Mit gleich zwei wegweisenden großen Urteilen ist der Europäische Gerichtshof (EuGH) den europäischen Mitgliedstaaten und der EU-Kommission in diesen Tagen in den Arm gefallen. Einmal entschied er, dass die EU-Staaten Geflüchtete auch dann unterbringen und versorgen müssen, wenn so viele von ihnen gleichzeitig ankommen, dass ihnen das nicht möglich ist.
Im zweiten Fall zogen die Richter die Grenzen für die Ausweisung von sicheren Herkunftsstaaten enger und sie zerstörten gezielt den Konsens der großen EU-Asylreform vom 2024: Auch Asylanträge Migranten, die aus vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten kommen, dürfen nicht in Lagern im Ausland geprüft werden. Das ist nur zulässig, wenn es sich bei den Herkunftsstaaten um Länder handelt, in denen jedem einzelnen ihrer Bürger ein sicheres Leben möglich ist.
Ein Traum ist damit aus. Es hätte so hart werden können, hart und abschreckend. Demonstrativ in Hemdsärmeln besuchte Ursula von der Leyen im September 2023 das Migrationskrisengebiet Lampedusa, um ihren großen Zehn-Punkte-Plan gegen "irreguläre Migration" in angemessenem Ambiente vorzustellen. Von der Leyen, in den Tagen des Starts der großen Zustromkrise fest an der Seite der damaligen Kanzlerin Angela Merkel, ging aufs Ganze. Der "hohe Zustrom von Migranten" sei "eine europäische Herausforderung", sagte sie. Und die brauche "eine europäische Antwort".
Acht kurze Jahre
Acht Jahre hatte es bis dahin gedauert. Acht Jahre, in denen dieses Lied immer wieder gesungen worden war. Die Liste der EU-Krisengipfel zum Thema füllte Seiten, die Protokolle der gescheiterten Verhandlungen um einen gemeinsamen Weg füllten Bibliotheken. Niemand konnte sich auf nichts einigen, schon gar nicht gemeinsam. Wer sich traute in Europa oder musste, weil ihm die Wähler in Scharen fortliefen, der tat irgendwas. Die anderen mühten sich, so zu tun, als seien sie auch zu allem bereit.
Mit der Entdeckung von "Schleusern" als Ursache des gesamten Migrationsschlamassels gelang Ursula von der Leyen dann ein Geniestreich. Alles, was die Wertegemeinschaft gegen die Mühseligen und Beladenen, die Verfolgten und Bedrohten unternehmen würde, richtete sich nun gegen den "Teufelskreis des Narrativs der Schmuggler", wie von der Leyen die neue harte Linie der 27 erklärte. Wer "legale Migration besser bewerkstellige", der könne auch "um so strikter können gegen irreguläre Migration vorgehen", schlug die Kommissionpräsidentin auf Lampedusa vor.
Deutlich verschärft
Ein Durchbruch. Zwar dauerte es noch ein halbes Jahr, ehe der vielen, vielen zuständigen europäischen Institutionen den "deutlich verschärften Asylregeln in der EU" zugestimmt hatten. Doch gerade noch rechtzeiitg vor der damals gerade anstehenden EU-Wahl war das ein "wichtiges Zeichen", wie der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei sagte.
Manfred Weber, als Spitzenkandidat für den Kommissionsvorsitz einst siegreich, von Merkel und Macron aber beiseitegeschoben und durch von der Leyen ersetzt, lobte den historischen 10. April als "wichtigen Tag für die Einheit Europas". Ursula von der Leyen konnte die Bedeutung der Einigung auf "einheitliche Verfahren an den Außengrenzen sowie eine Neuregelung bei der Verteilung von Flüchtlingen" gar nicht genug loben: "Wir haben geliefert, was die Europäer wollten."
Ende am Wahltag
Natürlich endete die Bedeutung der großen Migrationseinigung mit dem Wahltag. Die europäische Lösung, zehn Jahren zu spät und mit "innovativen Ideen" angefüllt, verschwand so schnell auf der öffentlichen Wahrnehmung wie die nach dem italienischen Vorbild geplanten "Abschiebezentren außerhalb der EU", die die EU nach einer sehr eigenen Konstruktion entworfen hatte.
Um zu "schnelleren Asylverfahren an den EU-Außengrenzen" zu kommen, die "die Zahl der in Europa ankommenden Migranten vermindern und abgelehnte Asylbewerber schneller zur Ausreise zwingen, erdachten die Bürokraten in Brüssel eine "legal fiction of non-entry" genannte Rechtsfantasie: Eingereiste Asylbewerber würden sich auf dem Boden der Eu befiunden, aber behandelt werden, als seien sie noch irgendwo jenseits der Grenze.
