gefunden, das weit zurück liegt. Schon im Althochdeutschen seien Berufe oder soziale Rollen oft durch Suffixe wie "in" für Frauen markiert worden. Diese Praxis setzte sich mit dem Übergang zum Mittelhochdeutschen fort und sie sei im Neuhochdeutschen weiter verfeinert worden. "So entstanden Bezeichnungen wie Königin oder Bäuerin, die klar das Geschlecht der Person anzeigten." Weil es damals aber noch kein Deutschland im Sinne des heute weltweit hochanerkannten Staates gegeben habe, sei die Bildung einer Bezeichnung für weibliche Staatsangehörigen wohl schlicht vergessen worden.
Hahnwech ist sicher: "Es entwickelte sich eine andere Dynamik, Deutsche schauten auf andere Länder und begannen zwischen weiblichen und männlichen Staatsangehörigen zu unterscheiden, indem sie sie mit den üblichen Suffixen versahen. Neben dem Engländer entstand die Engländerin, zum Russen gesellte sich die Russin. Für Deutsche aber blieb es bei einem Wort: Der Deutsche ist bis heute auch die Deutsche. Eine spezifisch weibliche Form wie Deutschin kennt weder die Umgangssprache noch der Duden oder der Rat für deutsche Rechtschreibung. "Der Grund liegt in der historischen Entwicklung des Begriffs Deutscher, der zu einer Zeit Mode wurde, als die Gesellschaft stark patriarchalisch geprägt war."
Definition durch den Mann
Staatsbürgerschaft und nationale Identität seien damals primär über den männlichen Bürger definiert worden. Das Wort "Deutscher" war somit nicht nur eine Bezeichnung für die Nationalität, sondern auch ein Symbol für den männlichen Staatsbürger, der politische Rechte und Pflichten trug – "Frauen waren in dieser Zeit weitgehend von politischer Teilhabe ausgeschlossen, niemand benötigte eine weibliche Form wie Deutschin."
Nicht einmal diese grammatische Ableitung, mit der deutsche Muttersprachler heute selbstverständlich Frauen aller anderen Nation bezeichnen, fand auf die Hälfte der deutschen Staatsbürger Anwendung. "Und dabei ist es aus Gewohnheit geblieben - oder eben, weil männliche Vorgaben immer noch den Sprachgebrauch bestimmen." Deutsche Frauen sind dadurch bis heute die einzigen weiblichen Wesen weltweit, die ohne eine eigenständige sprachliche Identität auskommen müssen. "Während deutsche Muttersprachler andere weibliche Landsleuten die weibliche Formen wie Engländerin oder Französin zubilligen, um sie dadurch zu integrierten, muss die deutsche Frau mit einer de facto männlich konnotierten Form leben."
Der Deutsche als Standard
Unwidersprochen gilt der Begriff "Deutscher" bis in engagierte Genderkreise als selbstverständlicher Standard für alle Geschlechter. Die Forderung nach einer weiblichen Form wie "Deutschin" oder "Deutschländerin" wird nicht einmal dort aufgemacht, wo experimentell nach genderneutralen Benennungen für Varianzen gesucht wird, die oft nicht einmal im univesitären Mileus usus sind.
Zwar hat die Genderdebatte die deutsche Sprache in den letzten Jahren nachhaltig verändert und die Gesellschaft entlang des sogenannten *-Grabens gespalten. Doch seit der Einführung des Gendersternchens ("Bauarbeiter*innen“", des Binnendoppelpunkts ("Radfahrer:innen") oder der Binnen-I ("LehrerInnen") stockt die Entwicklung. So konnte sich das Partizip Präsens, etwa in "Studierende" als vermeintlich geschlechtsneutrale Form etablieren, geopfert wurde dabei jedoch die sprachliche Akkuratesse: "Studierende" bezeichnet eigentlich Menschen, die gerade studieren, nicht die Gruppe der Studenten insgesamt. Zu Kollisionen kommt es, wenn Stapelverarbeitungen notwendig sind. Ein Student konnte früher durchaus auch ein Radfahrer sein. Ein Studierender aber ist niemals zugleich ein Radfahrender.
