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Das Leben wird leichter, denn die CDU liefert wie versprochen: Die Modernisierungsagenda erfüllt die Forderung von Millionen Menschen nach einem Bundes-Kfz-Portal. |
Vor der Bundestagswahl im letzten Winter war die Stimmung weiter Teile der Bevölkerung selbst bis in abgeschirmten Kernbereiche des politischen Berlin zu spüren. Die Menschen wollten Reformen, sie wollten, dass Deutschland wieder einfach funktioniert, mit Zügen, die fahren, Flugzeugen, die fliegen, und Politikern, die regieren, statt zu reagieren. Wünsche gab es unendlich viele nach den langen Jahren der bleiernen Zeit unter den Beharrungskanzlern Merkel und Scholz. Vielen erschien es sogar besser, irgendetwas zu verändern, selbst wenn dann alles noch einmal schlechter werde. Hauptsache, so hieß es nicht nur im demokratisch prekären Sachsen, "es ändert sich was".
Endlich ein Bundes-Kfz-Portal
Was Wählerinnen und Wähler am meisten wollten, war kein Geheimnis. Wer erinnert sich nicht mit Gänsehaut an den Januar, als Hunderttausende bei spontanen Massendemonstrationen die Schaffung eines bundesweit einheitlichen zentralen Zulassungsportals für Kraftfahrzeuge forderten? Und darüber hinaus eine Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung, die auf fünf Handlungsfeldern 23 Hebelprojekte aufführt, die spürbare Wirkung bei Bürokratisierung, Effizienzsimulation und Wirkungsdynamisierung entfaltet?
Der Bundeskanzler und sein Kabinett gerieten anfangs unter Druck, weil sie offenbar außerstande schienen, das Gewünschte nach der gewonnenen Wahl sofort zu liefern. Zu kompliziert die Abläufe in den umgebauten Ministerien. Die neuen Mannschaften der neuen Minister mussten sich erst finden. Wie die neuen Ressortchefs hatten auch die Abgeordneten im Bundestag bis zum Sommer dringendere Probleme zu lösen als die, die draußen im Land als wichtig angesehen werden. Es waren höchste Richter zu wählen und es galt, Gewissheit über den Weiterbestand der Brandmauer zu schaffen.
Heißer Herbst der Reformen
Die Koalition von SPD, CDU und CSU, eine Kombination der regierungserfahrensten Parteien, die Deutschland zu bieten hat, brauchte bis zum Start in den heißen Herbst der Reformen, um vorzulegen, was sich Wählerinnen und Wähler versprochen hatten: Eine Modernisierungsagenda, die kaum Wünsche offenlässt. Von der Einführung des digitalen Führerscheins bis zu KI-gestützten Visaverfahren und von dem von so vielen so herbeigesehnten Kfz-Zulassungsportal bis zu einem wegweisenden "Whole-of-Government-Ansatz" mit der klaren Prämisse des "digital first" bietet die "Modernisierungsagenda – für Staat und Verwaltung (Bund)" des BMDS alles, was das Herz so vieler schon so lange herbeisehnt.
Je nach Quelle "rund 80" oder auch "mehr als 80" oder "81" oder "bis zu 80 Maßnahmen" haben die Ministerinnen und Minister unter Leitung von Kanzler und Vizekanzler bei ihrer Zusammenkunft in der Villa Vino zu einem Modernisierungsprogramm zusammengestellt, das die größten Baustellen Deutschlands klar adressiert.
40 Seiten Erneuerung
Das 40-seitige Dokument ist ein Manifest eines unbedingten Erneuerungswillens, der keinen Halt vor heiligen Kühen und traditionellen Erbhöfen macht. Schonungslos geht das Papier ans Eingemachte - Ziel ist nichts weniger als ein "schnelles Deutschland" mit einem "effizienten, digitalen Staat", der "spürbare Verbesserungen für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen" verspricht und dazu "konkrete Reformen formuliert, die Bürokratie rückbauen und für breite Entlastung sorgen".
