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Es sieht nicht danach aus, aber Friedrich Merz hat einen ganz genau kalkulierten Plan. |
Es sieht nicht gut aus, gar nicht gut. Nicht nur das Wetter ist meistenteils enttäuschend in diesem Sommer in Deutschland, der der Sommer des ersten zarten Stimmungsumschwungs hatte werden sollen. Auch die Wirtschaftszahlen halten stur, was die langfristigen Entwicklungen versprochen hatten. Es geht dem Ende zu, zumindest gefühlt. Eine Regierung ohne Plan trifft auf eine Bevölkerung ohne Energie, vielleicht ist es auch umgekehrt. Wie die Kesselflicker streiten die Parteien darum, wer die schönste Nebensächlichkeit an die größte Glocke hängen kann. Den Bürgerinnen und Bürgern klingeln die Ohren und das Herz pocht, denn langsam, ganz langsam ahnt auch der Letzte, wohin der Zug fährt.
In Nirgendwo und Nimmermehr
In Nirgendwo und Nimmermehr, so scheint es. Nächster Zwischenhalt Steuererhöhung. Übernächster Notopfer Heimatverteidigung. Friedrich Merz, einer der ungeliebtesten Kanzlerkandidaten aller Zeiten, hatte Hoffnungen darauf geweckt, dass da nach den chaotischen Ampeljahren mit ihrem präpotenten Personal wieder Erwachsene übernehmen. Doch schneller noch als sein glückloser Vorgänger entpuppte sich der Christdemokrat auf Luftpumpe. Merz räumte Versprechen so eilig ab, dass mancher seiner Wähler nicht einmal die Chance bekam, enttäuscht zu sein. Kaum war eine Zusage gebrochen, folgte schon die nächste. Und noch eine.
Einen Plan hatte Merz sichtlich nie gehabt, ein gravierender Unterschied zu dem Mann, dem er nachgefolgt war. Olaf Scholz allerdings war überraschend ins Amt gescheitert, ihm blieb nicht viel anderen übrig als die in langen Jahren in der Opposition von grünen Denkfabriken verfertigten Strategiepapiere zum großen Umbau, zu Transformation und nachhaltigem Energieausstieg unbesehen zu übernehmen. Merz dagegen hatte sich fast ein Vierteljahrhundert auf den Tag vorbereiten können, an dem er Deutschland aus der Merkelei zurück zu alter Größe führen würde.
Four more years
Als es so weit war, kam: Nichts. Wäre nicht die große Hinrichtung des ukrainischen Präsidenten Wolodomyr Selenskyj im Weißen Haus gewesen, die aus dem erklärten Gegner der Schuldenbremse einen Mann machte, der einen Grund gefunden hatte, mehr neue Schulden aufzunehmen als alle seine CDU-Vorgänger zusammen, hätte Friedrich Merz mit dem Einzug ins Kanzleramt einfach weitergemacht wie die Ampelregierung vor ihm. Hier ein bisschen und dort noch weniger, dazu ein paar neue Gesichter mit alten Sprüchen. Für four more years Problemverwaltung und -vertagung wäre das allemal gut genug gewesen.
Dieser Eindruck, so verfestigt er jenseits der ersten 100 Tage des neuen Mannes in der Kanzlerwaschmaschine auch ist, täuscht jedoch dramatisch. Denn hinter dem teilweise obskur wirkenden Agieren der schwarz-roten Koalition steht zweifellos ein geheimes Kalkül. Der alte Fuchs Merz weiß genau, wie moderne Gesellschaften funktionieren: Solange die Lage auch nur leidlich erträglich ist, überwiegt die Sehnsucht, dass alles bleiben möge, wie es ist. Friedrich Merz aber ist keine Angela Merkel und Olaf Scholz. Der 69-Jährige sieht sich als großen Reformator, seine Schuhe sind nicht die eines Soldaten des Gewohnten, sondern von derselben Passform, die Adenauer, Ehrhardt und Brandt trugen.
Der Niedergang steht am Anfang
Wie die Grünen, die auf Durchsetzungschancen für Vermögensabgabe und Klimasoli hoffen, wenn das Elend erst groß genug ist, weiß auch Merz: Der Niedergang steht am Beginn jedes Wirtschaftswunders, denn der Zusammenbruch ist die Voraussetzung für den Neuaufbau. Nichts ist jemals wie es bleibt, damit es anders werden kann, muss aber zuvor schlecht werden, richtig schlecht. Nicht in jeder Krise liegt die Chance; sie muss vielmehr tief sein, unüberwindlich erscheinen und ohne Ausweg. Als einer von nur noch ganz wenigen Bundespolitikern, die die 80er und 90er Jahre mit ihren jähen Wendungen noch selbst bewusst erlebt haben, ist ihm bewusst, dass zur Umgestaltung einer Gesellschaft nicht nur Tatkraft, Entschlossenheit und einen revolutionären Geist braucht. Auch die revolutionäre Situation muss gegeben sein.Erst wenn die Menschen draußen im Lande entnervt und ratlos sind, jede Hoffnung verloren haben und nach Orientierung suchen, öffnet sich die Tür der Möglichkeit, wahre Veränderungen zu schaffen. Zwar hat Friedrich Merz mehrfach und eindringlich vor dem argentinischen Kettensägenmann Javier Milei gewarnt - der erklärte Libertäre ruiniere sein Land, warnte er. Doch bei diesen Sprüchen, auch dem, Milei würde "Menschen mit Füßen zu treten", handelte es sich um taktisch geschickt gesetzte Ablenkungsmanöver.
