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| Dass Deutschland bald über Stadtbilder diskutieren würde, sagte Hans Achtelbuscher bereits vor zehn Jahren voraus. |
Er ist kein furchtsamer Mann, keiner, der sich in die Büsche schlägt, wenn Gegenwind aufkommt. Hans Achtelbuscher hat als Gründungsdekan des An-Institutes für Angewandte Entropie Frankfurt an der Oder eine Denkfabrik geschaffen, die sich immer wieder mit wegweisenden Thesen auf dem Gebiet der Gesellschaftsexperimente vorwagt.
Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen ist es Achtelbuscher gelungen, noch vor der Auszahlung der ersten Braunkohlemilliarden nachzuweisen, wo und an welchen Brandmauern der mediale Debattenraum in Deutschland endet. Zudem wird dem 58-Jährigen das Verdienst zugeschrieben, mit der als "Emp" bekannten Einheit für allgemeine Empörung die erste Messgröße geschaffen zu haben, mit der sich die Dauer kollektiver Aufwallungen historisieren lässt.
Direkt an der Grenze
Als Angela Merkel im Sommer vor zehn Jahren beschloss, Deutschlands Flüchtlingspolitik vom Kopf auf die Füße zu stellen, stand Achtelbuscher mit seinen Messinstrumenten direkt an der österreichischen Grenze. Auch der gelernte Entropologe kann bis heute nicht schlüssig beschreiben, ob Merkel die Grenze damals wirklich öffnen ließ, wie US-Präsident Barack Obama später behauptet hat. Oder ob sie nur nicht geschlossen, wie Faktenchecker der "Tagesschau" dem seinerzeit mächtigsten Mann der Welt widersprochen haben. Dokumente, die das eine belegen, konnten bis heute genauso wenig gefunden werden wie Unterklagen, die das andere bestätigen.
Fakt ist, dass es Hans Achtelbuscher war, der schon wenige Wochen nach Merkels in einem Interview mit der "Rheinischen Post" auf die langfristigen Veränderungen hinwies, die auf das neue Deutschland zukommen. "In zehn Jahren werden Bürgerinnen, Medien und Politik über das Stadtbild diskutieren", sagte der Experte für experimentelle Migration schon im Oktober 2015 selbstbewusst. Eine viel diskutierte These, die das Bedürfnis des Sozialstaats nach Einwanderung mit einem Brot verglich, das sich nach Butter sehnt.
"Langfristig können europäische Sozialstaaten ihr Überalterungsproblem nur vermindern, indem sie auf Zuwanderung aus den Staaten setzen, die derzeit noch einen Geburtenüberschuss produzieren", bestätigte Achtelbuscher entsprechende Berechnungen der Uno. Bei tendenziell sinkenden Geburtenraten weltweit handele es sich um ein "Rennen um Ressourcen", sagte er. Niemand dürfe dabei wählerisch sein, eine vermehrte Vielfalt in der Gesellschaft sei der Preis für ihr vitales Überleben trotz einer grassierenden Alterung der Schonlängerhierlebenden.
Umstrittene These
Achtelbuschers Stadtbild-These war damals umstritten. Die Gegner des Forschers stimmten zwar seiner Prognose zu, dass die Bürger Kanzlerin Angela Merkel in zehn Jahren für ihre Flüchtlingspolitik dankbar sein würden. Doch die tektonischen Verschiebungen, die die gesellschaftlichen Beharrungskräfte bis heute zunehmend zu Meckern, Murren, Hetze und offenem Widerstand anstacheln, wurden weitgehend unterschätzt.
So räumte die grüne Spitzenpolitikerin Katrin Göring-Eckhardt ein, dass Deutschland sich drastisch ändern werden, sie wusste aber nicht zu sagen wie. Auch Bundeskanzlerin Merkel blieb mit ihrem Versprechen "Wir schaffen das" im Ungefähren - weder bestimmte sie das Wer, das ihr Wir beschrieb, noch das Was, das geschafft werden sollte.
