Sonntag, 28. Dezember 2025

Das Jahr ohne Sommer: Siegesgewisser September

Pazifismus-Kritik, Kriegstüchtigkeit Deutschland, Aufrüstung Bundeswehr, EU-Wettbewerbsfähigkeit, Ursula von der Leyen Drohnenwall, Trump Christ Radikalisierung, deutsche Friedensbewegung Ende
Die Meinungsfreiheit erlaubt vielen weiterhin, öffentlich alles zu sagen, was sie denken.

Welke Blätter
krachen unter den Stiefeln
1. September

Welke Blätter, Hans-Peter Kraus, 1965

Es war ein Jahr zum Vergessen und vielen gelang das außerordentlich gut. Der neue Kanzler wusste schon nach Wochen nicht mehr, was er versprochen hatte. Seine Hilfstruppen von der SPD hatten verdrängt, dass sie wiedermal eine Wahl verloren hatten. In der Welt draußen wendete sich einiges zum Besseren. Deutschland aber blieb mit klarem Kompass auf Kurs. 

Der Rückblick auf 2025 zeigt zwölf Monate, die es in sich hatten. Nie mehr wird es so sein wie vorher.  

Sie waren jahrzehntelang die Progressiven, die, die den Schuss gehört und Schlüsse gezogen hatten. Zum Weltfriedenstag am 1. Septmeber fanden sich nach dem Ende der gegenseitigen atomaren Bedrohung zwischen Ost und West nur noch die notorischen Friedensengel ein, alte Männer zumeist und alte Frauen, die mit Piccassos Friedenstaube wedelten und Gefahren beschworen, die es nicht mehr gab. 

In schütteren Scharen 

Die deutschen Nachrichtensendungen aber widmeten ihnen wie an ihrem anderen großen Tag zu Ostern, wenn sie als Ostermarschierer in schütteren Scharen durch Städte trotteten, oft gewohnheitsmäßig einen kleinen Beitrag aus alter Verbundenheit. Es war doch irgendwie angenehm, dass sich dort noch Leute für das Gute engagierten.

Unangnehm wird es jetzt, wo der Stolz auf die systematisierte Friedfertigkeit des Staates weichen muss. Auf einmal hat sich der beschmunzelte Pazifismus der Ewiggestrigen in eine Bedrohung verwandelt. Die Friedenstaube, im kalten Krieg aus Ausweis einer staatlich anerkannten Haltung, wird auf einmal zum Symbol von Menschen, die Unseredemokratie verraten wollen. Wenn alle kriegstüchtig werden sollen, ist kein Platz mehr für Relikte aus einer Vergangenheit, in der geopolitische Spannungen ausschließlich mit dem Ruf beantwortet wurden, es sei gerade jetzt Zeit zur Entspannung.

Stärkung des Wehrwillens 

Jetzt ist das Gegenteil der Fall. Nicht mehr Pazifismus und Antimilitarismus, nicht mehr Wehrdienstverweigerung und Proteste gegen die Hochrüstung gelten als probate Mittel zur Friedenserhaltung. Sondern der Ausbau der Rüstungsindustrie, die Verwandlung der Bundeswehr in eine fronttaugliche Truppe und die Stärkung des Wehrwillens der jungen Generation. Seit es unvorstellbar scheint, dass diplomatische Kanäle die Frontlinien überbrücken, ist der harte Hund das Ideal des kalten Kriegers. 

Ein September im Zeichen von Wirtschaftskrise und Rettungserwartungen an die Rüstungsindustrie kann Weiche, Beugsame nicht mehr ab. Die Zuspitzung der Klassengegensätze erfordert eine klare Positionierung: Wollt ihr den totalen Niedergang? Oder wollt ihr Enteignung, höhere Steuern für die Reichen und Klassenkampfparolen, die versprechen, die Kernkonflikte zwischen Staat und Bürger durch ein Maß an Umverteilung zu lösen, wie es seit dem Ende der DDR nie mehr erreicht worden ist?

