Es gab eine Zeit, in der er omnipräsent war. Ob im Talkshowstudio, am Rednerpult des Bundestags oder mit dem Fahrrad auf dem Weg ins Kanzleramt, ob als Gastbeitragschreiber oder Interviewpartner: Als grüner Übervater überstrahlte Robert Habeck die politische Konkurrenz wie ein Fixstern eine Talgkerze, bis er, enttäuschtvon mangelnder Liebe der Massen,bstill verschwand. Seine unerschütterliche Gewissheit, stets zu wissen, was zu tun war, begeisterte Millionen. Sein Charisma ließ ihm Herzen und Hirne nur so zufliegen.
Der gefallene Star
Habeck hatte den Plan, er hatte die Strategie, die Taktik und die Rezepte, um das Klima in den Griff zu bekommen. In der wankelmütigen Ampel-Koalition war er der Fels, auf den alles gebaut war, der Messias, der die frohe Botschaft von der Rettung des Weltklima brachte, und der Gott, der verfügte dass jede Heizung einmal im Jahr von Experten zu entlüften ist.
Doch dann – der Knall. Die legendäre Herzkammerwahl, das bis zuletzt offene Rennen mit der rechten Konkurrenz um den Sieg in dem, das Journalisten die Schicksalswahl nannten. Habeck, als "Bündniskanzler" angetreten, kämpfte, er stritt, er gab alles, was er hatte. Doch Habeck verlor hauchdünn, und verschwand.
Für viele, für seine Partei, die Wähler, glühende Fans und schadenfrohe Kritiker, blieb danach nur Leere. Für den Kandidaten aber bracht nicht irgendeine Welt zusammen, sondern die ganze. Wer sollte sie nun noch retten können? Wer würde die Notgaskraftwerke bauen, dem Atom standhaft Einhalt gebieten und die Grenzen offen halten? Habeck nicht. Geschockt schwieg er lange. "Ich muss mich sortieren", so sein einziger Satz nach der Demission, flächendeckend zitiert wie ein knurriges norddeutsches Gedicht.
Neu sortierter Star
Doch wie lange kann ein Mensch sich sortieren, fragten sich bald die ersten, gewohnt an die hektische Eile des politischen Betriebes. Ob ein Philosoph überhaupt jemals zu Ende sortiert sein kann, murmelten die anderen. Wochen wurden zu Monaten. Die Wiederkehr des sortierten Habeck? Verschoben. Der Minister lebte zurückgezogen. Menschen kamen zur Welt, denen sein Name später vielleicht nie etwas sagen würde.
Das größte Talent, das Berlin seit Karl-Theodor zu Guttenberg und Christian Wulff gesehen hatte, verschwamm am Horizont des öffentlichen Lebens zu einer Silhouette, manchmal erhellt vom Widerschein alter Talkshows, dann wieder verschluckt vom Nebel des Schweigens. Bei den Grünen kursierten Witzbilder von "Wo ist Robert?" – mit Suchradar, mit grüner Lupe, manchmal sogar mit Donald Ducks Gesicht im Busch nebenan. Als Verräter wurde der Anführer geschimpft, von den eigenen Leuten.
Feinde hofften Schlimmes
Freunde ahnten Schlimmes, Feinde hofften es. Geflüsterte Gerüchte sickerten durchs politische Berlin: Habeck ziehe ins Exil, ins dänische Flachland, wo seine Familie ein stilles Häuschen in den Marschen besitze, gleich hinter den Lübecker Marzipanbergen. Dann hieß es, Amerika solle es sein, zum Lehren und Lernen, trotz Trump oder wegen ihm. Dort, wo immer noch und mehr denn je auf Industrie, Forschung und Technik gesetzt werden, wolle Habeck den Rückbau von Wirtschaft predigen, unerschrocken wie stets. Als Pan-European-Schopenhauer der Emissionen werde der Staatsmann als "Visiting Professor for Degrowth Studies" in Harvard oder Stanford lehren.
Doch dann, just an einem windigen Mittwoch im späten Frühling, passiert das, was nur in der Provinz und dem Grünen-Milieu noch größere Furore auslösen kann als der Fund einer neuen Vogelart im Hamburger Hafen. Hans und Ulle Karamasi, Urlaubsreisende, Berufspädagoge und - sie - eine leidenschaftliche Wildkamillenteesammlerin aus Rostock, waren im Mittleren Westen der USA unterwegs. Erste USA-Reise. Ungeheure Eindrücke. Authentizität. Amerikanismus. Auf der Suche nach der echten, unbearbeiteten Natur sind sie, mitten im mittleren Westen.
Und dann finden die beiden, unverhofft: Robert Habeck.
