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Die Tageswahrheiten bei DPA wechseln häufig, vor allem aber setzt die amtliche deutsche Nachrichtenagentur auf die Macht unklarer Angaben und nahegelegter Vermutungen. |
Halb Wahrheitsagentur, halb Nachrichtenfabrik, halb Monopolist: Die im August 1949 gegründete Nachrichtenagentur DPA versorgt Deutschland zuverlässig mit täglich Tausenden von Nachrichten, die von ebenso vielen kleinen und großen Medienhäusern ungeprüft als reine unverfälschte Wahrheit weiterverbreitet werden.
Bei etwa 80 Prozent der von der Hamburger Firma verbreiteten Meldungen fungiert DPA nur als Transmissionsriemen, über den wörtlich übernommene und zu Werbezwecken erstellte Pressemeldungen von Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsendern weiterverbreitet werden. Die wiederum können aufgrund des sogenannten Agenturprivilegs, einer besonderen Nichthaftungsregel im deutschen Presserecht, die es Journalisten erlaubt, Agenturmeldungen in der Presseberichterstattung zu
übernehmen, ohne dass der Inhalt auf Richtigkeit überprüft werden muss, als "Nachrichten" übernommen werden.
Experte für Themensterben
Der Medienforscher Hans Achtelbuscher untersucht beim An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung seit Jahren, wie sich die Vereinheitlichung von Medienmeldungen auf die
allgemeine Informationslage auswirkt. Als Experte für Phänomene für das Themensterben in deutschen Medien und strengen Sprachregelungsmechanismen auf die berichterstattete Realität hat Achtelbuscher eine "Einheit für einheitliche Empörung" (Emp) entwickelt, mit der die Haltbarkeit von Schwerpunktthemen gemessen werden kann.
Eine von Achtelbuscher geleitete interdisziplinäre Forschungsgruppe, die sich speziell mit sogenannten medialen Halluzinationen beschäftigt, hat jetzt mit Hilfe amerikanischer KI-Systeme Aufbau, Struktur, Satzbau und Argumentationsmuster von hunderttausenden millionenfach verbreiteter DPA-Meldungen untersucht.
Dabei seien seine Kolleginnen und Kollegen über eine bloße Sichtanalyse der gezielt auf gefriergetrocknete sprachliche Kargheit setzenden Agenturarbeiten hinausgegangen. Neben dem klar strukturierten Aufbau, der früher auf Präzision, Klarheit und journalistische Standards ausgelegt war, betrachteten sie auch den aktuellen Trend, mit betonter Objektivität über unerwünschte Details hinwegzuberichten.
Das neue Auslassungsprinzip
Hans Achtelbuscher beschreibt dieses noch recht neue Auslassungsprinzip als geschickten Trick. Vermeintlich würden nach wie vor vom erste Satz an die traditionellen W-Fragen (Wer, Was, Wann, Wo, Warum) beantwortet. "Das Ziel war ehemals, den Leser ist kurz, prägnant und ohne Umschweife zu informieren."
Im Hauptteil eines jeden Textes seien früher noch Hintergrund und Kontext beschrieben worden. "Da ging es regelmäßig um detaillierte Informationen, Zitate von Experten, Statistiken oder relevante Entwicklungen." Die Reihenfolge sei den Agenturschreibern nicht freigestellt gewesen. Sie folgte in einer umgekehrten Pyramidenstruktur der absteigenden Wichtigkeit, so dass die zentralen Informationen zuerst genannt wurden", sagt der Wissenschaftler.
In den vergangenen Jahren habe sich das allerdings grundlegend geändert. Der Agenturton bleibe zwar auch heute noch neutral, ohne demonstrative Wertungen oder Spekulationen. Doch durch eine verwirrende Wortwahl, die Montage von einander offensichtlich widersprechenden Fakten und zitierten Experten oder offiziellen Regierungsstellen, die zusammengenommen keinerlei Sinn ergeben, würden DPA-Meldungen mittlerweile zur Informationssurrogat für Nebenbeileser und zur Herausforderung für Fachleute.