Es muss schlechter werden
Natürlich würde Friedrich Merz, wenn er könnte, auch alles tun, um wie Argentinien auf ein Wirtschaftswachstum von 5,7 Prozent (2025) und 4,8 Prozent (2026) zu kommen. Nur kann er eben nicht, solange die Bürgerinnen und Bürger draußen in der hart arbeitenden Mitte nicht selbst nachdrücklicher als bisher danach verlangen. Es muss schlechter werden, noch schlechter und noch viel schlechter, ehe es besser werden kann.
Und bis es so weit ist, wäre jede wirksame Reform schädlich. Friedrich Merz ging es nie darum, den Krug zu flicken, der auf dem Weg zum Brunnen zerbrochen ist. Er will eine Wasserleitung bauen. Deutschland soll wieder Fahrt aufnehmen, aber nicht als vorletzter Waggon in einem EU-Zug, der mehr Verspätung hat als alle Bundesbahnzüge zusammen. Sein Traum ist der von Deutschland als einem Panzerzug von Demokratie und Fortschritt, unaufhaltsam, eine Wachstumslokomotive, die niemand aufhalten kann.
Formale Zusagen
Um Bedingungen zu schaffen, die ihm ein echtes Durchregieren erlauben, spielt der neue Kanzler über Bande. Wer das Personaltableau seines schwarz-roten Kabinettes betrachtet, sieht es sofort: Das ist Katharina Reiche als Wirtschaftsministerin, eine Frau, die ihre erste Aufgabe nicht darin sieht, für mehr Dynamik zu sorgen, sondern unentwegt überlegt, wie sich Steuern am elegantesten erhöhen lassen. Im Augenblick soll es eine neue "Abgabe" sein, damit wenigstens formal die Zusage eingehalten wird, dass es derzeit keine Steuererhöhungen gibt. Doch hier endet Reiches der Einfallsreichtum auch schon.
Der Ministerin, die Merz wohl genau deshalb ausgesucht hat, mangelt es nicht nur an Durchsetzungsvermögen, sondern auch an Ideen. Aus lauter Bequemlichkeit hat sie einen Vorschlag aus dem grünen Wahlprogramm von 2021 übernommen: Bis zu 40 fossile Gaskraftwerke sollen gebaut werden, um die durch die große grüne Energiewende entstandenen Versorgungslücken zu schließen. An diesem Plan scheiterte schon Robert Habecks. Nach dreieinhalb Jahren im Amt hatte der grüne Klimaminister noch nicht ein neu gebautes Gaskraftwerk vorzuweisen. Auch einen Baubeginn konnte Habeck nicht vermelden.
Grundlage für den großen Plan
Je schwächer, desto besser, das war damals eine Tragödie, heute ist es Grundlage für den großen Plan. Aus der traurigen Geschichte des Endes des letzten sozialistischen Menschenversuchs auf deutschem Boden weiß Merz, dass die Voraussetzung für grundlegende Veränderungen immer eine verzweifelte Bereitschaft ist, alles zu wollen, wenn es nur nicht das ist, was man hat. Mit einem Finanzminister, der in seinem ganzen Berufsleben noch nie mit staatlichen Geldangelegenheiten zu tun hatte, schuf Friedrich Merz auch finanziell einen idealen Startpunkt: Ein Sozialist reinsten Wassers, ausgestattet mit der größten Staatskasse aller Zeiten. Was soll da nicht schiefgehen.
Keine sechs Monate hat es gedauert und die Haushaltspläne haben eine neue Null hintendran. Trotzdem reicht es wie immer vorn und hinten nicht, es fehlt heute schon beinahe mehr Geld als da ist. Wäre Deutschland eine schwäbische Hausfrau, würde sie sich von Tag zu Tag weinen. So aber läuft alles, wie es soll: Erst wenn der letzte Sozialist den Raum verlassen hat, das letzte Sondervermögen geleert ist und die letzte Kreditlinie verpfändet, werden alle feststellen, dass anstrengungsloser Wohlstand eine Bequemlichkeit auf Zeit ist.