Das Schild vor dem geschliffenen Bretterverschlag am Rande von Story City, Iowa ziert der Schriftzug "Robert is here". Ein komisch ironisch gemeinter Name, wie sie vermuten, oder ein schlechter Google-Übersetzungsstreich? Doch hinter Melonenbergen und Mangoregallanden steht er dann tatsächlich: DER Robert. Robert Habeck. Die berühmte Stirn liegt kritisch in Falten, das Haar – leicht ergraut, ungebändigt wie eh und je – fällt ins lesende Gesicht. Habeck packt gerade eine Kiste Melisse aus, als Hans und Ulle, zwischen Fassungslosigkeit und Begeisterung schwankend, den Stand betreten.
Habeck grüßt zurückhaltend, aber nicht unfreundlich. "Sie beiden sind also die ersten, die mich erkennen", räumt er ein und legt ein paar reife Iowa-Mangos in eine Papiertüte. Ulle erkennt sofort den alten Sprachduktus des grünen Vordenkers: lange Hauptsätze, kurze Atempausen, hin und wieder ein Heine-Zitat zwischen Melonen und Gurken. "Manchmal", sagt er, halb für sich, halb als Statement an die übrigen Anwesenden, "muss man den Strukturwandel mit der Frucht beginnen. Das Klima wartet nicht."
Taschenmesser und Mangofrucht
Was wie die Pointe einer Late-Night-Comedy klingt, ist bitterernst gemeint. Habeck hat, so berichten später Hans und Ulle ihren Freunden, nicht aufgegeben, sondern – im Gegenteil – neu angesetzt. Er spricht, während er nachdenklich mit dem - hier immer noch erlaubten - Taschenmesser an einer Mango schneidet, von der Notwendigkeit entschlossenen Umsteuerns. "Die Frage, wie wir die Klimaerhitzung im völkerrechtlich erlaubten Rahmen von 1,5 Prozent halten, stellt sich nicht nur in Berlin oder Brüssel – sondern erst recht hier, wo ein Hektar Land so viel wie eine Eigentumswohnung in Prenzlauer Berg kostet, aber mehr CO₂ binden könnte als ein ganzer Windpark auf Sylt."
Die wenigen, die den kleinen Bretterstand besuchen – Farmer aus der Nachbarschaft, ein hungriges Roadtrip-Pärchen aus Des Moines, gelegentlich ein scheu vorbeihuschender Amish-Teenager – hören ihm mal mit höflichem Interesse, mal mit amerikanischer Gleichgültigkeit zu. Habeck ist unwillkürlich ins Deutsche gefallen, das will noch nicht raus aus ihm nach so wenigen Monaten.
"In Germany, I was responsible for climate protection," klärt er die Umstehenden auf. Habeck und grinst sein unsicheres Jungenlächeln, während er die Mango über die Scannerkasse zieht. Die Farmer nicken höflich. Sie haben ihre eigenen Sorgen – die Dürre, den Börsenpreis für Mais, Donald Trumps Rückkehr, die anstehende Wahl zum Sheriffamt ihres Countys.
Neue Heimat
Habeck nimmt es gelassen. Seine neue Heimat ist nüchtern und weit, ökologischer Diskurs findet, wenn überhaupt, im Schatten der Silos und bei der Maisernte statt. Doch manchmal, wenn ein besonders hübscher Sonnenaufgang die Szenerie in leuchtendes Gold taucht, wirkt der ehemalige Klimaökonom und Kanzlerhoffnung ganz zufrieden. "Hier verkauft man noch, was wächst", sagt er und blickt hinüber zu den Zucchini, die im Straßenstaub des nahen Highway liegen wie kleine, grüne U-Boote am D-Day des Degrowthing.
Berlin, erinnert sich Habeck im Gespräch mit Ulle, sei "immer auch ein Versprechen gewesen – darauf, Dinge verändern zu können". Iowa dagegen sei die gelassene Zäsur, die "Möglichkeit, Fehler nicht zu wiederholen, sondern sie zu verschenken: als Erfahrung, als Mango, als Melisse – alles biologisch, versteht sich". Von der Perfektion des eigenen Satzes selbst überrascht, lacht er kurz, er wirkt leichter, gelöster, er weiß jetzt, er kann es noch. Aber die Melancholie bleibt, sie hängt über ihm wie der Abendtau über der Prärie.
Nüchterne Erklärungen
Natürlich gibt es auch die nüchternen Erklärungen. Die Bundestagsdiäten, so sagt er, flössen ihm noch monatlich zu. "Ich weiß, es ist nicht fair, aber ein Handstand in Bayreuth wäre gegenwärtig auch keine Option." Einmal, so schiebt er, habe ihn ein dänischer Kollege gefragt, ob er nicht in Kopenhagen einen Lehrstuhl übernehmen wolle – Governance, Nachhaltigkeit, irgendwas mit Verantwortung in Skandinavien. Doch das "Herzversagen in den Lücken zwischen Regierungsetagen und grüner Basis", das nehme er niemandem mehr ab, auch sich selbst nicht. Und Dänemark komme nicht infrage. "Dort waren sie doch die ersten, die die Grenzen geschlossen haben."
