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| Nie hat Johann Wadphul größere Zerstörungen gesehen. |
Bei einem Besuch in Syrien hat Bundesaußenminister Johan Wadephul die deutsche Flüchtlingspolitik ein weiteres Mal ganz unerwartet und unbürokratisch umdimensioniert. Waren Geflüchtete aus Syrien anfangs allein aufgrund ihrer Herkunft jeweils vorübergehend für ein Jahr als Kriegsflüchtlinge anerkannt, weil eine Rückkehr in die Kriegsgebiete ihnen nicht zuzumuten war, hat der CDU-Politiker vor Ort jetzt einen wegweisenden neuen Vorschlag gemacht. Die Anerkennung der Nochnichtsolangehierlebenden könnte künftig verlängert werden, so lange das Stadtbild in Syrien nicht stimmt.
Kein anderer Ort
Es gab keinen anderen Weg, keinen anderen Ort, nirgendwo sonst sichere Zuflucht. Als die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel sich im Sommer 2015 entschloss, die Grenzen Deutschland nicht zu öffnen, setzte ein Zustrom an Geflüchteten ein, der mit nichts zu tun hatte. Merkel selbst versicherte später, das Wort "Zustrom" nie gemocht oder genutzt zu haben. Schließlich sei es um Menschen gegangen.
Doch so ist das, wenn das Alter die Erinnerung trübt und nur noch die Hoffnung bleibt, dass sich auch sonst niemand mehr an längst vergangene Zeiten und die lange schon verschüttete Milch der frommen Denkungsart entsinnen kann. Merkel beharrt auch nach zehn Jahren noch auf den Parolen jener Herbsttage vor zehn Jahren, als es ihr, der belächelten ostdeutschen Quereinsteigerin, erstmals gelang, sich den Respekt der Meinungseliten der alten Bundesrepublik zu erringen. Zur eigenen Verwunderung waren Merkels einsamer Entscheidung sogar Medien beigesprungen, die als halbrechts galten. Rum wie um, hieß es da zu ihrer "umstrittenen Entscheidung" (Focus): "Merkels ,Grenzöffnung' hatte kaum Auswirkungen auf Flüchtlingszahlen".
Gleich um die Ecke
Gekommen wären sie sowieso, Deutschland liegt, etwa von Syrien aus betrachtet, gleich um die Ecke. Auf dem kürzesten Landweg sind nur die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich zu durchwandern, schon ist der Flüchtende am Ziel. Eine knappe Million machte sich hierher auf. Fast so viele wie vor dem brutalen Regime Baschar Assads in den direkt benachbarten Libanon flohen.
Deutlich mehr als Jordanien aufnahm. Viermal so viele, wie im Irak unterkamen. Achtmal mehr als Ägypten aufnahm. Das "freundliche Gesicht", wie es Merkel nannte, beschämte die gesamte arabische Welt. Weder Saudi-Arabien noch die Vereinigten Arabischen Emirate nahmen Flüchtlinge aus Syrien auf. Auch die reichen Scheichtümer Katar und Oman weigerten sich, die vor Assads Schergen und dem Bürgerkrieg zwischen den Autokraten und seinen islamistischen Feinden Flüchtenden aufzunehmen.
Syrien als Staatsräson
Deutschland sprang ein, beherzt und kurzentschlossen. Syrien war Staatsräson. Drei Prozent aller Kriegsflüchtlinge aus dem Luftlinie 3.000 Kilometer entfernten Land kamen nach Deutschland. Selbst nach Kasachstan, Usbekistan, Russland, Äthiopien und Tunesien wäre der Weg deutlich kürzer gewesen. Bis nach Indien, China oder Spanien kaum nennenswert länger.
Über vier Millionen Menschen hatten schließlich das Bürgerkriegsgebiet in Syrien verlassen – eine Million von ihnen kam in Deutschland an. Es brauchte nicht einmal eine Debatte im Bundestag oder gar einen Beschluss des Parlaments, die Grenzen zu "öffnen", wie US-Präsident Barack Obama den Vorgang später beschrieben hat, oder sie zumindest nicht zu schließen, wie Faktenchecker der "Tagesschau" den Prozess als naturgesetzliches Nicht-Ereignis erklärten.
Kein Zettl für das Haus der Geschichte
Da waren sie dann halt da, sogar ohne schriftlichen Befehl. Im Unterschied zur letzten großen Grenzöffnung gab es diesmal nicht einmal einen Zettel, der sich goldgerahmt ins Haus der Deutschen Geschichte in Bonn würde hängen lassen, unmittelbar neben dem des Maueröffners Günter Schabowski. Traurig, denn so werden auch spätere Generationen nie nachvollziehen können, was in jenem magischen Sommer 2015 eigentlich geschah, warum und auf welchen verschlungenen Wegen.