Ein kleiner Schwindel
Das gemeinsame Asylrecht würde künftig auf einem kleinen Schwindel beruhen, einer Art Guantanamo-Lösung, über die die Verantwortlichen nur in Rätseln sprachen. Geflüchtete wären drin, aber zugleich auch draußen, sie hätten Rechte, aber auch nicht. Gefesselt von ihren eigenen Regeln, allesamt erlassen in besseren Tagen, sah sich die EU gezwungen, sich einmal mehr mit Taschenspielertricks an den eigenen Werten vorbeizulügen.
So wie ihre Grenzkontrollen zum Teil sschon siet zehn Jahren "vorübergehend" sind und ihr großen Binnenmarkt keine Zollgrenzen kennt, außer denen, die den Handel mit zahllosen Waren behindern oder gar unterbinden, sollte auch das neue große und schöne Asylsystem dafür sorgen, dass etwas getan werden kann, von dem man stets behauptet hatte, dass es aus rechtlichen Gründen keinesfalls möglich sei, es zu tun. Ging nun doch: Mit der Idee "sicherer Drittstaaten" würden Staaten dafür bezahlt, keine Flüchtlinge durchzulassen. Abgelegt in Afrika und auf dem Balkan wären die Geflüchteten aus den Augen, aus dem Sinn und - besonders wichtig! - als Wahlkampfthema mausetot.
Ursula von der Leyen versprach dazu noch mehr Remigration und etwas, das sie "strengere Pflichten" nannte, aber nicht näher beschrieb. Gleich nach dem "sofortigen Start" der großen "Asylreform" würde es losgehen mit der "umfassenden Registrierung und Sicherheitsüberprüfung von Flüchtlingen" europaweit. Dann würde verteilt und diesmal würden sich alle genau daran halten. Versprochen.
Es sind immer nur 14 Tage
Wie immer in den zehn Jahren seit Angela Merkels optimistischer Zusage aus dem Jahr 2015, dass eine europäische Lösung in nur 14 Tagen gefunden werden könne. Seit dem Sommer des großen Zustroms liegen diese 14 Tage immer kurz hinter dem Horizont. Merkels Versprechen, stellvertretend für Europa ein freundliches Gesicht zeigen zu wollen, befeuerte die Nachfrage auf den Fluchtrouten. sollte und führte zu erheblichen Spannungen innerhalb der EU. Deutsche Politiker waren zornig, weil andere Staaten ihre Grenzen schlossen. Andere Staaten waren sauer, weil Deutschlands Willkommenskultur den Zustrom nie abreißen ließ.
Die Uneinigkeit zeigte sich in der Ablehnung von komlizierten Quotenregelungen, im Boykott der Ufteilung durch Durchwinken und Ende der Dublin-Verordnung, die ursprünglich vorgesehen hatte, dass der Erstankunftsstaat für Asylverfahren zuständig bleibt. Die EU zeigte sich auch in dieser Krise im üblichen Zustand: Partikularinteressen prallten unlösbar aufeinander. Es fehlten die intellektiellen wie die institutionellen Kapazitäten, um eine effektive Antwort zu formulieren.
Der Versuch einer Struktur
In den folgenden Jahren mühte sich die EU, eine langfristige Lösung zu entwickeln, ohne die Kernfrage anzugehen: Können prinzipiell alle acht Millarden Menschen von überallher kommen? Auch der EU-Migrations- und Asylpakt von 2023 beantwortete diese Frage nicht, er imaginierte vielmehr ein neues Regelwerk, das vorgab, Migration und Asylverfahren in der EU steuern zu können. Schlagworte waren wie immer Beschleunigung, Begrenzung und Verteilung, bessere Sicherung der Außengrenzen und die erklärte Absicht, mit abschreckenden Verfahren für eine sinkende Nachfrage bei Zuzugswilligen zu sorgen.
Doch der Pakt, als historischer Durchbruch gefeiert, war die erneute geburt eines Papiertiger. ER blieb nicht nur weitgehend wirkungslos, sondern vollkommen, weil die Umsetzung ebenso an der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Mitgliedsstaaten scheiterte wie zuvor die Umsetzung der alten. Die absrude Idee, Asylverfahren "an den Außengrenzen", aber in der EU zu beschleunigen stieß auf praktische und rechtliche Hindernisse. Niemand will diese Lager haben. Zudem fehlten weiterhin konkrete Mechanismen, um abgelehnte Asylbewerber effektiv zurückzuführen.