Relativierung aller Angaben
Besonders die häufig gewählte Relativierung von Angaben und die Ausstattung von Sätzen mit Kombinationen aus Präpositionen und Indefinitpronomen wie "vor allem, "etwa" oder auch "insbesondere", "kaum" oder "auch" lösten das uralte Agenturversprechen einer allein tatsachenabhängigen Objektivität in einem Wortstrudel auf.
"Die aktuelle Generation der Agenturschreiber", schildert Achtelbuscher eine Grunderkenntnis der KI-Analyse, "rückversichert sich in fast jedem Satz". Nicht abschließend beurteilen könne man derzeit, ob es sich dabei um einen beabsichtigten Effekt handele oder "ob Agenturmitarbeiter einfach nicht so gut mit Sprache umgehen können".
Achtelbuscher, ausgebildeter Medienpsychologe und Sprachsektionist, zeigt die Dimension der Probleme an einem aktuellen Beispiel. So habe die Deutsche Presse-Agentur eben erst verkündet, dass die deutsche Wirtschaft laut den sogenannten "führenden Wirtschaftsinstituten" in den "kommenden Jahren" "aus ihrer langen Schwächephase" kommen werde. Achtelbuscher verweist auf die mehrdimensionale Ungefährheit schon dieser von den beiden Autoren Katharina Kausche und Andreas Hoenig eingangs verwendeten Formulierung.
Unzusammenhänge als Wirkprinzip
Weder sei "kommende Jahre" eine greifbare Beschreibung, noch befinde sich die deutsche Wirtschaft nur in einer "Schwächephase", aus der einfach so "herauszukommen" sei. Im gleich anfangs platzierten Satz "damit das anhält, geben sie der Regierung viel mit auf den Weg" erkennt der Fachmann den ersten, in der Fachsprache "Unzusammenhang" genannten Ablenkungsversuch. Diese absichtlich eingebaute "Incoherence" - zuvor ist keine Rede von einem Vorgang, der bereits ist und damit anhalten könnte - diene dazu, Leserinnen und Leset zu verwirren, um ihnen in diesem Fall faktenfern den Eindruck zu vermitteln, es gäbe bereits eine Wirtschaftserholung.
DPA arbeitet fortgesetzt mit diesem Stilmittel. Selbst der Satz, dass Experten sich "trotzdem skeptisch" zeigten, setzt auf Irreführung, denn "trotzdem" skeptisch kann nur jemand sein, dem gute Nachrichten zugehen, die er jedoch vorläufig nur zurückhaltend bewertet. Hier aber heißt es angesichts einer im dritten Jahr schrumpfenden Wirtschaftsleistung, "die Wirtschaft stehe nach wie vor auf wackeligen Beinen" - eine verharmlosende Formulierung, die eine als "Konjunkturexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung" bezeichnete Geraldine Dany-Knedlik liefert, als habe DPA das so bestellt.
"Wacklige Beine"
Einem vor der Amputation Stehenden "wacklige Beine" zu bescheinigen - das ist fast so kuschelig wie die Klage, dass "eine Verjüngungskur" für die Wirtschaft durch die Bundesregierung noch ausbleibe und das prognostizierte Wachstum "vor allem durch staatliche Milliarden-Investitionen getrieben" werde. Hier tauche das "vor allem" zum ersten Mal auf, erläutert Hans Achtelbuscher. Typischerweise stehe es allein und es werde nicht erläutert, was außer "vor allem" noch als Wachstumstreiber ermittelt worden sei.
Die Deutsche Presse-Agentur, sagt der Medienforscher, sei so wirkmächtig, weil sie von 95 Prozent der deutschen Medien als Hauptquelle genutzt werde, von ihr gewählte verharmlosende Formulierungen wie "Mini-Wachstum" oder "Konjunkturtief" damit weite Verbreitung und allgemeine Akzeptanz fänden. Wenn DPA schreibe, "im laufenden Jahr erwarten die Institute nur eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 0,2 Prozent" und sei gut, weil "im Frühjahr wurde noch ein Plus von 0,1 Prozent erwartet" wurde, klinge das optimistisch. "Obwohl wir uns in diesem Zahlenbereich natürlich im Bereich des Messfehlers bewegen."
