Mittwoch, 5. November 2025

Emissionshandel: Die Angst vor dem, was kommen sollte

Die Pläne waren raffiniert und sorgfältig austariert: Falsches Verhalten würde teurer werden, aber niemand müsste mehr bezahlen. Jetzt droht die Idee zu scheitern, doch es fehlt an Möglichkeiten zur Umkehr.

Es ist so lange alles gut gegangen. Europa blühte dank der EU. Der gemeinsame Markt, nicht perfekt, aber besser als keiner, warf ebenso Wohlstandsgewinne ab wie die durch das Einspringen Amerikas eingesparten Ausgaben für Aufrüstung. Aus der Innensicht der europäischen Politik standen die Dinge dermaßen zum Besten, dass es Zeit wurde, die Rasenkanten im gemeinsamen Paradiesgarten zu beschneiden. Warum nicht, so hieß es, mit ganz Europa über die künftige Belegung der Beete zu sprechen und sich darauf zu einigen, mit Blick auf das Klima durch strengere Regeln für weniger Ressourcenverbrauch zu sorgen.

Auf dem Peak EU 

Es war Peak EU, als die 27 Staaten aufbrachen, zum weltweiten Ausstiegsvorbild zu werden. Grünes Wachstum würden sie vorleben. Wohlstand schaffen durch den kompletten Neuaufbau der Energieversorgung. Aus Kohle, Öl und Gas aussteigen. Neue Hochtechnologien vorantreiben, die Netze zu Speichern und Elektroautos zum Standard machen würden.

Europäismus war Planwirtschaft plus Elektrifizierung des gesamten Kontinents. Und in Brüssel, von wo aus die Transformationsprozesse von der größten bürokratischen Maschine geplant und geleitet wurden, die sich jemals eine menschliche Verwaltungsgemeinschaft geleistet hatte, entstand ein Strom aus Vorschriften, Vorgaben, Regeln und Instrumenten. Die Mitgliedstaaten sollten mit Richtlinien angeleitet, die Menschen mit neuen Steuern und Abgaben gelenkt werden. Aus Europa würde im Handumdrehen ein grüner und gerechter Kontinent werden, der erste überhaupt und ein Platz, auf den der Rest der Welt mit Neid schauen würde.

Selbsternannte Lenker 

Erstens  kommt es anders und zweitens nie so, wie die selbsternannten Lenker der Kommission und die schon mit der operativen Führung der Staatsgeschäfte überforderten Nationalfürsten es beschlossen haben. Wohlweislich sind alle Entscheidungsgremien in der Wertegemeinschaft schon vor Jahren dazu übergegangen, statt der Gegenwart eine möglichst ferne Zukunft zu regieren. 

Von allem, was passiert, werden alle regelmäßig  überrollt, weil sie damit nun gar nicht gerechnet haben, schon gar nicht jetzt. Doch jenseits von plötzlich ausbrechenden Finanzkrisen, Pandemien und Kriegen herrscht stetes Planungssicherheit: In zehn Jahren, das steht fest, wird die Welt so sein und das Klima so. Und deswegen gibt es keine Alternative dazu, möglichst frühzeitig Beschlüsse zu fassen für eine Welt, wie sie dann sein wird.

Regieren im Land Übermorgen 

Für Politiker, die über Macht verfügen, ist es ideal, das Land Übermorgen zu regieren.  Kommt der Tag, an dem die Frage steht, ob es nun so geworden ist, wie sie es vorhergesehen hatten, sind sie nicht mehr im Amt. An die großen Pläne namens Lissabon-Strategie oder Europa 2020 erinnert sich niemand mehr. Und die Beschlusslage von zehn Jahren zuvor ist längst begraben unter Bergen von neuen Beschlüssen aus den zehn Jahren danach.

So haben es die EU und die wechselnden Bundesregierungen seit Jahrzehnten verstanden, Tatkraft zu beweisen, Entschlossenheit und den festen Willen, die Welt eines fernen Tages zu einem besseren Ort zu machen. Während es ihnen in ihrer jeweiligen Gegenwart nicht einmal gelang, die einfachsten Verrichtungen auszuführen und auf die sichtbarsten Veränderungen zu reagieren. Wichtig war, nie hinter eine nach langen Mühen und viel gegenseitigem Gekaupel gefundene Beschlusslage zurückzufallen. 

Immer wieder überrascht 

Gerade in der Klimapolitik, einem trotz Krieg, Erfindung der KI und Abwendung Amerikas zentralen Interessensgebiet der Meinungsführer auf dem alten Kontinent, durfte kein Jota am verabredeten Fahrplan verändert werden. Obwohl sich die Welt ringsum in schwindelerregendem Tempo weitergedreht hat, hielt die EU fest an ihren Plänen aus Friedenszeiten, als sich die Gemeinschaft der 27 selbst noch als Wohlstandsfestung begriff, die sich auch große Umbauexperimente leisten könne.

