Samstag, 8. November 2025

Wir gegen die: Sehnsucht nach Verbrennern

Kultur wird großgeschrieben, das Wir bestimmt, was Kultur ist.

Sie kommen mit Büchern unter dem Arm, harmlos Literaturfreunde, Kisten von Schmökern im Auto und Autoren im Gepäck. Sie nennen ihre Zusammenkunft eine Buchmesse und sie haben ihr den Titel "Seitenwechsel" gegeben, der schon andeutet, woran wirklich gedacht ist. Nichtsahnende Besucher sollen auf die andere, die dunkelbraune Seite gelockt werden, ihren Blickwinkel ändern, sie abwenden von der Gemeinschaft in der demokratischen Mitte. 

Getarnte Leseratten 

Was aussieht wie ein ganz normales Treffen von Leseratten ist nur Tarnung. Engagierte Bekämpfer rechter Umtriebe hatten schon Stunden nach der Ankündigung des "Seitenwechsels" durch die in Dresden lebende Buchhändlerin Susanne Dagen herausgefunden, was wirklich dahitlersteckt. 

Die Veranstaltung in der berüchtigten Messehalle am Rande der ostdeutschen Stadt Halle, im Januar bereits Schauplatz des umstrittenen AfD-Wahlkampfauftakts, diene der Normalisierung rechter Umtriebe, der Verharmlosung des Faschismus, der Vorbereitung der Wiedererrichtung eines Nazi-Regimes und  der Reinwaschung der Anfang des Jahres vom Verfassungsschutz bereits einmal kurzzeitig als insgesamt gesichert rechtsextremistisch eingestuften AfD.

Ein Anlass, um die vom langen, teuren und vergeblichen Kampf gegen rechts müde gewordenen Protestszene zum Kulturkampf zu rufen. Eine rechte Buchmesse mag eine Buchmesse sein. Doch auch wenn noch niemand sagen kann, welche perfiden Machwerke dort genau vorgestellt werden sollen, steht der bestätigte Verdacht im Raum, dass es sich um Schund- und Schmutzliteratur der übelsten Sorte handeln wird. 

Die Zivilgesellschaft muss nicht warten, was wirklich sein wird. Sie weiß, dass von verfassungsfeindlichen Verunglimpfungen bis zu landesverräterischen Fälschungen vieles geboten  werden wird, was eine Welle des Widerstands auslösen würde, erlangte die Öffentlichkeit im Nachhinein Kenntnis davon.

Landserhefte und Hitlercomics 

Landserhefte. Hitlercomics. Bücher, die Rassismus, Verschwörungstheorien und autoritäre Narrative normalisieren. Radikalisierter Konservatismus gar, den die Protestbewegung als besonders gefährlich ausgemacht hat. Nichts Genaues weiß niemand, doch Aussteller wie den Antaios-Verlag, der Junge-Europa-Verlag oder der Ahriman-Verlag mögen formaljuristisch legal sein und ihre Bücher nicht einmal verboten. Doch das liegt offensichtlich daran, dass der Rechtsstaat sich scheut, konsequent gegen die strafrechtlich relevanten antisemitischen, völkischen und rassistischen Publikationen vorzugehen, vor denen die Initiative "Rechte Buchmesse stoppen!" warnt.

Das Demokratieteam plant einen "Antifaschistischen Zeitenwechsel" im Zeichen der schwarz-roten Antifa-Flagge. Es dürfe "keine faschistische Propagandaveranstaltung in der Stadt geben", aber "auch nirgends sonst". Kein Fußbreit den Faschisten, auch wenn sie sich als harmlose Literaturliebhaber tarnen. 60 bis 70 Aussteller will Dagen versammeln und 70 Lesungen und andere Veranstaltungen abhalten, präsentiert von Medienpartnern wie "Tichys Einblick" und Kontrafunk. Das allein zeigt schon, wie breit die Szene aufgestellt ist und wie selbstbewusst sie auftritt, nicht einmal zwei Jahre nach den größten Demonstrationen gegen rechts, die in Deutschland nach den Remigrationsenthüllungen des Fake-News-Portals Correctiv aufmarschiert waren.

Das große Wir dagegen 

Der Widerstand gegen die Buchmesse, die sich selbst "Büchermesse" nennt und gegen die vermeintlich "herrschende Ödnis" (Dagen) anzutreten vorgibt, ist von der streng ritualisierten Art, die seit Jahren Usus ist. "WIR sind alle, die sich für Demokratie einsetzen", heißt es in Anlehnung an die "große Wir", ohne das keine gesellschaftliche Formation mehr auskommt. 

"Wir sollten uns alle zusammen tun", schlagen die Verteidiger der Demokratie als Strategie gegen das "Netzwerktreffen für rechtsextreme Verlage und Ideologen" vor - eine Anspielung auf das vor einem Jahr verabschiedete neue Grundsatzprogramm der CDU, das unter der Überschrift "Zukunft gemeinsam gewinnen" dazu aufrief, Trennendes beiseite zu schieben und den Herausforderungen der Zeit als große, feste Volksgemeinschaft entgegenzutreten.

Die konsequente Ausschließeritis

Ein Wir ist immer auch ein "die anderen", eine Gemeinschaft beschreibt immer auch die, die nicht dazugehören. Jedes Wir richtet sich gegen Die, jede Eingemeindung schließt aus. Mit der Ankündigung, man lasse im Falle der Buchmesse "die Meinungsfreiheit nicht gelten" hat das Bündnis der Protestler gegen den die Veranstaltung des Dresdner Buchhauses Loschwitz frühzeitig klargestellt, dass die "Büchermesse" den Werten des Grundgesetzes widerspreche und nicht stattfinden dürfe. 