Es wird "sehr lieb formuliert"
Um Wahrheit und Wirklichkeit geht das allerdings ohnehin nicht. Wenn DPA formuliert, dass die deutsche Wirtschaft "seit längerer Zeit in einem Konjunkturtief" stecke und ausführt, dass die Wirtschaftsleitung "in den vergangenen beiden Jahren schrumpfte", sei das richtig, wenn auch "sehr lieb formuliert", wie Hans Achtelbuscher sagt. Wenn unmittelnar im Satz danach aber nach den Gründen dafür gesucht und beschrieben werde, dass "vor allem höhere Zölle auf EU-Importe den Handel auf dem wichtigen US-Markt ausgebremst" hätten, "dann handelt es sich um eine offenkundige Falschbehauptung". Der Zollstreit mit den USA sei erst vor einem halben Jahr ausgebrochen. "Er konnte das Wachstum weder 2023 noch 2024 bremsen".
Die weiteren von DPA genannten Ursachen der prekären Lagen hingegen seien keien. "Wenn dort geschrieben wird, dass viele wichtige Branchen wie die Auto- und Stahlindustrie in Schwierigkeiten steckten und auch der private Konsum in Deutschland nicht in Schwung komme, sind das Gründe, aber keine Ursachen."
Etwas Dynamik
Die von DPA verbreitete Erwartung der Forschungsinstitute, dass die deutsche Wirtschaft in den kommenden zwei Jahren die Talsohle verlasse und "wieder etwas an Dynamik gewinnt", passt für Hans Achtelbuscher in eine Methode, die auf Irreführung setze. Ein BIP-Wachstum von 1,3 Prozent im Jahr 2026 und von 1,4 Prozent 2027 sei weder "dynamisch" noch überhaupt real. "Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2026 sieht insgesamt Bundesausgaben von 520,5 Milliarden Euro vor, das ist ein Anstieg 3,5 Prozent gegenüber 2025", agt Achtelbuscher., Hier werde "mit dem Schinken nachd er Wurst geworfen."
Diese "expansive Finanzpolitik", wie DPA die ausufernde Schuldenorgie von CDU, CSU und SPD nennt, "dürfte die Konjunktur anschieben". Dadurch komme "die Binnenwirtschaft spürbar in Fahrt", denn das "500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen" sorge "für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und den Klimaschutz, das eine Laufzeit von zwölf Jahren hat". Hans Achtelbuscher sieht in diesem Satz ein besonders gutes Beispiel für sogenannten irrationalen Journalismus. "Wir haben hier Schulden, die auftragsgemäß als ,Sondervemögen' bezeichnet werden, wir haben die Behauptung, es gebe ,zusätzliche Investitionen' und um Leser davon abzuhalten, über dieses Framing nachzudenken, wird der unsinnige Nebensatz von der "laufzeiut von zwölf Jahren" angehängt.
Schräge Sprachbilder
Was hat diese Laufzeit? Wer und warum wofür? Die berühmten W-Fragen beantworte eine DPA-Meldung in der Rgeel gar nicht mehr, sagt Hans Achtekbuscher. Hier sei die Rede von "erweiterten Verschuldungsregeln", "steuerlichen Entlastungen von Unternehmen" und "Entlastungen bei den Energiekosten", durch die das "real verfügbare Einkommen wieder Fahrt aufnimmt". Achtelbuscher ist sich sicher "Der Aufsatz eines Sekundarschüler würde für dieses schräge Sprachbild schlechter benotet." Das aber sei kein Zufall, sondern Strategie. Es gehe um Verwirrung, um Informationsüberladung und den Ersatz seriöser Informationen durch Surrogate.
Das zieht sich durch diesen DPA-Text wie durch zahllose andere. Hans Achtelbuscher verweist auf den Satz "Vom Export und der Industrie seien dagegen kaum positive Impulse zu erwarten - wie sonst üblich in einer Aufschwungphase" und schüttelt den Kopf. Was sei üblich? Kaum positive Impulse? Export? Industrie? "Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist das gestammelt", urteilt er.