Energieausstieg. Grüne Transformation. Verbrennerverbot. Wasserstoffwirtschaft. CO₂-Handel. Zusatzbesteuerung von Heizung, Verkehr und jedermann, der sich die 50.000 oder 100.000 Euro für die Dämmung seines Häuschens nicht leisten kann - von weit, weit oben kamen die Anweisungen, oft ganz und gar unverhofft. Die Umsetzung aber war unausweichlich - aus Kohle musste ausgestiegen werden. Die Gasnetze waren unweigerlich zurückzubauen. Der CO₂-Handel würde die Unwilligen zwingen, auch ohne Geld in Wärmepumpen, Solaranlagen und Dämmung investieren. Und was an energiehungriger Industrie den Sprung zum grünen Antrieb nicht schaffte, das würde eben wegfallen. Kein Schaden!

Endlose Ambitionen

Jahrzehnte großartiger Ambitionen in Deutschland und der EU haben zu einem unentwirrbaren Gestrüpp an ehrgeizigen Regelungen geführt, deren Erfolg weit unter null liegt. Seit der frühere EZB-Chef Mario Draghi der Staatengemeinschaft bescheinigt hat, dass ihre Vorgaben zum Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und drastischen Wohlstandsverlusten geführt haben, herrscht Unruhe in den Chefetagen. 

Doch aus dem Gefängnis der Selbstfesselung gibt es kein Entkommen. Würde die EU ihren Kurs Richtung noch höherer Steuern auf Energieverbrauch, noch strengerer Vorgaben bei der Lieferkettenüberwachung und schärferer Vorgaben für das erlaubte Alltagsverhalten ändern, stünde sie nicht weniger blamiert da als frühere Ideologen, die sich aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse auf dem Weg in kommunistische Paradiese gewähnt hatten.

Aus der Hoffnung auf die durchschlagenden Erziehungswirkungen des Emissionsrechtehandels (ETS) ist die Angst vor dessen Folgen geworden. Aus der Erwartung, die Welt werde auf dem Pfad zu globaler Menschenrechtsregulierung folgen, die Gewissheit, dass sie das keineswegs tun wird. Alle Anstrengungen, neue Technologien wie KI und Gentechnik umfassend wegzuregulieren, drohen entindustrialisierende Wirkungen zu entfalten. 

Der Fortschritt verlässt Europa. Doch die Führungsklasse wagt keinen Kurswechsel, weil sie fürchtet, durch ein Eingeständnis der eigenen Fehleinschätzungen auch den winzigen Rest an Vertrauen zu verlieren, über den sie hier und da vielleicht noch verfügt.

Furcht vor Konsequenzen 

Die Furcht vor den Konsequenzen der eigenen Beschlüsse, sie beherrscht inzwischen die Berliner wie die Brüsseler Bühne. Dass die Wirtschaft wegsterben könnte, wenn man es ihr immer schwerer macht, wettbewerbsfähig zu bleiben, war seinerzeit durchaus diskutiert worden. Doch passieren sollte das alles erst viel später, dann, wenn andere den Kopf für die Konsequenzen hinhalten müssen. 

Jetzt ist es heute schon so weit und die Knochen zittern, dass das Klappern auf dem gesamten Kontinent zu hören ist. Wer soll denn all die guten Gaben zahlen, wenn niemand mehr produktiv arbeitet? Wer soll die gigantischen Verwaltungen und Überverwaltungen und Kontrollorgane ernähren? Wer den politischen Apparat füttern, die Sender, Stiftungen, Gefälligkeitswissenschaftler und NGOs, die man sich angeschafft hat, um seine Entscheidungen als alternativlos und unausweichlich darstellen zu lassen?

Aus dem CO2-Handel, gefeiert als "grundsätzlich das beste Instrument, um kosteneffizient auf klímaschonendes Heizen und Autofahren umzustellen", ist in den zurückliegenden Monaten eine Bedrohung geworden. Aus dem Lieferkettengesetz eine Fußkugel. Aus dem Energieausstieg eine Angstmaschine. Der Unmut, den Habeck mit seinem Heizungsgesetz heraufbeschwor, steht als Menetekel an der Wand: Das, was die EU derzeit immer noch geplant hat, jeder weiß es, würde Größenordnungen schlimmer ausfallen, wenn die Leute erst merken, was es wirklich bedeutet und welche Summen aufgerufen werden.

Ursprünglich unauffällig 

Ursprünglich sollte die Sache mit dem CO₂-Preis still und auffällig über den Tisch gehen. Es würde teurer werden, aber ganz langsam, genau so, dass es niemand richtig mitbekommt, weil die zusätzlich zu zahlenden Summen im großen Rauschen des allgemeinen Kaufkraftverlustes untergehen. Damit eine Zusatzsteuer funktioniert, muss sie akzeptiert werden. Damit das klappt, darf sie nicht schmerzhaft sein. Wenn aber der Tonnenpreis für CO₂ von 55 auf 100 oder gar 200 Euro hochschnellt, würde ein Sturm der Entrüstung auch noch die wenigen Regierungen in der EU hinwegfegen, die am Klima als wichtigstem Thema festhalten. 