Zurück zur rationalen Politik
Merzens Bauministerin Verena Hubertz ist als Aktivposten auf dem Weg zurück zu einer rationalen Politik gedacht. Erst runter, dann rauf. Die 37-Jährige hat ihr Amt mit Berufserfahrungen bei den Lebenshilfe-Werken Trier, bei Vodafone, PricewaterhouseCoopers, der Commerzbank und ihrer eigenen Kochapp angetreten. Wie der Finanzminister noch nie mit Finanzen und die Wirtschaftsministerin noch nie mit Wirtschaftspolitik zu tun hatte, ist ihr Metier auch für die Baufrau völlig neu.
Dafür sind ihre Vorschläge alt, mit denen sie den zum Erliegen gekommenen Wohnungsbau beleben will. Mit einer einheitlichen Bauordnung, einheitlichen Wohnungsgrößen, Fertigteilen, die sich überall verwenden ließen und einer nachgelagerten Ertüchtigung des Wohnumfeldes durch Dachbebauung von Supermärkten mobilisierte schon Vorgängerin Klara Geywitz vergebens.
Hubertz setzt auf Plattenbauten, als "serielles Bauen" von der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) wenigstens verbal veredelt. Eine Rückkehr der DDR, demonstrativ in Beton gegossen. Jede Zeit bekommt die Architektur, die ihrer Verfasstheit am ehesten entspricht. Kollektivismus verlangt nach seriellem Leben. Die Notwendigkeit eines weiteren Niedergangs, der zum Sprungbrett eines gewaltigen Comebacks werden soll, verlangt nach solchem Personal: Wadephul, Bär und Hubig, Wildberger, Schnieder und Schneider, sie organisieren den Abschwung, aus dem der Aufschwung wachsen soll.
Phase drei bringt die Rettung
All das gehört zur Phase zwei des Plans. Phase eins bestand darin, haltlose Versprechungen zu machen, eine Wirtschafts- und Migrationswende anzukündigen – man hatte es nicht vor, aber man suggerierte, man würde etwas tun. Die aktuelle Phase zwei besteht darin, Enttäuschung zu produzieren, und zwar möglichst große Enttäuschung, sodass jeder versteht: Es wird nichts getan, außer etwas Kosmetik hier, ein wenig Massage dort. Ansonsten bleibt alles beim Alten: rot-grüne Politik im schwarzen Trauerzwirn. Die Botschaft ist unüberhörbar: Es geht zu Ende, das alles wird nicht mehr lange funktionieren. Bereitet euch vor – ihr habt es ja nicht anders gewollt.
Erst Phase 3 soll die Rettung bringen. Bis es so weit ist, bleibt Geduld gefragt.
6 Kommentare:
Der Begriff Plattenbauweise wurde bereits in den 1920er Jahren verwendet und war sowohl in der DDR wie auch der Bundesrepublik der Nachkriegszeit fachlich üblich.
Seit den 1970er Jahren wurde der Begriff Plattenbau im Westen allgemeinsprachlich als abwertender Begriff für Großwohnsiedlungen üblich. Nach der Wiedervereinigung wurde der Begriff dann auch auf die Neubaugebiete der DDR angewandt, medial in häufig abwertender Absicht. Dessen ungeachtet hat sich der Begriff fachlich wie in der Umgangssprache weitgehend durchgesetzt.
In der DDR war die Bezeichnung „Neubau“ gebräuchlich.
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Zur Teaser Kachel oben. Ich halte es für eine Provokation aka starkes Stück, Merz und "arbeiten" im Kontext feilzubieten, das alles auch noch vor einer grünen Betonwand. Das ist dann doch zu viel.
Claudio Casula
Satan zu Merz: „Ich kann dafür sorgen, dass du die Legislaturperiode überstehst, vielleicht sogar eine zweite Amtszeit dranhängst, aber dafür muss dein Land binnen zehn Jahren pleitegehen und in Armut, Islamismus, Terror und Kriminalität versinken.“
Merz: „Und wo ist der Haken?“
...aber Friedrich Merz hat einen ganz genau kalkulierten Plan ...
Wohl war, er hat. Aber es ist nicht s e i n Plan, sondern eines gewissen Heinrich Morgenthau.
Die Iden des Merz werden hoffentlich auch für diesen Cäsar bald kommen, obwohl die Plebs heute noch genauso bescheuert in Arenen rumgrölt, wenn ihre Zirkus-Gladiatoren ihnen Esatzkriegsspiele servieren, um ihr militantes Testosteron im Herdentriebmodus abzubauen.
Fortschritt durch Evolution?
Seit 2000 Jahren Null, Doppelnull, Dreifachnull.
Was mental bereits unten ist, kann kaum noch tiefer sinken.
Intellektueller Bodensatz war, ist und bleibt intellektueller Bodensatz.
In der DDR waren die technische Bezeichnungen WBS70 oder die volkstümliche Umschreibung "Arbeiterschließfach" gebräuchlich.
Ich bitte, nicht so streng mit unserem Bundesnasenringträger umzugehen. Wenn da der Klingbeil dran zieht, dann tut der Zinken mächtig weh!
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