Hans Achtelbuscher hat sich vor seinen Kritikern nie auf diese Weise versteckt. Zehn Jahre nach seiner Vorhersage, dass das Stadtbild im Jahr 2025 eine große Rolle in der öffentlichen Diskussion einnehmen werde, sieht sich der Flüchtlingsforscher bestätigt. "Als Angela Merkel die Worte ,Wir schaffen das` sprach" sagte er, "wurde das zur Symbolformel einer Entscheidung, die keinerlei Sachgrundlage hatte".
Kein Staat spontaner Entscheidungen
Deutschland, von der Mentalität her ein Staat, in dem ohne jahrzehntelange Studien, Experimente der EU und Vorausberechnungen durch den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages nicht einmal die Gestaltung eines Ampelmännchens verändert werden kann, habe sich über Nacht in eine Flüchtlingswelle gestürzt wie ein Profi-Surfer. "Für uns Migrationswissenschaftler war klar, dass sich aus der Ankunft hunderttausender Schutzsuchender aus Syrien, Afghanistan und dem Irak eine Vielzahl an Veränderungen im Alltagsleben ergeben würden."
Freilich war Hans Achtelbuscher schon am Tag seiner wegweisenden Prognose sicher, dass Politik, Medien und Gesellschaft geraume Zeit brauchen werden, sich der Veränderungen nicht nur bewusst zu werden, sondern sie auch als gegeben hinzunehmen. "Der Ur-Reflex, mit dem der Mensch auf jede ungewohnte Veränderung reagiert, besteht in Verleugnung", formuliert der Forscher. Gesellschaften als Ganzes funktionierten ähnlich. "So lange sie sich einreden können, es sei alles wie immer, tun sie das mit großer Überzeugungskraft."
Zehn Jahre sind üblich
Deshalb habe er damals den Zeitraum von zehn Jahren für seine Vorhersage gewählt, dass 2025 das Jahr sein werde, in dem die Folgen der für fast zehn Jahre vorübergehend eingestellten Grenzkontrollen im medialen und politischen Berlin ankommen. Die Historie lehre, dass zehn Jahre der übliche Abstand seien. "In der alten Bundesrepublik begann nach zehn Jahren der Prozess der Wiederbewaffnung und auch die grundsätzliche Kritik an der Wiedervereinigung des Jahres 1990 mit den negativen Folgen der Privatisierung und dem massive Arbeitsplatzverlust begann ein Jahrzehnt danach."
Dieses geschichtliche Muster erkennend, habe er damals auf zehn Jahre getippt, bis die Realität einer veränderten Wirklichkeit nicht mehr nur in der Wahrnehmung der hart arbeitenden Mitte, sondern auch im verwaltenden Überbau aus Politik- und Medientreibenden ankommt. "Unserer Prognosen nach war das in etwa die Zeitspanne, in der mit den wirtschaftlichen Impulsen der Migration, der bevorstehenden Integration der Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt und den Belastungen der Sozialsysteme als vorübergehend ein spürbar früh sinkendes Vertrauen in die Politik abmoderieren lassen würde."
Der große Umschwung
Der große Stimmungsumschwung aber sei, so sagt Hans Achtelbuscher, unausweichlich gewesen. Basierend auf Umfragen, Studien und offiziellen Daten habe man schon wenige Monate nach Merkels mündlicher Entscheidung sehen können, dass Millionen Zuzüge zwar über Mehrausgaben des Staates für Unterkunft, Integration und Sozialhilfe Nachfrage stimulieren.
"Andererseits provozieren sie jedoch auch Nachfragen: Wenn das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) errechnet, dass die Zuwanderung bis 2020 etwa 90 Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) beigetragen hat, dann wollen Steuerzahler natürlich wissen, wie viel sie von diesen 90 Milliarden bezahlt haben, ohne gefragt zu werden."