Die Umsetzung ist Absicht
Aber beabsichtigt. So komme DPA gleich anschließend auf die Frage, "wie läuft die Umsetzung des Sondervermögens?", so tief gebückt vor den Sprachvorschriften aus der Bundesworthülsenfabrik (BWHF), dass den Extraschulden eine "Umsetzung" angedicht wird, keine Ausgabe der zusätzlichen Kredite. Anschließend werde formuliert, dass die Regierung schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren plane, "damit das Sondervermögen schnell wirkt". Hans Achtelbuscher, auch privat ein großer Freund klarer und wohlformulierter Sätze, wringt die Hände. "Wenn ich im darauffolgenden Satz lese, dass die Institute erwarten, dass die Mittel, etwa für Bau- und Rüstungsprojekte, langsamer abfließen als im Haushalt vorgesehen, weiß ich wirklich nicht mehr, was mit da mitgeteilt wird."
"Etwa für Bau- und Rüstungsprojekte" sei das "vor allem", das schon im nächsten Absatz zentral ist. "Vor allem die Auslandsnachfrage nach deutschen Waren schwächele", heißt es das im gewohnten Verharmlosungssound. Schuld seien "hohe Energie- und Lohnstückkosten im internationalen Vergleich, Fachkräftemangel sowie eine weiter abnehmende Wettbewerbsfähigkeit" - das gleiche einem Wunder, sagt Hans Achtelbuscher, der auch Ökonomie studiert hat.
Das kleinste aller Probleme
"Wer seine Produkte wegen hoher Lohn- und Stückkosten nicht mehr abgesetzt bekommen, leidet sicher unter vielem, aber nicht unter Fachkräftemangel", sagt er. Einem Unternehmen, das nicht mehr wettbewerbsfähig sei, sei keineswegs damit zu helfen, dass es neue Mitarbeiter einstelle. Auch die DPA-Behauptung, dass "die Wachstumsaussichten mittel- und langfristig vor allem (sic!) durch die demografische Entwicklung gebremst" würden, erscheine vor diesem Hintergrund widersinnig. "Wenn unmittelbar danach auf seit langem hausgemachte Probleme wie ,vor allem' bürokratische Hürden, hohe Energiekosten, eine mangelnde digitale Infrastruktur steigende Sozialabgaben verwiesen wird, stellt sich die Frage, welche Rolle ein Mangel an Fachkräften da noch spielen kann."
Beantwortet wird sie nicht. Stattdessen verkündet DPA einen "12-Punkte-Plan für Reformen", die nach dem Willen der Wirtschaftsinstitute auch noch "grundlegend Reformen" sein müssten und "schnell kommen" sollten. Dann "könnte dies einen positiven Effekt auf die Konjunktur haben". Hans Achtelbuscher ist angesichts der vulgärsprachlichen Gewöhnlichkeit der Formulierungen entsetzt. "Grundlegend, kommen, könnte, positiver Effekt", sagt er, "nichtssagender geht es nicht". Jedenfalls nicht lange. Dann folgt der noch tiefgründigere Satz: "Ohne ein Paket klarer Reformen, die den Standort stärkten, drohten die finanzpolitischen Impulse früher oder später zu verpuffen."
Formulierungen aus der Sprachhölle
Es sind allesamt Formulierungen aus der Sprachhölle, inhaltsleer und wie der Vorschlag, "die Sozialversicherungsbeiträge zu stabilisieren" und der Hinweis, dass das "Umlagesystem etwa in der der gesetzlichen Rentenversicherung durch die niedrige Geburtenrate und die steigende Lebenserwartung immer mehr unter Druck" gerate. Achtelbuscher nennt das ein "Worthülsenbombardement", das jeden Menschen überfordere, der auf der Suche nach Informationen sei. "Da es diese wirren Wortkanonaden sind, aus denen sich Millionen Deutsche ihr Weltbild basteln, besteht kein Zweifel daran, dass wir uns in einer tiefen Verständniskrise befinden", sagt der Forscher.
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