Noch mehr Symbolpolitik
Schon die vielen Zehn-Punkte-Pläne, die von der Leyen seit 2018 vorgelegt hatte, illustrierten die Hilflosigkeit der EU. jeder einzelne sollte die Bürger beruhigen und den Eindruck von Handlungsfähigkeit vermitteln. Jeder einzelne setzte auf das prinzip Hoffnung: Endet der Krieg hier oder dort, kommen ohnehin weniger. Vielleicht ist im Mittelm eer auch schlechtes Wetter. Maßnahmen wie verstärkte Überwachung auf See und aus der Luft, die Zusammenarbeit mit Drittstaaten wie Tunesien oder die Bekämpfung von Schleusernetzwerken wurden regelmäßig angekündigt, ohne dass sie nachhaltige Wirkung zeigten. Frontex, die Grenzschutzagentur der EU, wurde nachhaltig nur auf eine Weise gestärkt: In Polen, weit, weit weg vom Haupterlebnisraum, bekam die Behörde für 250 Millionen Euro ein neues Hauptquartier genehmigt.
Ein starkes Zeichen ohne Folgen. Bei den Abschiebezentren tat sich stattdessen gar nichts. Die "innovative Idee" (von der Leyen) ist nun spätestens mit dem EuGH-Urteil noch im Kindbett gestorben. Glücklicherweise schon weitgehende vergessen. Enttäuschung über das scheitern macht sich nirgendwo mehr breit, weil niemand mehr mit etwas anderem gerechnet hat. Längst sind Länder wie Polen, Ungarn und die Niederlande stillschweigend aus dem gemeinsamen Asylsystem ausgestiegen. Selbst Deutschland führt wieder "vorübergehende Grenzkontrollen durch, die dauerhaft werden könnten - die EU-Kommission, die das eigentlich genehmigen müsste, schweigt schon lange lieber still.
Vorbei sind selbst die Zeiten, in denen der Begriff "Flüchtling§ erst durch "Geflüchteter" und dann durch "Migrant" ersetzt werden musste, um den Nochnichtsolangehierlebenden gebührenden Respekt zu erweisen. Von der "Bekämpfung der Fluchtursachen", diesem regelmäßig als langfristige Lösung angepriesenen Zaubertrick, ist auch nicht mehr die Rede.
Ein Scheitern in Zeitlupe
Es ist ein Scheitern in Zeitlupe, aber eins auf ganzer Linie. Die EU hat es in den vergangenen zehn Jahren nicht geschafft, eine funktionale und einheitliche Migrationspolitik zu entwickeln - und auf den Resten der guten Absichten zur schärferen Abschottung führen die Richter des EuGH die Geminschaft nun auch noch am Nasenring einmal innen entlang an allen Außengrenzen.
Jeder EU-Staate muss Geflüchtete auch dann unterbringen und versorgen, wenn er es nicht kann, weil ihm die Kapazitäten fehlen. Und ein sicherer Herkunftsstaat ist nur der, aus dem niemand flüchten muss. Gründlicher hätten die Grundlagen der EU-Asylreform vom 2024 auch durch ein stures Weiterso nicht unterminiert werden können. Auch der von seinen Müttern und Väter und in den Medien hochgelobte EU-Migrations- und Asylpakt entpuppte sich nur als weitere Luftnummer. Auch wenn die Zahlen der Zufluchtsuchenden derzeit durch ein verändertes Umfeld zurückgehen, bleibt die Migrationsfrage für die EU ein ungelöstes Rätsel.
1 Kommentar:
Sobald eine Handvoll nicht von den etwa 450 Mio. EU-Bürgern gewählter Justizhansel darüber zu entscheiden hat, wer ins Land darf, war's das mit der vielgerühmten Demokratie.
Spätestens dann entlarvt sie sich selber als Makulatur, als Scheinrechtssystem für leichgläubige Heile-Welt-Träumer.
Wie man hört, wirft die Bunteswäär nun Hilfsgüter über Gaza ab, die dann sofort von der Mörderbande Hamas kassiert werden.
Am Hindukusch jämmerlich scheitern, an der Heimatfront ohne Job, aber weltweit unüberlegte Sozialaufgaben übernehmen, die kontraproduktiv sind.
Dass sie dort keine Massennot beseitigen helfen, sondern nur Terrorgesindel mästen, das übersteigt ihre Michelhirne. Gleichzeitig betteln sie in der BILD, ihre Geiseln freizulassen.
Dumm. Dümmer. Deutsch.
Dieses Land/Volk lieben?
Ich liebe doch auch keine in Blattgold eingepackten Kackehaufen.
"Wer Kalkutta zu sich einlädt, rettet nicht Kakutta ... sondern wird zu Kalkutta." (P. Scholl-Latour)
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