Ausdruck eines Wandels
Diese Entwicklungen sind ein Ausdruck des gesellschaftlichen Wandels, der Frauen und nicht-binäre Personen sichtbarer machen will, dabei aber das Wichtigste vergisst: Den Begriff "Deutscher" mitzunehmen in den Sprachwandel. Er wird nicht nur als Nationalitätsbezeichnung, sondern auch als Symbol für die Nation verstanden. Ohne einen Begriff wie Deutschinnen kann keine sprachliche Einheit der Nation erreicht werden. "Die Deutschen als Bezeichnung für eine Mannschaft aus Frauen ist unterirdisch", urteilt die Sprachexpertin.
Deutsche Frauenfußballspielerinnen finden sich in dieser Situation ebenso als "Deutsche" abgewertet und unsichtbar gemacht wie ein Frauengruppe aus Schwerin, die im Auslandsurlaub als "die Deutschen dahinten" maskulinisiert wird. In einer Zeit, in der nationale Identität ohnehin kontrovers diskutiert werde, erscheine eine Veränderung dringend geboten, sagt Frauke Hahnwech. "Dass wir alle glauben, dass die Bezeichnung Deutsche auch für eine Frau bereits grammatikalisch korrekt ist, bedeutet nicht, dass sich als inklusiv wahrgenommen wird."
Die Sprache hat alle Möglichkeiten
Die deutsche Sprache gibt der Gesellschaft aus ihrer Sicht alle Möglichkeiten, die "Deutschin" komplementär zu "Polin" und "Ukrainerin" morgen einzuführen. "Das Deutsche ist durch seine Flexionsvielfalt komplex, aber auch dynamisch", sagt die Sprachexpertin. Die Einführung einer neuen Form wie "Deutschinnen" würde nicht nur die Sprachgewohnheiten verändern, sondern sie könnte auch in alle bestehenden Texte, Gesetze und Dokumente eingeführt werden, ohne die bei vielen ungeliebten Gendersternchen oder ungelenke Formulierungen wie "Studierende" bemühen zu müssen. "Wir sprechen von Schwedinnen und Türkinnen, warum also nicht von Deutschinnen?"
Dass ein solcher Sprachwandel, den der neue Kultusminister Wolfgang Weimer anschieben sollte, auf Widerstand in traditionalistischen Kreisen treffen würde, schreckt Hahnwech nicht ab. "Ich weiß, dass die Einheitsbezeichnung "Deutscher" für manchen ein unverrückbares Symbol ist, das durch eine geschlechtsspezifische Aufspaltung entwertet würde." Doch die mediale Berichterstattung zu Frauen-EM der Fußballerinnen habe gezeigt, wie sehr deutsche Sportlerinnen zurückgesetzt würden: "Jeden Tag ging es um Engländerinnen, Spanierinnen und Französinnen, dagegen wurden unsere deutschen Spielerinnen konsequent nur als Deutsche bezeichnet, als seien sie Männer."
Es geht um Gerechtigkeit
Es gehe nicht um Geschmack, es gehe um sprachliche Gerechtigkeit, sagt Frauke Hahnwech. Die Einführung der Begriffe "Deutschin" und "Deutschländerin" sei nicht nur eine dringend erforderliche sprachliche Konvention, sondern auch ein Zeichen dafür, dass die Genderdebatte im Bereich der Nationalitätsbezeichnung angekommen sei.
Die Medien, die oft als Treiber gesellschaftlicher Debatten fungierten, dürften sich nicht länger scheuen, neue Formen wie "Deutschinnen" zu verwenden, weil sich befürchteten, ihre Leserschaft zu verprellen oder als zu progressiv wahrgenommen zu werden. "Die Einführung der Deutschin in unsere Sprache wäre ein machvolles Zeichen dafür, dass die Angst vor einer weiteren sprachlichen Spaltung den Fortschritt nicht aufhält."
1 Kommentar:
Nachdem bei obigen Neuzeit-Gladiatorinnen Genderbegriffe wie 'Deutschinnen' und auch 'Frauinnen' der Political-Correctness-Inquisition anheim gefallen sind und man außerdem Gefahr läuft, eins der vielen neuen Geschlechter im oberflächlich weiblich wirkenden Körper falsch benannt oder angesprochen zu haben, was inzwischen drakonische Strafen und immense Schmerzensgeldforderungen im Marschgepäck hat, kehre ich zu meinem bereits früher geprägten Begriff 'Tittenfußball' zurück, um trotz aller Nachäfferei einen markanten Unterschied zur flachbrüstigen 'Mannschaft' zu verdeutlichen, die jedoch auch längst divers rumbolzt.
Ich denke, das ist trotz neobabylonischer Sprachverwirrung allgemein verständlich.
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