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Böhmermann-Diät als Warnzeichen für die Demokratie. |
Als sich Dunja Hayali kürzlich nach den schweren und gezielt koordinierten Angriffen von Fans des "abscheulichen, rassistischen, sexistischen" amerikanischen Wanderpredigers Charlie Kirk eine Auszeit nehmen musste, erschien das noch wie ein Zufall. Elmar Theveßen, der ihre profunde Einschätzung des verhängnisvollen Wirkens des Trump-Unterstützers aus Reportersicht von vor Ort bestätigt hatte, blieb doch auf Sendung. Das ZDF stellte sich sogar ausdrücklich hinter seinen Korrespondenten, der den Rutsch der ältesten Demokratie der Welt in die Diktatur seit Jahren direkt an der Quelle verfolgt.
Durch die Pressefreiheit geschützt
So sollen die Dinge gesehen werden, teilte die Senderspitze den Verfassern von empörten Eingaben mit. Auch Forderungen aus den USA bügelte der Sender in Mainz ab. "Die Arbeit von Elmar Theveßen ist durch die Pressefreiheit geschützt", hieß es. Dabei handele es sich um "ein hohes Gut, in Deutschland und den USA". Theveßen, das war damit klar, habe nichts gemeldet, sondern ausschließlich etwas gemeint. Und meinen muss erlaubt seinen.
Mit der Ausbootung der umstrittenen Julia Ruhs durch den NDR kam anschließend sogar Hoffnung auf, dass der mediale Rechtsruck der vergangenen Monate zum Stillstand kommt. Ruhs raus, den erwartbaren Sturm mit geradem Rücken durchstehen. Mund abputzen. Weitermachen wie bisher.
Doch auch nach dem abgeflauten Sturm weht der gesellschaftliche Wind weiter in die falsche Richtung. Ohne großen Aufschrei der demokratischen Mitte nahm das ZDF zuerst "Hannes Jaenicke: Im Einsatz für..." aus dem Programm, einen Klassiker der Berichterstattung über die Klima-, Umwelt- und Naturschutz, der seit 16 Jahren für Gänsehaut in Millionen Wohnzimmern gesorgt hat. Jaenicke hat schon für Delfine und Schweine, für Lachse und Affen gekämpft. Er war es, der aufdeckte auf, dass Menschen Jahr für Jahr fünf Millionen Tonnen Tintenfische essen. Zu viele, teilte er nach einer ausgiebigen Tiefenprüfung mit.
Aussortierter Mahner
Dass ein solch hartnäckiger Mahner nicht mehr gut angesehen ist, wenn eine Koalition herrscht, die Verbrenner wieder erlauben, das Heizungsgesetz reformieren und den Habeck-Plan zum Bau von fossilen Gaskraftwerken rücksichtslos umsetzen will, liegt auf der Hand. Doch die Geschwindigkeit, mit der die Gemeinsinnsender als Schwerkraftzentren unserer Demokratie ihre Ausrichtung ändern, ist bedrohlich.
Jaenicke ist beileibe kein Einzelfall, die Zensurschere einer neuen Cancel Culture trifft selbst die lebendste Legende der hauptberuflichen Zivilgesellschaft: Jan Böhmermann, der selbsternannte Stauffenberg der staatsnahen Satire, steht mit seinem "Magazin Royale" vor einer Zäsur. Jahrelang schwebte der gebürtige Bremer auf Wolke 7 der progressiven Medienrepublik. Geliebt. Geehrt. Vergöttert.
Seinen Stil beschrieb der "Deutschlandfunk" vor zehn Jahren als "eine Mischung aus bissigem Humor, gesellschaftskritischer Satire und einer ordentlichen Portion Selbstironie". Böhmermann nehme alles aufs Korn und zwar alles, was irgendwo rechts seiner Linken steht, sitzt oder liegt.
Eine Erfolgsmischung. Und doch will das ZDF die bisher 33 Folgen "Royale" pro Jahr um ein Drittel zusammenstreichen. 20 Ausgaben sollen künftig reichen, Themen wie den Kampf gegen rechts, die Strategien der AfD, die Spaltung in der Gesellschaft, den Rechtsruck in den Schulen, die Queerfeindlichkeit auf den Straßen oder das Abkippen der USA in eine Diktatur satirisch aufzuspießen. Vieles wird dann unaufgespießt bleiben. An Böhmermann-Themen wie den bedauernswerten rechten Osten, die dunklen Netzwerke der Mächtigen und NS-Verwicklungen erfolgreicher Unternehmer wird sich dann niemand mehr heranwagen.
Eine Erfolgsmischung. Und doch will das ZDF die bisher 33 Folgen "Royale" pro Jahr um ein Drittel zusammenstreichen. 20 Ausgaben sollen künftig reichen, Themen wie den Kampf gegen rechts, die Strategien der AfD, die Spaltung in der Gesellschaft, den Rechtsruck in den Schulen, die Queerfeindlichkeit auf den Straßen oder das Abkippen der USA in eine Diktatur satirisch aufzuspießen. Vieles wird dann unaufgespießt bleiben. An Böhmermann-Themen wie den bedauernswerten rechten Osten, die dunklen Netzwerke der Mächtigen und NS-Verwicklungen erfolgreicher Unternehmer wird sich dann niemand mehr heranwagen.