Flüchtlingsgetriebene Mehrnachfrage
Diese "flüchtlingsgetriebene Mehrnachfrage", wie das DIW sie nennt, sei ja letztlich nicht von den Geflüchteten und Schutzsuchenden finanziert worden, sondern durch neue Schulden und die Umlenkung von Ausgaben aus Steuereinnahmen. "Man kann den Bürgern eine ganze Weile lang sagen, dass die Wirtschaft ohne Migration schrumpfen wird", erklärt Hans Achtelbuscher.
Doch sobald die eigenen Einkommen auch mit Migration schrumpfen, "interessiert niemanden mehr das Produktionspotenzial bis zum Jahr 2029 oder das versprechen, dass der Nettoeffekt durch Integrationskosten bis 2050 ganz sicher wieder ausgeglichen wird."
Gut fertiggeworden
Was Menschen sähen, sei der Wandel dessen, was Friedrich Merz diplomatisch "das Stadtbild" genannt hat. Während die anfängliche Euphorie angesichts der Scharen Zuströmender begrenzt blieb auf kleine Gruppen, die auf Bahnhöfen applaudierten, sei der Unwille angesichts der offenkundigen Überforderung des Staates durch die jähen Wendungen schnell zu einem allgemein verbindenden Gefühl in vielen Milieus geworden. "2015 hielten 59 Prozent der für den ARD-Deutschland-Trend Befragten den Zustrom für unproblematisch, heute denkt nur eine Minderheit von 21 Prozent, dass Deutschland gut mit dem Zuzug fertiggeworden ist."
Bei den "Ängsten der Deutschen" steht eine außer Rand und Band geratene Zuwanderung laut einer R+V-Studie auf Platz 2 der Sorgen, gleich hinter der Furcht vor unbezahlbar werdenden Lebenshaltungskosten. Aus der Willkommenskultur ist ein Abwehrreflex geworden, genau wie Hans Achtelbuscher vorhergesagt hat.
Polarisierte Stimmung
"Die Menschen, die schon länger hier leben, schauen nicht mehr nur auf geschlossene gesellschaftliche Teilbereiche wie die verschlechterte Situation an den Schulen, das gewachsene Gefühl, auf Weihnachtsmärkten nicht sicher zu sein oder nicht mehr überall die eigene Meinung sagen zu dürfen", beschreibt er eine negative, polarisierte Stimmung im Land. "Nein, viele reagieren empfindlich auf den Verfall der Innenstädte, die zunehmende Verlotterung und einen Wandel des Stadtbildes, den sie als unangenehm empfinden.
"Die fehlende Dankbarkeit der Menschen für Angela Merkels Flüchtlingspolitik erklärt der Experimentalsoziologe mit einer Kombination aus gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und medialen Faktoren. "Zentral ist sicherlich die Sicherheitslage", glaubt er aufgrund von Bürgerbefragungen. Zwar sei es lange gelungen, öffentlich verfügbare Daten über die Herkunft von Tätern zu tabuisieren und durch gefällige Analysen selbst Statistiken beruhigend zu gestalten.
"Doch eine sich durch Alltagserfahrungen wandelnde gesellschaftliche Stimmung lässt sich durch rabulistische Betrachtungen zur Relativierung nicht dauerhaft aufhalten."Eindrucksvolle BestätigungIn der Geschichtsforschung sei das nicht seit dem Ende der DDR bekannt, durch dieses aber eindrucksvoll bestätigt worden.
Tag für Tag widerlegt
"Deren Führung war auch lange überzeugt, sie könne ihre Bürger mit besseren Erklärungen überzeugen, Dinge zu glauben, die von der Wirklichkeit Tag für Tag widerlegt wurden." Das gelinge aber nur vorübergehend. "Und der Preis dafür ist eine kulturelle Kluft zwischen denen, die sagen, aber ich sehe doch, was los ist, und denen, die sich überzeugen lassen, dass sie aus ihren eigenen Wahrnehmungen keine Rückschlüsse auf das große Bild ziehen dürfen, weil ihnen der Überblick fehlt."Diese sogenannten gläubigen Milieus aber schmelzen, ihre Halbwertszeit liegt nach Überzeugung der Entropologen aus dem ostdeutschen Frankfurt bei etwa fünf Jahren.