Interessant an dem von der Bundesregierung vorgelegten bindender, ressortübergreifender Fahrplan zum radikalen Umbau Deutschland hin zu einem Gemeinwesen, das über einen bindenden, ressortübergreifenden Fahrplan mit klaren Fristen, Monitoring und über 80 Einzelmaßnahmen in fünf Handlungsfeldern verfügt, sind nicht nur die von der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) empfohlenen schlagwortstarken Schwerpunkte Bürokratierückbau, neue Rechtssetzungsstandards, digitalisierte Services und KI in der Verwaltung, moderne Personalstrukturen und eine deutlich verschlankte Bundesverwaltung. Sondern vor allem die Art der Darreichung in einfacher Sprache.
Geburtsurkunde des neuen Deutschland
Für PPQ hat die Bitterfelder Gebärdendolmetscherin Frauke Hahnwech diese auch als "Geburtsurkunde des digitalen Deutschland" bezeichnete Ausarbeitung analysiert und dekontruiert., Hahnwech gilt als eine der führenden Koryphäen im Fachbereich Übersetzung aus dem Politischen, sie hat bereits für die Uno, die WHO, das IPPC und Martin Schulz gearbeitet und wissenschaftlich zu Themen wie der führenden Rolle des Adjektivs in der politischen Kommunikation und der Macht zusammengesetzter Substantive in EU-Papieren etwa zur "Just-Transition-Strategy" gearbeitet. Hahnwech hat in Lyon und Klagenfurt Körpersprache studiert, sie versteht sich jedoch auch auf Simultanübersetzungen aus dem Propagandistischen.
PPQ: Guten Tag! Frau Hahnwech, heute wollen wir über die große Modernisierungsagenda von Schwarz-Rot sprechen. Sagen Sie uns doch - haben wir es hier wirklich mit dem bisher umfassendsten Punkteplan der bundesdeutschen Geschichte zu tun?
Hahnwech: Eine komplizierte Frage, vieleicht die komplizierteste überhaupt, denn sie lässt sich so einfach gar nicht beantworten. Die Rede ist ja von 80 sogenannten Maßnahmen, das ist aber eine Zahl, die sich bei der Analyse des Dokument weder bestätigen noch widerlegen lässt.
PPQ: Dann sagen Sie es uns: Wie viele Maßnahmen werden insgesamt angekündigt?
Hahnwech: Wie gsagt, das ist schwierig zu beantworten. Basierend auf einer gründlichen Zählung im Dokument und ergänzenden Quellen zur Agenda werden exakt genau über 80 Einzelmaßnahmen angekündigt, guit versteckt in fünf sogenannten Handlungsfeldern, die mit Überschriten wie Bürokratierückbau und digitale Services versehen wurden. Parallel aber hebt die Agenda 23 Hebelprojekte hervor, darunter die berühmte Schaffung eines Bundeszusallnungsportals für Kraftfahrzeuge als vielleicht greifbarstes Versprechen. Diese 23 Hebelprojekte werden als Kernstücke bezeichnet, die spürbare Wirkung erzielen sollen, während die restlichen Maßnahmen die Agenda abrunden. Zusammengezählt wären das je nach Einordnung zwischen 65 und 112 Vorhaben, aber die Bundesregierung hat eben 80+ gezählt. Wohl auch, weil sie Ressortbeiträge mitrechnet, die, wie es heißt, modular ergänzt werden können, aber im Moment noch nicht angedacht sind.
PPQ: Beeindruckend kompliziert. Aber lassen Sie uns doch zur sprachlichen Analyse des Papiers kommen, das ist ja Ihr Beritt. Können Sie uns sagen, womit wir es hier zu tun haben?
Hahnwech: Absolut. Wir müssen nur auf die Adjektivdichte schauen und auf die Häufigkeit des Vorkommens sogenannter Ankündigungsvokabeln wie "soll", "wird" und "werden"? Dem geübten Auge fällt sofort auf, dass der Stil des Manifests sich deutlich von der Umgangssprache unterscheidet, so deutlich, dass wir kn der Wissenschaft davon sprechen würden, dass wir ein Dokument vor uns haben, das nicht auf Deutsch, sondern auf Propagandistisch abgefasst wurde.
PPQ: Das bemerken Sie woran?
Hahnwech: Zuerst einmal an der hohen Adjektivdichte. Zwölf bis 15 Prozent der verwendeten Worte sind beschreibende Attribute wie "schnelles", "digitales", "handlungsfähiges", "effizienter" oder "spürbarer". Das erzeugt einen dynamischen, werbenden Ton, der Optimismus vermittelt, aber für jeden normalbegabten Leser auch übertrieben wirkt. Sehen Sie, in der Umganssprache liegt der Porzentsatz der Adjektive bei deutliche unter zehn. Und dann haben wir hier eine Dominanz von Ankündigungsvokabeln: Im Papier haben wir über 250 Vorkommen von "wird" im Sinne von "wir treiben voran" und "werden" wie bei "werden entlastet" oder auch von "soll" wie in "soll ermöglichen" gezählt. Pro Seite sind das vier bis fünf Leerfloskeln, die aus dem Text eine Kaskade zukünftiger Enttäuschungen macht – das ist ganz typisch für Politikdokumente.
PPQ: Inhaltlich versucht die Agenda doch aber, Menschen abzuholen und - schon mit dem Begriff Agenda - anzuknüpfen an die Reformzeiten unter Gerhard Schröder, oder?
Hahnwech: Das ist sicher der Fall, der Kanzler hat ja auch bei seiner Audienz im Studio von Caren Miosga deutlich bezug auf die Schröder.Jahre genommen. Aber mit der Modernisierungsagenda scheitert seine Regierung unseres Erachtens nach schon im Ansatz. Der Stil dieser länglichen und letztlich langweiligen Ausführungen ist formell-bürokratisch. Schauen Sie sich nur die Fülle an Komposita an: Fast 30 Prozent des gesamten Konvoluts bestehen aus lebensfernen zusammengesetzten Substantiven, wie sie typisch sind für die Funktionsvokabeln, die die Bundesworthülsenbfabrik liefert. Wir haben hier nicht nur die "Modernisierungsagenda", sondern auch den "Bürokratierückbau", die "Personalentwicklung" und eine brandneue "Wirkungsorientierung", von der Ihnen sicherlich niemand sagen könnte, was das ist. Im Vergleich zur Alltagssprache, die lockerer und kürzer ist und statt Komposita mehr Verben nutzt, wirkt das hier abstrakt und distanziert – wie ein Unternehmensbericht, nicht wie ein Gespräch.
PPQ: Wirkungsorientierung? Gibt es noch mehr Wörter jenseits des Dudens?
Hahnwech: Die Mpühe hat man sich diesmal offenbar weitgehend erspart. Es musste, habe ich mir sagen lassen, alles recht schnelle gehen. Wir haben also wenig echte Neologismen; viel standardisiertes Bürokratendeutsch, aber wohl im Sinne einer erwünschten Dynamisierung viele Anglizismen wie "Whole-of-Government-Ansatz" oder "digital first". Ich nehme an, dass diese "Vollregierung" und die aus den Jahren um 2000 herum bekannte Digitalzuerst.-Strategie den Text internationaler machen sollten. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht verliert er daduirch aber natürlich an Emotionalität, die er sowieso nicht hat, weil seine Stärke eindeutig die Aneinanderreeihung von Phrasen wie "Hebelcharakter" oder "Modular und iterativ" ist.
PPQ: Klingt nach einer Agenda, die verkaufen will, was noch nicht da ist, weil niemand eine Vorstellung hat, was es werden könnte?
Hahnwech: In meinen Ohren klingt es wie ein Politbüropapier.
PPQ: Inhaltlich: Wie konkret sind die Maßnahmen beschrieben? Und wie viele haben messbare Erfüllungstermine?
Hahnwech: Das, was die Autoren dieses Papier wohl die "Konkretheit§" nennen würden, variiert: Die 23 Hebelprojekte werden relativ detailliert ausgemalt, ohne sich in die Gefahr zu begeben, auf irgendetwas festgenagelt wurden. Der "Bau-Turbo" wird dem nach Planungszeiten "massiv" von Jahren auf Monate verkürzen, ohne dass Anhaltspunkte dafür genannt werden, worum es sich bei dem Bau-Turboi handelt. Ähnlich sieht es bei den versprochenen Einsparungen durch weniger Personal aus und bei den "24h-Gründungen". Da wird ein zentrales Portal mit "Once-Only-Funktion und BundID" genannt - einen Traum, den schon die Ampel mit ihrem Onlinezugangsgesetz träumte, ohne dass bis heute etwas Greifbares vorliegt.
PPQ: Wird es irgendwo fassbar?
Hahnwech: Nicht, dass es uns aufgefallen wäre. Man nennt da Ziele wie "6.000 Prozessvarianten vereinheitlichen" oder "400 Zulassungsbehörden entlasten", aber das ist alles bewusst vage gehalten. Beispielhaft nenne ich mal den Satz: "Wir werden den Zugang zum Recht erleichtern". Das ist sicher ein ehrenwertes Viorhaben, nur wird sich jedermann fragen, der bis in diese Abgründe gelesen hat: Ist das ein Versprechen, das einem Rechtsstaat gut zu Gesicht steht? Insgesamt bleibt es bei einem Blabla ohne spezifische Schritte, alerfalls wird auf die beliebten Pilotprojekte verwiesen.
PPQ: Wird das in einen Zeitrahmen verpackt?
Hahnwech: Eher nicht. Die Dinge, die auf den ersten Blick konkret beabsichtig scheinen, stellen sich dann als Vorhaben heraus, Künstliche Intelligenz zu verwenden, also unter der Haube etwas umzubauen, was mir als Bürgerin zum Beispiel vollkommen gleichgütig ist. Ich will, dass Verwaltungsprozesse funktionieren. Mich damit damit begeistern zu wollen, dass da jetzt eine KI mich bedient... Ich bitte Sie. Und zu den Terminen: Nur wenige sind abrechenbar formuliert, dann aber auch mit Umschreibungen wie "Ende der Legislatur 2029". EWir haben gezählt und festgestellt, dass höchstens sieben von 23 Hebeln haben Fristen haben, einige davon aber auch auf sich selbst bezogene, wie "innerhalb 24 Stunden" für künftige Unetrnehmensgründungen. Andere nennen "bis 2026" für KI-Rechtsgrundlagen, da müsste also alles in 90 Tagen vom Tisch sein. Der Rest ist offen nach dem Muster "treiben voran".
PPQ: Ist es nicht verständlich, dass Fristen fehlen – anderenfalls wird man doch sofort festgenagelt, wenn man sie nicht einhält?
Hahnwech: Richtig. Wir haben das beim Klimageld gesehen, einmal festgelegt, wird einem das immer wieder unter die Nase gerieben. Politik lebt von Flexibilität, vom Ungefähren und vom Nebel, der über allem schwebt. Dazu gehört auhc, dass der Dokumenttext keine Kosten erwähnt, aber die Einsparungen exakt beziffert. 25 Prozent Bürokratie-Reduktion bringen danach 16 Milliarden. Das weiß man genau. Was es kosten wird, Systeme umzustellen, um Bürokratie wegzubekommen? Nicht einmal ein Anflug einer Erwähnung. Das wird also offenbar kostenlos passieren können. ((lacht)
PPQ: Wie hoch schätzen Sie die Umsetzungschance in den nächsten drei Jahren?Hahnwech: Manches wird sicher gemacht werden. Das meiste ganz bestimmt nicht.
1 Kommentar:
Diese Zulassungsscheiße mal zu modernisieren wäre aber nett, aber wie alles vom Merz wird das nur ein feuchter Furz werden.
Man muss hier 30 Kilometer aufs Amt, dessen Öffnungszeiten für Migranten auf Stütze optimiert sind, und die Sesselfurzer haben sich zu Coronazeiten dran gewöhnt, dass man Online Termine macht, die ewig ausgebucht sind.
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