Doch Deutschland profitierte. Der angekratzte Ruf der einst so bewunderten europäischen Führungsnation lebte von der Bereitschaft seiner politischen Führer, alles zu riskieren, um einen guten Eindruck zu machen. Das war und ist den Parteien der Mitte so wichtig, dass der Bundestag sich bis heute weigert, irgendeine Art von Einschränkung der grundlegenden Offenheit vorzunehmen. In dieses Glas passt alles Wasser der Welt. Diese Röhre hat keinen Rand, über dem sie überläuft.
Seehofers Obergrenze
Die vom damaligen Innenminister Horst Seehofer im Jahr 2016 vorgeschlagene Flüchtlingsbremse namens "Obergrenze mit atmendem Deckel" scheiterte zuletzt trotz einer Umbenennung in "Zustrombremse" im Parlament. Auch wenn es in manchen Regionen grummelt und meckert - deutsche Behörden machten niedrigschwellige Angebot, um auch den Familiennachzug nach Deutschland zu fördern.
Syrer*innen, das hatten Forschende des berühmten Instituts der Deutschen Wirtschaft früh ermitteln können, sind mathematisch nicht besonders talentiert. Über ihre Lese- und Schreibkompetenzen gebe es aber keine gesicherten Informationen. "So lässt sich über die funktionale Analphabetenquote keine Aussage treffen."
Auch andere Vorurteile stellten sich als haltlos heraus. Syrische Schulabschlüsse würden von der Bundeszentralstelle für ausländisches Bildungswesen "verhältnismäßig hoch" eingestuft. Syrien verfüge ja auch "über eine geregelte Berufsausbildung, die vor dem Krieg immerhin von rund 15 Prozent eines Jahrgangs besucht wurde". Auch seien "in Syrien vor dem Krieg sehr viele Ärzte und Zahnärzte ausgebildet" worden. Entsprechend hoch sei ihr Anteil auch unter den anerkannten ausländischen Berufsabschlüssen in Deutschland. Bis heute sind es 6.000 - ein Anteil am Gesamtzustrom von 0,6 Prozent, der etwa identisch ist mit dem Anteil, den Ärzte und Zahnmediziner in der deutschen Bevölkerung bilden.
Alles war befristet
Trotzdem. Sie würde zurückgehen. Das alles war auf Zeit befristet. Sobald der Bürgerkrieg beendet sei und Syrien frei von Assad und seiner Geheimpolizei, sei es Wunsch und Wille der Deutschland geflüchteten Demokraten, umgehend zurückzueilen, um ihr Heimatland wiederaufzubauen. So wenig es später gelang, die wahren Gründe für den großen Treck nach Deutschland "zu benennen" (Focus), so sicher schien das Ende vorgezeichnet.
Aus dem Kommen werde ein Gehen werden. Aus dem Zustrom ein Aderlass. Früh schon erhoben sich Stimmen, die dafür warben, die "geschenkten Menschen" wie sie die grüne Spitzenpolitikerin Katrin Göring-Eckardt in einem Anfall von humanistischem Überschwang nannte, zum Bleiben zu überreden. Diese meist jungen Leute, überwiegend Männer, seien doch ideal geeignet, die anstehende demografische Katastrophe abzufedern und die Renten der deutschen Boomer zu zahlen.
Erste Wahl für den vorderen Graben
Zudem, murmelte es später, wären sie aufgrund ihrer durch Flucht und Entbehrung gestählten robusten Natur im Fall eines heißen Konflikts mit Russland erste Wahl für die Besetzung der vorderen Gräben. Das mancher meinte, die Flüchtlinge seien "zu fremd", "zu islamisch", "anpassungsunwillig" und "integrationsunfähig", stellte sich als komplettes Fehlurteil heraus. Vielen sind in Deutschland neue Wurzeln gewachsen.
"Kinder, die in unseren Schulen lesen und rechnen lernen", sprechen "die mit westfälischem, niederdeutscher oder oberbayerischem Einschlag", berichtet die Frankfurter Rundschau. Eltern ernährten "ihre Familien durch ehrliche Arbeit" – "oft in Berufen, in denen wir selbst längst zu wenige haben: in der Pflege, in der Landwirtschaft, in den Werkstätten, als Selbstständige im Handel." Der Satzbau ist nicht ganz nachvollziehbar. Aber Fakt ist: Amazon hätte keinen einzigen Paketboten, wären sie nicht da und bereit, beim Niederringen des traditionellen Einzelhandels zu helfen.
