Freitag, 10. Oktober 2025

Künstliche EU-Strategie: Der große Sprung

Die Präsidentin hat gesprochen. Die AI-First-Strategie muss nur noch aufgeladen werden.

Sie ist wieder ganz vorn wie immer. Nicht einmal zwei Jahre nach dem AI Act, mit dem die EU nicht nur das weltweit erste Regulierungsgesetz für Künstliche Intelligenz, sondern auch sich selbst von selbiger verabschiedete, hat Kommissionspräsident ein Ursula von der Leyen angekündigt, dass ihre Behörde demnächst eine umfassende AI-Strategie ankündigen werden, in der angekündigt werden soll, welche großen Ankündigungen in der Zukunft noch folgen könnten. "AI first" nennt die Präsidentin ihren Plan zur planmäßigen Nutzung einer Technologie, über die die EU dank der Bemühungen ihrer Kommission kaum verfügt.

Bewährte Strategie 

Von der Leyen folgt damit ihrer bewährten Strategie: Sobald ein Thema so weit durch ist, dass wirklich alle begriffen haben, wie wichtig es gewesen wäre, ganz vorn dabei zu sein, taucht die Präsidentin auf, um zu bestätigen, dass genau das ganz oben auf ihrer Liste steht. Unvergessen ist, wie sie sich die Impfdosenbeschaffung auf den Tisch zog und anschließend die Gründung einer "Gesundheitsunion" namens "Hera" ausrief. Die Arbeit war damit auch schon getan. 

Als neue Herausforderungen aufploppten, wurde aus der Gesundheitspräsidentin Europas umgehend eine Energiepräsidentin, eine Zollpräsidentin, eine Bürokratiepräsidentin, eine Resilienzpräsidentin und eine Rüstungspräsidentin. Messbare Erfolge zeitigten all die ruckeligen Reden der 67-Jährigen nicht. Europa spielt heute nahezu nirgendwo mehr eine Geige, sondern allenfalls die Maultrommel. Es gibt kein Wachstum, es gibt keine Einigkeit, es gibt atemberaubend hanebüchene Pläne, sich weiter durchzuwursteln und eine wachsende Angst, dass all das nicht mehr lange beieinanderzuhalten sein wird.

Immer zu spät 

Immer zu spät. Immerzu viel. Oder zu wenig. Im Bemühen, den großen Themen, die anderswo entstehen, wenigstens hinterherzulaufen, hat von der Leyen die traditionell hochentwickelte EU-Ankündigungskultur zu einer nie gekannten Blüte gezüchtet. Mehr noch als ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker, der wenigstens unterhaltsam war, wenn zwei Paar Schuhe auf einmal trug, hat die eiserne Lady aus Hannover Europa mehr geschadet als es Putin, Xi und Trump gemeinsam vermochten.

 Dem Selbstbewusstsein der Frau, die mit zehn nach wie vor den deutschen Rekord für die meisten jemals geführten  Fachministerien hält, hat das nicht geschadet. Als die Christdemokratin jetzt in Straßburg aufs Podium trat, um der restlichen KI-Welt den Kampf anzusagen, ließ sie sich auch nicht irritieren, als nach ihrer Verkündigung der neuen famosen "AI first"-Strategie nur ein einziger Mensch im Saal beglückt in die Hände klatschte. Von der Leyen reagierte nach einem Augenblick der Verblüffung mit dem Ausruf "Ja, das ist einen Applaus wert". Und sie freute sich, dass wenigstens das ein mattes Echo aus Mitleidsklatschern erzeugte. 

Bei Lichte betrachtet 

Die "einfache und transformative" Strategie, von der sie anschließend nur so viel verriet, dass die EU künstlich-intelligente Gesundheitsfabriken in ganz Europa errichten und Geld ins autonome Fahren stecken werde, hat es in sich. Sie besteht bei Lichte betrachtet aus nicht mehr als all die anderen Strategien, Pläne und Absichtserklärungen, mit denen von der Leyen bisher hausieren ging: Eine dünne Suppe, die fast vollständig aus aromatisierten Ansprüchen, Glaubensglutamat und Worthülsen besteht. 