Ein Beben in der Fernsehnation
Ein Beben, wie es die Fernsehnation Deutschland zuletzt erlebte, als sich Thomas Gottschalk zum sechsten Mal von "Wetten, dass..." verabschiedete und aufgrund des Fachkräftemangels kein Nachfolger gefunden werden konnte. Böhmermann selbst nimmt den Angriff auf eine der letzten Festungen des vorbildlichen Humors betont gelassen. Sein "Magazin" sei "uncancelbar", hat der ewige junge Wilde des altbackenen deutschen Fernsehbetriebes dem "Stern" diktiert, einer Illustrierten, die sich seit dem Märzheft mit der Zeile "Die Achse der Bösen" nicht mehr wagt, ihren Titel mit Trump als Hitler, Hitlergrüßer oder "unheimlicher Präsident" zu schmücken.
Es wackelt und kippt überall. Aktuelle Zahlen, die der X-Account ÖRR ermittelt hat, zeigen, wie Brandmauer erodiert. Das Durchzählen der Talkshowgäste, die die großen Fernsehgerichte Illner, Lanz, Hart aber fair, Maischberger und Miosga seit der Bundestagswahl begrüßten, förderte ein erschreckendes Ergebnis zutage.
Zwar waren CDU/CSU (106), SPD (76), Grüne (43) und Linke (25) mit zusammen 250 in den Fernsesseln platzierten Vertretern entsprechend ihrer Bedeutung für Land und Leute und ihrer abgestuften Beliebtheit bei den Menschen draußen vor den Empfängern vertreten. Doch einmal versagte die redaktionelle Immunabwehr vollkommen und einem Politiker der im Frühjahr kurzzeitig in Gänze als gesichert rechtsextremistischen AfD wurde eine Plattform geboten.
Anzeichen für den Rechtsruck
Ein Prozess der Normalisierung, der die Falschen jubeln und immer wieder nachsetzen lässt. Selbst Jan Böhmermann, vielfachst preisgekrönt und in seinen verschiedenen Rollen als Entertainer, Satiriker, Fernseh-, Radio- und Podcast-Moderator, Musiker, Autor, Filmproduzent und Journalist am Ende doch immer niemand anders als Jan Böhmermann, vermochte dem Druck nicht standzuhalten, den organisierte Gruppen auf die Bundesregierung ausübten, um den Auftritt des Heidenheimer Rappers Chefket auf Böhmermanns Kunstperformance "Die Möglichkeit der Unvernunft" im Berliner "Haus der Kulturen der Welt" zu stoppen.
Nur weil Chefket, bürgerlich Şevket Dirican, der schon für die von der Linksjugend kuratierte Kompilation "Bundeswehr raus aus den Schulen!" mitgewirkt hatte, mit einem T-Shirt des Nahen Ostens ohne Israel sein antisemitisches Inneres entblößte, hat Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, dessen Haus als Hauptsponsor des Böhmermann-Festivals auftritt, die Notbremse gezogen. Dass Böhmermann seinem Kollegen Oliver Polak mal die Hände geschüttelt, sich dann aber eilig desinfiziert hatte, weil Polak Jude ist, geht noch als klamaukiger Spaß eines Grenzgängers durch. Ziegenficker!
Aber für ein Doppelkonzert zweier Künstler voller verstecktem Judenhass war die Angst zu groß. Was würde die Welt sagen, wenn am Jahrestag des Hamas-Massakers an 1.200 Juden von der Bühne dieselben Sätze gerufen werden, die in Berlin am letzten Wochenende zehntausende Demonstranten auf den Lippen hatten, als "die Töne verrutschten" (Die Zeit) und "Kindermörder Israel" zu hören war? Vom Fluss bis zum Meer, von der Spree bis zum HKW. Palästina muss frei sein und Israel weg.
Warnsignal für unsere Demokratie
"Ein Warnsignal für unsere Demokratie" hatte Jan Böhmermann als Vorsitzender des Wächterrates des Wahren, Guten und Richtigen schon vorab gesehen. Wenn Böhmermann nicht mehr alles sagen darf, wer wird der nächste sein? "Angesichts der Angriffe gegen die freie Meinungs- und Pressefreiheit" in den USA werfe die Streichung von Sendungen des nach eigenen Angaben schon seit einiger Zeit "intellektueller und journalistischer" auftretenden Klassenclowns der Ampel-Republik "Fragen auf", hat der "Stern" die düsteren Entwicklungen kommentiert.
Der Kollegenfunk wirft sich schützend vor den in seiner Meinungsfreiheit bedrohten Komiker. "Böhmi" steht in der Stunde der Not nicht allein, auch wenn die Taz sich mehr Rückgrat gewünscht hätte. Das Nachgeben nur wegen einiger Antisemitismusvorwürfe komme "einer Kapitulation gleich". Weimer habe, erinnert das Blatt an ein Antrittsversprechen des Medienunternehmers, "die Korridore des Sagbaren, Erkundbaren und Darstellbaren" weiten wollen, "anstatt sie zu verengen." Doch mit dem Rauswurf des Rappers, der nur das Existenzrecht Israels infrage gestellt hatte, "deutlich gemacht, was er von der Kunst- und Meinungsfreiheit hält: nichts".
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