Anfangs empfände nur eine Minderheit der Bürger die Kosten für den Einkauf neuer Konsumenten als zu hoch, später kippe das zu einer Mehrheit.Asylkosten von 30 Milliarden Euro im Jahr seien für viele ein abstrakter Begriff, wenn sie als 6,4 Prozent des Bundeshaushalts beschrieben würden. "Erfahren die Befragten aber, dass sie damit pro Kopf etwa 370 Euro bezahlt haben, eine vierköpfige Familie also weit über tausend Euro, dann sehen sie sofort keinen Mehrwert mehr, sondern nur noch die Belastungen durch hohe Steuern, steigende Mieten oder überforderte Ämter."
Negative Nettobilanz
Die Nettobilanz für viele Schon-länger-Hierlebende bleibt negativ. Dies nährt den Eindruck, dass die Kosten die Vorteile überwiegen und das wiederum schwächt das Vertrauen in eine Politik, die lange standhaft das Gegenteil versichert hat. Merkels Entscheidung, Scholz’ Festhalten an der Politik der offenen Grenzen und Merz’ Fortsetzung des Scholz’schen "Migration-vor-Integration"-Kurses haben zu einem Vertrauensverlust geführt, der sich mangels anderer alternativer Wortmeldungswege im Aufstieg der AfD zeigt.
Von unter fünf Prozent im Jahr 2015 auf 27 Prozent Zustimmung in aktuellen Umfragen – nicht nur die neue Stadtbildwirklichkeit mit antisemitischen Demonstrationen, kaputter Infrastruktur und No-Go-Areas für jung und weiblich gelesene Bürger, sondern auch der Siegeszug der Rechtspopulisten ist eine direkte Folge der als unkontrolliert wahrgenommenen Migration. Das Gefühl, dass die Politik die Kontrolle verloren habe, breche sich je später, desto stärker Bahn. "Die Sicherheitslage spielt wohl eine entscheidende Rolle bei der fehlenden Dankbarkeit", folgert Hans Achtelbuscher.
Obsoleter Code
Von der Kölner Silvesternacht 2015/16 führe eine gerade Linie zu Merz’ Versuch, die Kritik am Migrationshintergrund des aktuellen Stadtbildzustandes auf die Mühlen der eigenen Partei zu leiten. Der Versuch, eine Vielzahl von Veränderungen als isolierte Einzelfälle zu erklären, sei sichtlich gescheitert. "Die Sicherheitsdebatte hat die Wahrnehmung von Merkels, Scholz’ und Merz’ Politik nachhaltig negativ geprägt", sagt Hans Achtelbuscher. Der Code "Stadtbild", den er vor zehn Jahren gewählt habe, um falschen Vorstellungen keine Plattform zu bieten, sei für einen Teil der Bürger bis heute provokant. "Der andere, weit größere Teil aber hält das Wort nur für eine weitere Beschwichtigungsformel."


3 Kommentare:
Und auf der anderen Seite der Erdkugel haben die Gauchos nicht so abgestimmt, wie Spiegel, Tagesschau & Co. dies verlangt haben. Undankbares Volk, die Argentinier ...
¡Viva la libertad, carajo
Österreichischer Migrations-Forscher 2015: „In 10 Jahren wird man Merkel dankbar sein“
Sieht aus, als hätte der Migrationsforscher (real: Soziologe) Bauböck seit 2020 nichts mehr veröffentlicht. Er hat sich also erfolgreich in den Ruhestand geschwindelt. Ob der sich Merkels Credo eigen mach?
»Wenn's hilft, dann war ich eben schuld«
Verzerren und Verdrehen bis zum letzten Atemzug: Die Vergangenheitsform ist bloß eine Lüge mehr.
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