Eines Tages
Johann Wadephuls Versprechen, dass Flüchtlinge aus Syrien nicht nach Hause zurück können, so lange das Stadtbild dort nicht dem entspricht, was Deutschland ihnen schuldet, ist ein großer Schritt zu einer endgültigen Lösung. War anfangs stets die Rede davon, dass alle eines Tages zurückkehren müssen, nur eben nicht jetzt, weil Assad den Krieg gewonnen hatte, hieß es später, alle würdenzurückkehren, sobald Assad sie wieder einlasse. 2018 lobtze das Innenministerium eine Prämie für freiwillig Ausreisende aus. Doch der Islamische Staat stand der großen Rückreisewelle im Wege.
CDU und CSU wollten den Abschiebestopp für Syrer nur bis Sommer 2018 verlängern. Doch die Zeit verging, und selbst als es besser wurde, wurde es nicht gut genug. Assad flüchtete. Ein steckbrieflich gesuchter Islamist übernahm. Abu Mohammed al-Jawlani verwandelte sich binnen Wochen vom blutbefleckten Schweinehund in den selbst in den großen Runden der Demokraten vorzeigbaren Präsidenten Ahmed al-Scharaa. Ein Anzugträger, der Wadephul bei seinem Besuch in Damaskus freundschaftlich mit einer Umarmung begrüßte.
Jeder will die Syrer
Die Gefahr, dass al-Scharaa Deutschland seine Syrer wegnehmen könnte, bestand durchaus. Es brauchte erst Johann Wadephuls Intervention, um sie zu bannen. Sichtlich beeindruckt von den Eindrücken, die er in seinem schwer verwüsteten Vorort von Damaskus gewonnen hatte, gab Wadephul seiner Erwarung Ausdruck, dass er nicht damit rechne, "dass kurzfristig eine große Zahl syrischer Flüchtlinge freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren" werde. In Syrien sei "sehr viel an Infrastruktur" zerstört, ein "solch großes Ausmaß an Zerstörung habe er persönlich noch nicht gesehen", sagte der Außenminister. "Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben."
"Richtig würdig leben" ist damit die aktuelle Linie der Bundesregierung für die Vergabe des Aufenthaltsrechts in Deutschland. "Die Sehnsucht nach der alten Heimat bleibt", heißt es in der Frankfurter Rundschau. Aber angesichts der Bedingungen muss sie eine Sehnsucht bleiben. Die rechtliche Hürde, dass Hunderttausende kein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland haben und das Land deshalb eigentlich verlassen müssten, wird durch Zuwarten überwunden.
"Noch in diesem Jahr"
Je länger die Zeit zurückliegt, in der alle Aufenthaltstitel nur vorübergehend, zeitweise und bis auf Widerruf vergeben wurden, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass jede Forderung nach Rückkehr als verachtenswerter Anfall von Unmenschlichkeit auf den Forderer zurückfällt. Wadephuls Einschätzung, eine Rückkehr sei "zum jetzigen Zeitpunkt nur sehr eingeschränkt möglich", war unionsintern gegen Bundesinnenminister Alexander Dobrindt gerichtet. Dessen Ministerium plant mit Blick auf die im kommenden Jahr drohenden Landtagswahlen Abschiebungen nach Syrien, weil das im Koalitionsvertrag so vereinbart worden sei. Begonnen werde solle "mit Straftätern" und das noch "in diesem Jahr".
Doch angesichts der Tatsache, dass nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) alle syrischen Aufnahmekapazitäten "bereits erschöpft" sind, weil schon rund eine Million Syrerinnen und Syrer aus den Nachbarländern in ihre Heimat zurückgekehrt sind, wird es auch dazu sicher nicht kommen.


1 Kommentar:
Solange das auch längst massiv islamisch kulturbereicherte deutsche Stadtbild den syrischen Ruinen nicht haargenau gleicht, ist eine für den dortigen Wiederaufbau nötige Heimkehr der hier All-inclusive-Urlaub machenden Flüchtlinge unzumutbar. Unsere Indigenen dürfen für deren Vollversorgung jedoch malochen und verzichten. Und wer das kritisiert, kann um 6:00 pädagogischen Besuch vom westwertigen Staatsschutz erwarten.
Unsere Freiheit wurde schließlich bereits am Hindukusch verteidigt, was nach 20 Jahren, etwa17 Miliarden Kosten und 59 toten Soldaten angesichts der Hasenfuß-Flucht aber wohl geschmeidig in die bereits damals kriegsertüchtigten Carmouflage-Michelhosen ging.
Jetzt jedoch muss Syrien erst mal durchgekärchert und wohnlich restauriert werden, bevor wir Weltretter unseren Gastsyrern eine aufbauende Heimreise ins neue Rechtgläubigenparadies erlauben können.
Wer wählt solche Politzombies?
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