Der AI Act, das Produkt einer zentralen Planwirtschaftsideologie, den seine Schöpfer stets stolz als "erstes staatenübergreifende Gesetzeswerk zum Einsatz von künstlicher Intelligenz" lobten, als werde es nur Tage dauern, bis alle das 169-seitige Werk mit seinen 101 Artikeln abschrüben, kam jetzt nicht vor in von der Leyen predigtartiger Ansprache. Auch vom Stolz der Kommission, erstmals so schnell auf eine neue Technologie reagiert zu haben, dass die in der EU schon verboten war, ehe sie richtig eingeführt werden konnte, war nichts mehr zu spüren. 

Angriff auf die ganz Großen 

Stattdessen soll EU-Europa es jetzt mit den ganz Großen aufnehmen. Im Wettstreit mit den USA und China will die EU-Kommission "etwa eine Milliarde Euro" (Handelsblatt) in die Had nehmen und für "mehr Künstliche Intelligenz in der Wirtschaft" ausgeben. Eine Summe, die in den USA vermutlich für Angst und Schrecken sorgen wird. Die Google-Mutter Alphabet hat in diesem Jahr 75 bis 85 Milliarden US-Dollar in KI gesteckt, bei Amazon sind es 60 Milliarden. Facebook-Mutter Meta plant bis 2028 mit Ausgaben von 600 Milliarden US-Dollar für Rechenzentren. OpenAI und Oracle geben 500 Milliarden Dollar für das "Stargate" Superrechenzentrum aus.

Und dann steht da diese ältere Dame in Apricot und sie spricht davon, dass ihre Milliarde "etwa" für autonomes Fahren in europäischen Städten oder KI-gestützte Gesundheitszentren eingesetzt werden wird. "Etwa" bedeutet im Politischen "nicht nur", denn "auch für die Wissenschaft sind Mittel und eine eigene KI-Strategie vorgesehen", sagt Ursula von der Leyen - "etwa" um den Forscherinnen und Forschern Zugänge zu KI-Rechenzentren zu gewähren. 

Jammern und Zähneklappern 

Das wird geklotzt in Brüssel und das Jammern und Zähneklappern der Konkurrenz in Übersee und in China ist kaum zu überhören. Sehr spät, aber wie immer zu spät hat die EU-Kommissionspräsidentin herausbekommen, dass "mit KI intelligentere, schnellere und erschwinglichere Lösungen gefunden werden" können. Nur drei Jahre nach der Vorstellung der OpenAI-KI ChatGPT zieht die Kommission Konsequenzen: "Wir werden die AI-First-Denkweise in allen unseren Schlüsselbranchen vorantreiben, von der Robotik über das Gesundheitswesen bis hin zur Energie- und Automobilindustrie", spricht die Frau, deren Reich gerade auch noch die letzten kleinen eigenen KI-Startups Richtung USA davonlaufen.

Aber von der Leyen plant ohnehin eine europäische Zukunft als Anwender fremder Intelligenz. Die gelernte Medizinerin schwärmt von den großen Fortschritten bei Röntgenbildanalysen, Krankheitsdiagnosen und Therapieempfehlungen, die mit der für Europa brandneuen Technologie gemacht werden könnten. Ihr letztes liebstes Kind, der im Januar verkündete, aber seitdem noch nicht wieder erwähnte große Bürokratieabbau, kommt mit KI erst richtig in Gang.  

"Milliarden-Initiative"


"AI first", das ist nicht irgendwas, das ist eine "Milliarden-Initiative", die "Europa zu einem KI-Kontinent machen" soll, wie die Kommission offiziell formuliert. Mit "vier  europäischen KI-Gigafabriken", alle "auf das Training der komplexesten, sehr großen KI-Modelle" (von der Leyen), peilt die EU den großen Sprung aus dem Besenwagen ganz an die Spitze an.  

Diese magischen Gigafabriken, hat sich von der Leyen aufschreiben lassen, "werden über rund 100.000 KI-Chips der neuesten Generation verfügen, etwa viermal mehr als die KI-Fabriken, die derzeit aufgebaut werden." Und wenn sie eines Tages wirklich fertig werden sollten, hätten sie zugleich auch nur halb so viele wie  Elon Musks Grok und ein Viertel so viele wie Metas Superrechner, der im kommenden Jahr angefahren werden soll.