Es wäre der Todesstoß für den europäischen CO₂-Zertifikatehandel, der weltweit ohnehin als Unikum gilt. Doch guter Rat ist teuer: Einfach aufheben lassen sich die Beschlüsse zur Einführung nur um den Preis einer globalen Blamage. Einfach laufenlassen aber können Kommission und die Regierungen der Mitgliedstaaten die Sache auch nicht, denn wütende Wähler tendieren dazu, falsche Parteien zu wählen. Am liebsten würden natürlich alle Mehrbelastungen mit soziale Ausgleichszahlungen wegdämpfen. 

Die 400-Milliarden-Frage 

Allein es fehlt an Geld -  78 Prozent des gesamten End-Energieverbrauchs in der EU werden nach wie vor fossil gedeckt, allein die Deutschen zahlen einem CO2-Preis von 55 Euro pro Tonne zuletzt fast 19 Milliarden zusätzlich für Energie. Bei 200 Euro wären es knapp 80 Milliarden, europaweit um die 400 Milliarden. Die wären wie die derzeitigen Einnahmen schon weg, ehe jemand sie an die Einzahler zurückgeben könnte. Es gibt schließlich immer Wichtigeres als Klimageld.

Das Zetern aus der SPD, die den Klimaschutz nach zwölf Jahren dauerhafter Regierungsbeteiligung  bezichtig, zur Deindustrialisierung zu führen, illustriert das Dilemma. Man kann nicht mehr mit, aber man traut sich auch nicht ohne die selbstgebauten Instrumente. Die Vorstellung, nach der Freigabe des Emissionshandels könne der Literpreis für Benzin an der Tankstelle wieder über die Zwei-Euro-Marke springen, ohne dass der Russe als Schuldiger bereitsteht, bereitet auch der Union schlaflose Nächte. Verbrennerverbotsfurcht allenthalben. 

Beerdigt, aber nicht begraben 

Die EU, die noch deutlich abgehobener agiert, hat den großen "Green deal" zwar stillschweigend beerdigt. Aber nicht offiziell begraben. Derzeit gilt er als "laufender Prozess", bei am Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, festgehalten wird. Nur die konkreten Maßnahmen zur Umsetzung würden "weiterentwickelt" - im EU-Wortschatz ein Code für Aufweichen, auf die lange Bank schieben und die komplette Absage der nächsten Kommissarsgeneration überlassen.

Unausgesprochen ist allen klar, dass es so, wie es gedacht war, nicht gehen wird. Alles an der Transformation verläuft viel zu langsam. E-Autos sind nicht gefragt. Grüne Kraftstoffe gibt es nicht. Der Wasserstoff fehlt. Und die Umrüstung von 20 Millionen Gebäuden auf klimafreundliche Heizungen könnte sich nicht einmal ein Deutschland leisten, das noch im Vollbesitz seiner wirtschaftlichen Potenz wäre. Die EU bräuchte realistische Klimaziele. Die aber kann sie sich nicht geben, weil jedes Zurückweichen die jahrelang wiederholten Behauptungen konterkarieren würde, wenn nicht gleich gehandelt werde, sei die Menschheit zum Aussterben verdammt. 

Windelweich geht die EU den Mittelweg zwischen Weiterso und Liebernicht. Sie schafft ihre Visionen nicht ab, sondern genehmigt sich Ausnahmen. Sie versucht, sich mit Zöllen zu schützen und die 20 zentralen Richtlinien und Verordnungen, die den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft erzwingen sollten, als Kann-Bestimmungen zu behandeln, die weitergelten, aber nicht eingehalten werden müssen. 



4 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Aus einer Email von schauinsland:

Mit Ihrem Klimaschutzbeitrag spart eine Solaranlage unseres Partners atmosfair z. B. in Madagaskar so viel CO2 ein, wie Ihr Flug erzeugt.
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Fragt der Mathelehrer: Wieviel CO2 spart ein mit so einer Anlage betriebener Rinderoffenstall mit 127 Kühen ein?

Anonym hat gesagt…

Man kann doch die ganzen Konsenswissenschaftler der konsensbasierten Wissenschaften mit ein paar Anreizen dazu bringen, das Klima für 2100 in ihren Modellen als gerettet zu berechnen.

Anonym hat gesagt…

Was bekäme ein "Klimawissenschaflter" wohl an Fördermitteln der bewiesen hätte, daß das Klima im wesentlichen so bleibt wie es schon immer gewesen ist ?

Anonym hat gesagt…

W. Gates hat ja umgeschwenkt. Wenn das Klima als Geschäftsmodell aus der Mode kommt, werden auch die Kumpels in den Parlamenten & Medien eine Erleuchtung haben.