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Ein Rückgang der Drohnensichtungsberichte um 95 Prozent: Schon die Ankündigung des Bau eines blickdichten Drohnenwalls rund um die EU hat Russlands Quadrokopter in die Schranken gewiesen. |
Eben noch überall, auf einmal verschwunden. Kaum entdeckt, und schon wieder weg. Die Drohnen, vor einigen Tagen das Thema, das Politik, Behörden, Bundeswehr und die Medien bewegte wie kein anderes, haben den deutschen Luftraum offenbar bereits wieder verlassen. Seit Stunden schon gibt es keine Meldungen mehr von ernsten und akuten Fällen. Keine Erkundungsflüge über Teilen der kritischen Infrastruktur. Keine Rundflüge über Flughäfen. Urplötzlich keine Sichtungen mehr in Feld, Wald und Flur.
Der Drohnenschild funktioniert schon
Die Bedrohung scheint für den Augenblick so schnell verschwunden, wie sie Anfang September unerwartet entstanden war. Nur wenige Wochen nach der Vorstellung der deutschen Aufrüstungspläne auf dem Weg zum Kriegsziel 2029, in denen von einer Drohnenbewaffnung der Bundeswehr noch nicht die Rede war, stiegen die ersten unbekannten Flugkörper auf. Russland hatte offenbar erkannt, was die Bundeswehrplaner nicht hatten sehen können. Kleine, unbemannte Flugkörper sind keine Waffe, die einen Krieg entscheiden kann. Doch sie beschäftigen den Gegner so sehr, dass auch er nicht gewinnt.
Erst traf es Polen. Die berühmte Ostflanke erzitterte unter dem Ansturm unbemannter Flugkörper, die auch die Luftabwehr des größten und mächtigsten Verteidigungsbündnisses der Menschheitsgeschichte nicht vollständig vom Himmel zu holen vermochte. "Mehr als zehn" Flugkörper meldete die Nato, "mehr als ein Dutzend" meldete Polen.
Nach einer endgültigen Zählung waren es dann aber sogar "mindestens 19, wahrscheinlich aber sogar 23" russische Kamikazedrohnen flogen erst unbeobachtet und dann überwiegend unbehelligt in den polnischen Luftraum ein. Immerhin acht konnten durch die polnische Luftwaffe und alarmierte Nato-Luftstreitkräfte abgeschossen werden.
Verräterische kyrillische Buchstaben
Russland, das verräterische "kyrillische Buchstaben" auf den Trümmern hinterlassen hatte, versuchte es trotzdem gleich noch einmal. Jetzt war Kopenhagen dran, der Ort, an dem die Spitzen der Verbündeten sich zu einem Gipfel trafen, dessen Tagesordnung Moskau schrieb. Worüber auch immer ursprünglich hätte gesprochen werden sollen. Am Ende redeten alle über die Bedrohung des freien Westens durch Drohnen. Ist das schon der Bündnisfall? Wie antworten, ohne etwas zu sagen? Die Medien daheim machten Druck: "Hätte Deutschland die angeblich 19 Drohnen, die in Polen nicht abgeschossen wurden, auch nicht vom Himmel holen können?", fragte der WDR. Und ja, Thomas Erndl von der CSU, ein den meisten Wählerinnen und Wählern unbekannter Sprecher des Verteidigungsausschusses im Bundestag, gestand ganz offen: "Das würde bei uns dann in ähnlicher Weise auch passieren."
Es waren Tagen voller banger Blicke zum Himmel. Flughäfen mussten stillgelegt werden, nachdem dort Flugbewegungen stattgefunden hatten. Drohnen tauchten "über Kasernen und Funkhäusern" auf, in Kiel, Norwegen und in Dänemark, sogar in Gifhorn, Sinbronn bei Dinkelsbühl und Frankfurt am Main. Niedersachsen, mutmaßlich eines der Durchmarschgebiete des kommenden Kräftemessens, meldete eine Verdopplung des Auftauchens "verdächtiger Lichter und Geräte am Himmel" (Stern). In Schleswig-Holstein zeigten sich die "unsichtbaren Beobachter" (Bild) blinkend und summend vermehrt über kritischer Infrastruktur.
Gezielte Störaktionen
Die Behörden gingen von gezielten Störaktionen aus. Die Bevölkerung war beunruhigt. Dass Züge nicht fahren, beklagt niemand mehr. Dass aber nun auch die paar Flugzeuge, die nach den Streichungen ganzer Linien und Verbindungen noch übrig sind, nicht mehr fliegen, kratzt am nationalen Selbstbewusstsein. Statt sich über den Gewinn zu freuen, den jeder einzelne ausgefallene Flug dem Weltklima bringt, Grüne fordern koordinierte Spähtrupps zur Drohnensichtung. Das Bundeskabinett ging noch weiter und gestattete erstmals Kampfeinsätze der Bundeswehr im Inneren - ein verfassungsrechtlicher Tabubruch wie der von US-Präsident Donald Trump verfügte Einsatz der US-Nationalgarde im Landesinneren im Rahmen seiner "radikaler innenpolitischer Agenda" (Die Welt).
Es war die so oft geschmähte, verhöhnte und wegen ihrer endlosen und langwierigen Entscheidungsprozesse verlachte EU, die strategisch Pflöcke einschlug. Während die Nato-Partner noch in Kopenhagen tagten, penibel bewacht von Radarstationen und Flugabwehrgeschützen, legte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen kühnen Plan vor. Ein Drohnenwall weit draußen im Osten, blickdicht hochgezogen entlang der berühmten Ostflanke vom finnischen Kirkenes ganz im Norden über 3.000 Kilometer bis nach Sulina in Rumänien, ganz unten am Schwarzen Meer, werde das freie Europa künftig abschirmen, verkündete die frühere deutsche Verteidigungsministerin.
Projekt Fliegendes Stachelschwein
Geld spiele keine Rolle, hieß es in Brüssel. Der fliegende Teil des Projekts "Stählernes Stachelschwein" (steel porcupine), das die Kommissionspräsidentin im März in Dienst gestellt hatte, wird zwar rund 400 Milliarden Euro kosten. Die asymmetrische Bedrohung durch Russland aber wirksam beenden.
Es war ein Weckruf zur rechten Zeit. In den ersten dreieinhalb Jahren seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hatten Europas Generalstabsplaner und Militärinfluencer zwar zahlreiche neue Beobachtungen auf den Schlachtfeldern in der Ostukraine gemacht. Entgangen war ihnen allerdings die gewachsene Bedeutung von Drohnen als neuer Waffengattung.
Als Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius und Bundeskanzler Friedrich Merz im Sommer erste Einzelheiten der deutschen Aufrüstungsplanung bekanntgaben, war die Rede von 1.000 Kampfpanzern und 2.500 Schützenpanzern, von Jagdflugzeugen und Geschützen und einem Ausbau des neuen Weltraumkommandos. In der Drohnenfrage aber blieb der Sozialdemokrat abwartend: Viele Jahre hatte die SPD engagiert und erfolgreich gegen eine Bewaffnung der Bundeswehr mit Drohnen gekämpft.
Nur Tests sind erlaubt
Jetzt konnte sich ihr Verteidigungsminister nur dazu durchringen, erste Tests mit Kampfdrohnen bezeichneten unbemannten Kampfmitteln anzuschieben. Mehr war nicht drin. Zu groß war die Skepsis in der deutschen Sozialdemokratie , dass die als "loitering ammunition" – also "herumlungernde Munition" bezeichneten Miniflieger aus dem ehrlichen Kampf Mann gegen Mann, Panzer gegen Panzer ein schäbiges Schlachten aus dem Hinterhalt machen, das selbst den Sieger entehrt.
Pistorius ist ein alter, erfahrener Sozialdemokrat. Der gelernte Obergefreite, früher Oberbürgermeister von Osnabrück, wusste sehr genau, dass er vielleicht den Russen besiegen kann, nicht aber die eigene Partei. Erst die mit dem Ende der parlamentarischen Sommerpause vom Kreml begonnene Drohnenenoffensive und die darauffolgende Drohnenhysterie erlaubte es dem 65-Jährigen, der seinen Wehrdienst bei einem Flugabwehrregiment leistete, Schluss zu machen mit der Friedensromantik seiner Genossen. Zehn Milliarden Euro will Pistorius nun für Drohnen ausgeben, Ziel sei" eine digital vernetzte Luftverteidigung auf europäischer Ebene", berichtet der "Spiegel". Proteste gibt es keine.
Ablehnung im Bundestag
Es ist geschafft. Anderthalb Jahre nach dem historischen Augenblick im Bundestag, in dem SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sowie der Gruppe Die Linke einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel "Aufbau einer Drohnenarmee" (20/11379) brüsk ablehnten, entsteht sie doch. Nur sechs Jahre hat es seit dem ersten Anlauf gedauert, den AfD und FDP am 20. Dezember 2019 unternommen hatten, als sie forderten, den "Schutz der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr durch die Beschaffung von bewaffneten Drohnen stärken" (19/15675). Die Abstimmung wurde zum Debakel: In namentlicher Abstimmung votierten 526 Abgeordnete gegen den Antrag.
Dafür hat seitdem niemand gestimmt, denn der Bundestag hat sich nie wieder mit der Frage des Aufbaus einer "neuen Truppengattung Unbemannte Systeme und Drohnenabwehr" in der Bundeswehr" (CDU/CSU, 16. Mai 2024) befasst. Beschlusslage seit 2018 ist die Anschaffung von fünf israelischen Kampfdrohnen des Typs Heron TP - maßgeschneidert als "German Heron TP" - für rund eine Milliarde Euro. Über die tatsächliche Bewaffnung der ersten Handvoll unbemannter Flugzeuge, die auch Waffen tragen können, sollte eigentlich erst "nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung" im Bundestag entschieden werden.
Die Drohnenhysterie hat auch die SPD geheilt
Auch das ist aber nun wohl hinfällig. Es brauchte nicht mehr als eine kurze Phase aufgeregter Anspannung, um die Stimmung zu drehen, den Bundestag aus dem Spiel zu nehmen und der Exekutive freie Hand zu geben. 2020 lehnte noch "knapp mehr als die Hälfte der Bundesbevölkerung Kampfdrohnen ab", heute werden kaum veränderte Umfrageergebnisse unter der Überschrift "Jeder Zweite fordert konsequentes Durchgreifen" als "großer Zuspruch" für die von der Leyen-Idee eines Drohnenabwehrsystems für die Europäische Union gefeiert.
Wie wenig hat es dazu gebraucht. Im Einklang mit dem ersten Gesetz der Mediendynamik dauerten die beiden Drohnenwellen, die Magazine, Zeitungen und Fernsehsender in Atem hielten, jeweils nur zwei Wochen. Drohnen waren überall, sie waren zweifelsfrei russisch, obwohl ihre Herkunft immer noch einer gründlichen Überprüfung bedurfte.
Unklare Absender
Die Ermittlungen dazu laufen offenbar noch, gründlich und ohne Eile. Zu früheren Vorfällen, bei denen Sicherheitsbehörden auch schon darauf "tippten, dass Russland dahinter stecken könnte" (Correctiv), gibt es auch nach fast zwei Jahren noch keine belastbaren Erkenntnisse, wer etwa hinter dem Quadrokopter, der im Februar 2024 über der Wettiner-Kaserne im sächsischen Frankenberg abstürzte, als er versuchte, die Heimat der Panzergrenadierbrigade 37 auszuspionieren.
Wer auch immer dahitlersteckte, er hat erreicht, was die AfD 2019 forderte und die SPD nach ihrer eigenen Beschlusslage bis heute ablehnt. Wenn Boris Pistorius heute ankündigt, für zehn Milliarden "Drohnen aller Art, aller Höhen" kaufen zu wollen, murrt es nicht einmal im Willy-Brandt-Haus oder in den Parteiversammlungen der Ortsgruppen von Sozialdemokraten, Grünen und Linken. Wenn Wladimir Putin mit seinen hybriden Srohnenattacken hatte erreichen wollen, Deutschland mit seiner manifesten Verweigerung einer Bewaffnung mit Drohnen bricht, dann hat sein Ziel erreicht.
Seit dem Höhepunkt um den 3. Oktober herum, als keine Stadt, kein Dorf und kein Stückchen Vorgarten mehr unausspioniert blieb, ist die Frequenz der beunruhigenden Drohnen-Meldungen um 95 Prozent zurückgegangen.
1 Kommentar:
Man mus dem Russen bloß damit drohen, dass man 100e Milliarden für Wunderwaffen verbrennen wird, und zwar ganz wirklich, und schon ist Ruhe.
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