"Kraft für das Gute" 

Doch dort wird nur gerechnet. Ursula von der Leyen aber will, "dass KI eine Kraft für das Gute und für das Wachstum ist". In Zeiten der kommenden Klimakatastrophe ein Spagat: Wachstum ist eigentlich nichts, was Europa vor kommenden Generationen noch verantworten kann, KI-Rechenzentren stehen zudem unter Verdacht, unmäßig viel Energie zu benötigen. 

Nachdem die "AI First"-Strategegen der Kommission in monatelanger Arbeit n eben dem Gesundheitswesen und dem autonomen Fahren auch noch "Robotik, Fertigung, Ingenieur- und Bauwesen; Klima und Umwelt; Energie; Agrar- und Ernährungswirtschaft; Verteidigung, Sicherheit und Raumfahrt; elektronische Kommunikation sowie Kultur-, Kreativ- und Medienwirtschaft" als "Schlüsselsektoren" (EU) identifiziert haben, sieht alles vielversprechend aus. Nicht aufgeführte Sektoren wie Finanzen und Tourismus dürften zudem später hinzukommen, hieß es von EU-Beamten.

Nur noch aufladen 

Doch trotz "unseres eigenen europäischen Ansatzes auf der Grundlage von Offenheit, Zusammenarbeit und exzellenten Talenten" droht dadurch ein Ressourcenbedarf, auf den Deutschlands Rückbauplaner zum Beispiel überhaupt nicht eingerichtet sind. Die hatten den künftigen Strombedarf noch 2023  auf  750 Terawattstunden im Jahr geschätzt. Jetzt, wo auch Deutschland wenigstens eine energiehungrige KI-Gigafabrik abbekommen muss, um der EU beim "Aufholen des Innovationsrückstands gegenüber den USA und China" (von der Leyen) zu helfen, liegen die Prognosen bei nur noch 600 Terawattstunden.

Auch Ursula von der Leyen weiß um solche Herausforderungen. Das passt alles nicht zusammen, böse Zungen könnten sagen, es klingt alles nach großem Quatsch. Doch mit "AI First" steht die Richtung. Es gibt kein Zurück, auch wenn jenseits der eingeschworenen Fans der Kommissionspräsidenten bei an geschlossenen Funkhäusern und Magazinpalästen niemand sagen könnte, wie von der Leyens Strategiesimulation einen Weg vorwärts öffnen könnte. 

"Unser Ansatz muss noch aufgeladen werden", hat die Präsidentin in Straßburg selbst sorgsam verklausuliert gestanden. Es fehlt an Geld, es fehlt an Firmen, es fehlt an Chiphersteller, es fehlt das Know How und es droht als Nächstes ein erbitterter Kampf der 27 Mitgliedsstaaten im Standortwettbewerb um die KI-Gigafabriken.

 


4 Kommentare:

Carl Gustaf hat gesagt…

Wenn vdL von "AI" spricht, hat das den gleichen Sound wie bei den DDR-Bonzen, wenn die von Mikroelektronik gesprochen haben.

Anonym hat gesagt…

Wenn Ursula sagt, wir müssen Europa zur Weltspitze machen, und keiner macht es zur Weltspitze, dann ist das ja nicht ihre Schuld.

Anonym hat gesagt…

Die sogenannte KI bewirkt, neben etlichen anderen unerfreulichen Scherzen, dass neuerdings der Empfängername bei Onlineüberweisungen überflüssigerweise moniert wird.
Neulich bei "Wer weiß denn sowas" ein struppiger neunundzwanzigjâhriger Hustenstorch*, der prahlte, er würde KI entwickeln. Sein Allgemeinwissen dann ... das Grauen! Das Grauen!

* Schmähwort von Kraftsportlern für Nicht-Solche. Wie Meckerbrötchen, Spille-Rippchen ...

Anonym hat gesagt…

"Glaubensglutamat ", ein sehr schönes Wort. Ich glaube ,es wurde aus der Bundesworthülsenfabrik geschmuggelt. Ohne Glaubensglutamat würde die ganze Klimabewegung nicht existieren, oder die ganzen Religionen.