Hans und Ulle hören zu und fragen: Ob er denn wieder zurückkomme? Wenn das Volk ihn rufe? Oder sowieso? Eines Tages? Habeck zuckt die Schultern wie einer, der die Welt schon dreimal umgebaut und wieder zurückgebaut hat. "Vielleicht", sagt er, "wenn die Mangoernte ausfällt. Oder wenn einer in Berlin begreift, dass man mit weniger mehr leben kann."
Wo einst Ministerautos vorfuhren und Kameras warteten, sucht ein Grüner mit Philosophiestudium jetzt nach dem perfekten Gleichgewicht zwischen Fruchtfliegen und Fruchtqualität. "Die Deutschen leben zu sehr im Raster", gibt er Hans noch mit – "man müsste mal für ein Jahr die Berater rauswerfen, die Paragrafen abschaffen, alles direkt handeln: Tausch Melone gegen Melancholie." Ulle kichert. Frauen fühlen, was andere nicht sehen. Sehnsucht. Brüche in der Biografie. Hans fragt, ob das jetzt schon wieder Wahlkampf sei; Habeck lacht. "Nicht mehr mein Zirkus, nicht mehr meine Affen."
Avocado, Ananas und Apfelsinen
Er hat jetzt Avocado, Ananas und Apfelsinen, gezogen ganz in der Nähe von Maxwell Creek. America First, diese teuflische Parole von Donald Trump, sie hilft hier. Von außen wirkt Habecks Stand wie ein Relikt aus einer besseren Zukunft, gebaut aus altem Holz und neuen Träumen. An der Wand hinter den Möhrenblättern hängt ein handgezeichnetes Plakat: "Wetter ist kein Klima. Klima ist mehr als Wetter. Regional first. Think global, act Iowa.“
Längst haben nicht nur die Frauen und Töchter der Bauern ringsum, sondern auch ein pensionierter Bibelseminarlehrer und ein Trucker, der Erdnussbutterchipwiches lädt, den Deutschen mit den "deep thoughts" tief ins Herz geschlossen. Die einen kommen für die Mangos. Die anderen, weil er Geschichten erzählt: von der Nordsee, dem Sturm über Berlin, von Kindern, die sich im Bundestag verlaufen, von klimaneutralen Butterbroten und davon, wie er einmal nicht von einer Fähre herunterkam, weil the German farmers gegen ihn aufgehetzt worden waren.
Der innere Plan B
Am Ende ihres Besuchs nimmt Habeck Hans und Ulle noch ein Stück mit in Richtung Motel und sagt, auch Iowa, dieses abgelegene Eckchen, das zehn von neun Deutschen nicht auf der Landkarte zeigen könnten, habe ihn "demütig" gemacht. Er sei jetzt "ein bisschen entschlossen, den inneren Plan B nicht mehr zu verstecken". Zum Abschied, so berichten es die beiden haffen Besucher, habe er gewunken, wieder im Licht der Maisfelder, das Gesicht halb von Melissenduft verdeckt.
Zurück bleiben: Ein Stand, der nie ganz zu passen scheint in diese Landschaft – und ein ehemaliger Hoffnungsträger, der sich nicht mehr sucht, sondern bloß noch lebt. Die deutschen Medien können sich derweil weiter fragen, wo Habeck sei. Die Antwort ist einfach. Robert ist hier.
3 Kommentare:
Am besten hat er sich selbst charakterisiert, als er sein Porträt Habeck übergroß vom Münchner Siegestor hat strahlen lassen.
„Natürlich ist das eine gewisse Provokation, es hat ein bisschen was piratiges. So muss man ins Jahr starten, wenn man ein bisschen Wahlkampf macht“
Der Vizekanzler, einer der mächtigsten Männer in Deutschland, macht was "piratiges".
>vom Münchner Siegestor
Robert:
„Eitel meine ich, ist es nicht, denn auch die Frage der Kanzlerschaft ist mit eitel falsch beantwortet, keck vermessen, kühn. Darüber können wir reden. Aber es geht nicht um Eitelkeit, es geht mir nicht um den Titel, sondern mir geht es darum, einen eigenen inhaltlichen Anspruch klar und vernehmlich und deutlich und auch in gewissen Sinne laut anzubieten.“
Viele Worte, ganz Autor und Politiker.
Wenn man die heiße Luft weglässt: Robert bietet einen Anspruch an. Sehr hohl und sehr grün, sehr Robert.
er war einer, der sich selbst als angelpunkt der welt angenommen hatte
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