Bezeichnend sei ja schon der gewählte Termin. Am 9. November jähren sich die Ermordung des Goldschmieds, Freimaurers, Schriftsteller und Parlamentsabgeordneten Robert Blum im Jahr 1848, die Ausrufung der ersten deutschen Republik im Jahr 1918, Reichspogromnacht von 1938, der Hitler-Putsch von 1923 und der Zusammenbruch der sozialistischen DDR in der Nacht des Mauerfalls 1989. 

Die Methode der Rechten 

Nun beginnt Dagens Buchmesse am 8. November, doch das ist eben die Methode der revisionistischen Rechten. Sie tarnt ihren Versuch der Landnahme in Mitteldeutschland, indem sie eindeutige Signale sendet, sie aber verharmlosend maskiert. Als Kronzeugen für ihre lauteren Absichten bemüht Dagen mit dem amerikanischen Schriftsteller Ralph Waldo Emerson, einen Mann, der sich gegen seine Instrumentalisierung nicht mehr wehren kann.

"Der Schöpfer eines guten Buches ist der gute Leser", lässt sie den erklärten Sklavereigegner sagen, der sich vor 150 Jahren mit seiner Forderung nach einer radikalen Erneuerung und geistigen Selbstbestimmung der amerikanischen Kultur und Literatur auch nicht nur Freunde gemacht hatte.

Dissens aber ist jedem Kollektiv unheimlich. Dort, wo das Wir herrscht, ist jede Debatte überflüssig. Die Reinheit und Einheit der Auffassung gilt von links bis rechts als Mittel für und gegen alles. Die Gemeinschaft des großen Wir bietet Halt, Wärme, Trost und Ermutigung. Niemand muss mehr selbst denken müssen, das Wir des großen Ganzen ersetzt ihm den eigenen Augenschein und das selbstgemachte Urteil. "Du kannst nicht bei uns und bei ihnen genießen, denn wenn du im Kreis gehst, dann bleibst du zurück", heißt es in einem alten DDR-Schlager drohend. Entscheide Dich. Aber richtig.

Ein Urteil vorab 

Eine Buchmesse muss nicht besucht und betrachtet, geprüft und danach beurteilt werden. Es könnte dabei das Falsche herauskommen. Das "Wir" kann sein Urteil fällen, ohne den Angeklagten gesehen oder gar angehört zu haben. Es verwandelt sich dazu in ein "unser", quasi das "Wir" mit fünf Buchstaben. Und ist als "breites Bündnis aus über 40 Kulturschaffenden, Institutionen, Vereinen, Buchhändlern, Autor:innen, Musiker:innen, Theaterleuten und Wissenschaftler:innen" leichterhand in der Lage, stellvertretend für alle vor einem "Magneten für rechte Netzwerke" zu warnen und ein Verbot der Veranstaltung zu fordern.

Konsequenterweise heißt die Initiative, die mit einem "Festival der Vielfalt" den Gegenentwurf zu einer Bücherschau bis in die Lande jenseits der Brandmauer liefern will, "Wir". Dieses Wir veranstaltet das "Wir-Festival" mit Lesungen und Diskussionen über Konzerte bis hin zu "kreativen Aktionen", an dem teilnehmen darf, wer keine Eintrittskarte zur Messe des Ihr hat. "Wir" bietet ein vielfältiges Programm, das Menschen verbindet und Haltung zeigt, es verkämpft sich nicht wie andere beim Versuch, eine Veranstaltung zu verbieten, der allem Anschein nach straf- und ordnungsrechtlich nicht beizukommen ist.

Verbrennen wäre schöner 

Natürlich ist der Wunsch offensichtlich, dass diese Bücher da - noch weiß man nicht welche, aber sei's drum -  besser allesamt verbannt würde, als in Ralph Waldo Emersons Sinn einen "guten Leser" zu finden. Allein, die gesellschaftlichen Bedingungen sind derzeit nicht so. Nicht einmal Buchverbote, wie sie in der DDR wirksam gegen die Verbreitung von Hass, falschen Narrativen und Zweifeln am Gelingen des großen sozialistischen Menschenexperiments halfen, erscheinen momentan möglich. 

Für den Augenblick bliebt nur, gegen das "scheußliche Spektakel" anzudemonstrieren, wie es die Orga-Gruppe der Tagung "Myzelium" plant, unterstützt von Antifa-Gruppen wie "Paradox-A", die eine Blockade angekündigt haben. Die Grenzen der Meinungsfreiheit werden neu gezogen, wenn der selbsternannte zivilgesellschaftliche Protest im Namen eines imaginierten Wir dazu aufruft, Menschen den Zugang zu Büchern zu verwehren, die ein anonymes Weltgericht für schädlich befunden hat, ohne sie im Einzelnen angeschaut oder gar gelesen zu haben. 

"Myzelium", eine Plattform, die den "Anarchismus neben Sozialdemokratie und Kommunismus als eine der drei Hauptströmungen des Sozialismus" lobt, wird im März 2026 in Leipzig eine "selbstorganisierte Tagung zu anarchistischen Studien" durchführen, um "ein neues anarchistisches Bewusstsein" heraufzubeschwören. 

Sie wird vermutlich gänzlich unbehelligt stattfinden können. 


Keine Kommentare: