Samstag, 4. Oktober 2025

Verbot tut not: AfD vor Selbstanzeige?

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Der Verbotsantrag gegen die AfD ist im Bundestag gescheitert, trotz vieler Petitionen trauen sich die demokratischen Parteien nicht an das heiße Eisen. Jetzt will die AfD selbst aktiv werden.

Hin und her und kein Ergebnis seit Jahren. Alle haben versucht, es zu versuchen. Keiner hat letztlich gewagt, es wirklich anzugehen. Trotz vieler Petitionen und mehrfacher Anläufe, im Bundestag eine Mehrheit für die Idee eines AfD-Verbotes zu begeistern, steht Deutschland zehn Jahre nach Gründung der rechtsradikalen Partei, die sich immer weiter radikalisierte, noch immer dort, wo es schon anfangs war. Das Verbot gilt als unumgänglich, um drohende Mehrheiten der Rechtsaußenpartei zu verhindern. Zugleich aber gilt es als gefährlich, weil schon sein Beginn diese Mehrheiten befördern könnte - und sein Scheitern sie im Grunde unabwendbar werden ließe.

Ein demokratisches Dilemma 

Ein demokratisches Dilemma. Angesichts der seit Jahren stabil steigenden Zustimmungswerte zur Partei der Weidels, Chrupallas und Höckes steht die demokratische Mitte unter Druck, die Brandmauer nicht mehr nur einfach durch Abschottung zu verteidigen, sondern die gewaltigen Landstriche, die mittlerweile unerreichbar dahinter liegen, zurückzuerobern. Politisch ist das kaum machbar. Zu sehr unterscheiden sich die Vorstellungen der Gestaltung des künftigen deutschen Staates, die die politische Klasse in Berlin pflegt, von denen, die Herr und Frau Mustermann draußen in der Fläche für wünschenswert halten. 

Auch das als Atombombe im Wettstreit der Ideen immer wieder vorgeschlagene Verbotsverfahren hat allerdings seine Tücken. Groß ist die Angst, dass selbst ein zuletzt deutlich progressiver neubesetzes Gericht in Karlsruhe ein Verbot ablehnen könnte. Die zu Anfang des Jahres schon einmal vorübergehend als komplett gesichert rechtsextremistisch eingestufte Partei werde dadurch noch mehr Aufwind bekommen als in den vergangenen Jahren, in denen sie durch die Bemühungen der Parteien der Mitte kaum mehr selbst aktiv werden musste, um ihre Wählerbasis mehr und mehr auszubauen. 

Hoffen auf den Verbotseffekt 

Auch die AFD selbst hofft jetzt auf diesen Effekt. "Ein AfD-Verbot wird scheitern", hat Ansgar Schledde, Chef der AfD in Niedersachsen, eine neue Strategie seiner Partei im Kampf gegen das Verbot angekündigt. Danach werde die AfD "stärker sein als je zuvor", ist er sicher. Da sich keine andere Partei und schon gar nicht alle anderen zusammen an den Verbotsantrag heranwagen, kann nur noch die AfD selbst aktiv werden: Per Selbstanzeige beim Bundesverfassungsgericht würde das im Raum stehende Verbot anhand der vom Bundesamt für Verfassungsschutz zusammengetragenen Beweisakte geprüft. Und, darauf spekuliert die AfD, im Endeffekt verworfen. 

Es wäre das, was alle Demokraten fürchten: Ein Persilschein. Eine Organisation, die anfangs die große "amerikanische" (Peer Steinbrück) Schuldenkrise instrumentalisiert hatte, um gegen die Euro-Rettungspakete Front zu machen, und später dazu überschwenkte, offen Kritik zu üben an offenen Grenzen und Klimapolitik, könnte im Bundestagswahlkampf 2029 damit für sich werben, dass an ihrer Verfassungstreue kein Zweifel bestehe. 

Vorbild Robert Sesselmann 

Vorbild ist der Fall des Robert Sesselmann, einem Mitglied der in Thüringen als rechtsextrem eingestuften Partei, bei dem von den Behörden vor der Landratswahl im südthüringischen Landkreis Sonneberg verabsäumt worden war, ihn vorbeugend vor dem Wahltag nicht zur Wahl zuzulassen. Nachdem Sesselmann die Wahl gewonnen hatte, erfolgte zwar eine Tiefenprüfung. Doch der bis dahin als Rechtsanwalt tätige Vater dreier Kinder überstand den Treuetest glücklich. Das Thüringer Landesverwaltungsamt bescheinigte ihm, in seiner Lebensführung "derzeit keine konkreten Umstände" gefunden zu haben, "die von hinreichendem Gewicht und objektiv geeignet sind, eine ernsthafte Besorgnis an dessen künftiger Erfüllung der Verfassungstreuepflicht auszulösen".

Sesselmann regiert inzwischen seit zwei Jahren in Sonneberg. Je nach Betrachtungswinkel hat er bisher Wahlversprechen wie den Ausstieg aus dem Euro, den Start von Friedensverhandlungen mit Russland und die sofortige Abschiebung krimineller und abgelehnter Asylbewerber gebrochen oder aber gezeigt, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn ein Rechtsextremer regiert. Immer mal wieder kommen neugierige Reporter in die frühere Weltspielzeugstadt, um nach dem Rechten zu sehen. Immer stellt sich heraus, dass Sesselmanns Bilanz nach zwei Jahren katastrophal aussieht. 

Es regnet in Sonneberg 

Es regnet oft in Sonneberg, wenn Gäste aus den großen Städten kommen und als der "Tagesspiegel" neulich vorbeischaute, hatte sich "die Stimmung verändert". Die Enttäuschung der 50.000 Sonneberger, sie sitzt tief. Bei der Landratswahl hatte Sesselmann noch 52,8 Prozent der Stimmen eingesammelt. Bei der Bundestagswahl Anfang des Jahres kam seine Partei nur noch auf 45. Dabei müht sich der bisher einzige behördlich anerkannte verfassungstreue AfDler, seine wahren Absichten zu verstecken. Ein Kronzeuge von der SPD beschrieb die perfide Methode: "Er teilt die Ansichten der AfD und manchmal zeigt er es auch. Aber oft versteckt er seine Radikalität gut."

Die Akte, die informell sicher auch schon beim Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe vorliegt, blickt natürlich hinter die Kulisse der leutseligen Bauernfängerei. Klipp und klar steht dort zu lesen, was die Partei im Innersten zusammenhält. 1.000 Seiten Geheimgutachten voller Analysen der "Denk- und Sprechmuster" der AfD, Auflistungen von Gastbeitrag, die dieser oder AfD-Mann da und dort  veröffentlicht hat, und Auswertungen von Fotos von "Austauschtreffen", die darauf hindeuten, dass es Kontakte gibt, die auf mancherlei hindeuten könnten. 

Das alles zusammengestellt aus öffentlichen Quellen und kurz nach der geheimen Vorlage durch die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser durch ein bis heute nicht aufgeklärtes Datenleck im Geheimdienst nach draußen gesickert.

Der große Trumpf 

Der große Trumpf, mit dem die Partei in Karlruhe punkten könnte: Um verboten werden zu können, braucht es neben der - im Rechtsstaat durchaus erlaubten - verfassungsfeindlichen Haltung auch den Willen, sie "in aktiv-kämpferischer, aggressiver Weise" umsetzen. Zudem benötigt jeder ernsthafte Verbotskandidat ein paar nicht ganz abwegige "konkrete, gewichtige Anhaltspunkte" als Argument, die es "möglich erscheinen lassen, dass das Handeln der Partei erfolgreich sein kann" (BMI). 

Im Geheimgutachten hat der Verfassungsschutz keine aufgeführt. Und so schwelt die Debatte, ob die Partei, die 2025 mit 19,6 % der Stimmen bei der Bundestagswahl glänzte und in Ostdeutschland als dominierende Kraft etabliert ist, nun nur als verfassungsfeindlich eingestuft wird oder gleich verboten werden sollte, dauerhaft vor sich hin, gelegentlich unterbrochen durch plötzlich aufschlagende Stichflammen, die den Regeln der Medienökonomie folgend nach spätesten anderthalb Woche von selbst erlöschen.

Je verbotener, desto erfolgreicher 

Die Frage, ob die AfD noch stärker wird, wenn ein Verbotsverfahren scheitert, glaubt die Partei deshalb wohl, jetzt selbst beantworten zu müssen. Niemand anders findet sich, seit der ersten Verbotsdiskussion im Oktober 2019 schon nicht, als das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Teile der AfD, insbesondere den sogenannten "Flügel" um hessischen Lehrer Björn Höcke, als "gesichert rechtsextremistisch" einstufte. 2020 stellte die Linke einen Verbotsantrag, der jedoch an der Brandmauer zur ehemaligen Mauerschützenpartei scheiterte.

Nach dem Geheimgutachten flammte die Debatte zum sechsten Mal auf, im Frühjahr folgte Auflage sieben mit einem parteiübergreifenden Gruppenantrag im Budnestag, dessen Verfasser sich über die Aussichtslosigkeit ihres Verlangens im Klaren waren. Warum also jetzt nicht Anlauf acht, eingeleitet durch die AfD selbst, die durch die "mögliche Verletzung von Dienstgeheimnissen durch die Weitergabe des Verfassungsschutzgutachtens zur AfD an die Medien" legal in den Besitz des umfassenden Beweismaterials gegen sie gekommen ist. 

Debatte kam mit dem Wahlerfolg

Viel spricht aus Sicht der Partei dafür, selbst aktiv zu werden. Der Blick zurück zeigt, dass es die Rechtsaußenpartei ist, die von den Verbotsdebatten profitiert. Jeder einzelne Anlauf zum Versuch eines Anlaufs spülte der Partei zuverlässig Wähler zu. 2020 überholte sie die Linke, 2022 die FDP, eine Partei, an die sich heute nur noch die Älteren erinnern. 2023 überflügelte sie auch Grüne und SPD, 2025 schließlich die Union. Währenddessen wurde der Ruf nach einem Strafverfahren immer lauter - eine Koinzidenz, die Wählerinnen und Wählern offenbar auffällt, so dass mental zur Solidarisierung neigen statt sich entsetzt abzuwenden.

Würde die AfD selbst sich bei den Verfechter des Verbots einreihen, um sich vom Bundesverfassungsgericht vorbeugend von allen Verfehlungen freisprechen zu lassen, wäre das deshalb ein Manöver nicht ohne Risiko. Bisher waren unter den lautesten Stimmen für ein Verfahren wenig beliebte bis nahezu unbekannte Politiker wie Nancy Faeser von der SPD und der CDU-Politiker Marco Wanderwitz, der seinen Wahlkreis bereit 2021 an den AfD-Kandidaten Mike Moncsek verlor und seitdem wohl auch eine persönliche Rechnung zu begleichen hat.

Der letzte Ausweg 

Ähnlich hoch angesehen sind die Verbotsverfechterinnen  Katrin Göring-Eckhardt und Janine Wissler. Die Grünen-Politikerin hatte ein Verbot " als letzten Ausweg" bezeichnet, ohne anzugeben, wohin der fürhen würde. Die nach ihrem Sturz als linke Parteichefin aus der Öffentlichkeit in den Bundestagsarbeitskreises für Arbeit, Umverteilung und soziale Sicherheit verschwundene Wissler hatte ihr Urteil voab öffentlich gemacht: "Die AfD leugnet den Holocaust und stachelt gegen Minderheiten auf. Das ist verfassungsfeindlich", sagte die Frau aus Hessen, die den Kapitalismus als "unmenschliches, grausames System" ablehnt und überzeugt ist, dass die von ihrer Partei angestrebte klassenlose Gesellschaft sei "nicht über Parlamente oder Regierungen zu erreichen" ist. 

Suie alle stünden neben Weidel, Chrupalla, Bernd Baumann und Beatrix von Storch, wenn die ein verbotsverfahren anschieben wolten. Doch wie käme der Plan bei der treuen AfD-Gefolgschaft an und wie bei den Laufkunden, die ihr Kreuz immer noch bei den Blauen machen, um den Schwarzen, Roten und Grünen kaum verschlüsselet Botschaften zu übermitteln? 

Uninteressierte Wähler 

Viele dieser Wähler interessieren weder der Euroskeptizismus noch die Klimawandel-Leugnung oder die russlandfreundlichen Positionen der AfD. Ihre Überlegungen sind viel einfacher: Mit den anderen hat man es immer wieder versucht. Es war mal die Kombination am Ruder und mal jene. Aber herausgekommen ist immer das gleiche Ergebnis: das Leben wurde mühsamer, teurer, der Wohlstand schmolz und die vielen Milliarden, die überhin flossen, um die welt besesr zu machen, erfüllten nie ihren Zweck.

Vor diesem Hintergrun dgesehen, müsste die AfD wie bisher gar nichts tun, abgesehen davon, hin und wieder an ihre Existenz zu erinnern. Ihren Wahlkampf erledigen die anderen, ihre Erfolge werden von SPD, CDU, Grünen und Linken organisiert. Dennoch ist der Reiz, es darauf ankommen zu lassen, groß. Zulett hatte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann der AfD-Chefetage durch die Blume zugeraten, als er sagt: "Ein Verbot könnte ein Bumerang werden. Die AfD würde sich als Märtyrer inszenieren und Stimmen gewinnen." Auch der Philosoph Jürgen Habermas zeigte sich überzeugt, dass ein Verfahren "nur dann sinnvoll ist, wenn der Erfolg sicher ist – andernfalls stärkt es den Rechtspopulismus." 

Dass er nicht sicher ist, ist sicher, sonst  wäre das Verfahren schon lange im Gange. Doch ob die AfD die Chance nutzt, sich freisprechen zulassen, bleibt abzuwarten.


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