Wenn das Volk sich den Staat nicht mehr leisten kann 

Es sind ganze Bevölkerungsgruppen, die sich den Staat nicht mehr leisten können. Doch obwohl Experten warnen, dass die Entwicklung besonders die jüngeren Generationen massiv treffen wird, setzt das immer noch neue Kabinett auf bewährte Rezepte. Erst müssen die Belastungen noch mehr steigen, damit genug Geld da ist, Entlastungen zu finanzieren. 

Das ist das Steinmeier-Gesetz, ein Klassiker des Volkswirtschaftsvoodoo: 2012, ein Jahr äußert entspannter Krisen, hatte der damals gerade als Finanzminister dienende Walter Steinmeier den Satz gesagt: "Höhere Steuern wären Gift für die Konjunktur, deshalb stehen sie nicht zur Debatte". Schon kurze Zeit später brauchte Steinmeier mehr Geld, um mehr Gerechtigkeit herstellen zu können. Und so fiel die Wahl der Waffen auf nach genauesten Berechnungen auf höhere Steuern.

Erhöhen, ohne zu erhöhen 

Das tut dem Ruf nicht gut, weshalb die jeweils Verantwortlichen mittlerweile auch ein ganzes Arsenal an Methoden entwickelt haben, Steuern zu erhöhen, ohne Steuern zu erhöhen. Matthias Miersch, eine Art Franz Müntefering ohne dessen kernigen Proletarierauftritt, leidet nach der Sommerpause auch persönlich unter der Ablehnung, die seiner Volkspartei im Koma in 85 Prozent der Bevölkerung entgegenschlägt. Miersch spielt die Christenkarte, als er Jesus zum Linken erklärt.  

Zuvor hatte ein Forschungsinstitut der Chefetage im Willy-Brandt-Haus empfohlen, sich religiöser zu gebärden, weg vom reinen roten Klassenkampf, hin zu der Strategie, die das frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" wenig später auch beim US-Präsidenten entdecken wird. Trump, seit acht Jahren ein eingeführter "Faschist" (Die Zeit), der die Vereinigten Staaten zu einer "Diktatur" (FR) umbauen will, hat sich weiter radikalisiert. Aus dem Nazi ist ein Christ geworden. Als "Gotteskrieger", so heißt die Titelgeschichte, ziehe der Präsident im Zeichen von Bibel und Kreuz mit einer nur auf den ersten Blick "freundlichen Armee Gottes" (Der Spiegel) aus, Jahrhunderte der Aufklärung vergessen zu machen.

Stolz auf das Erreichte 

In DEUtschland beißt er damit auf Granit.  Die Gemeinschaft der noch 27 Mitgliedsstaaten zum Jahrestag des von Ex-EZB-Chef Mario Draghi erarbeiteten Berichtes zum Zustand der Wettbewerbsfähigkeit der EU stolz auf das Erreichte. Europa sei "schwach, sehr schwach", hatte Draghi geschrieben. Über Jahre habe sich "zwischen der EU und den USA eine große Lücke im Bruttoinlandsprodukt aufgetan". Und die traurige Folge sei, dass das "verfügbare Pro-Kopf-Einkommen in den USA seit 2000 fast doppelt so schnell gestiegen" sei wie in der EU.

Das Zurückfallen hätten die europäischen Haushalte "in Form eines entgangenen Lebensstandards gezahlt". Glücklicherweise, ohne dass es ihnen aufgefallen war Die Beliebtheit der EU, so ergibt die alljährliche Eurobarometer-Umfrage, ist gestiegen: Europaweit vertrauen bis zu 52 Prozent der Bürger der EU. Es ist der höchste Wert seit 2007. Ein toller Dank der Menschen an eine einzigartige Institution, die so viel Gutes bewirkt.

Nach Motiven aus Hollywood 

Die Kommissionschefin dankt ihrerseits. In einer fundamentalen Rede nach Motiven der aufrüttelnden Ansprache des US-Präsidenten Thomas J. Whitmore (Bill Pullman) im Hollywood-Film "Independence Day" zeigt sich Ursula von der Leyen als große Anführerin. "Wir werden nicht ohne zu kämpfen vergehen, wir werden überleben, wir werden weiter leben" - diese großen Worte von Whitmore an seine Jagdpiloten, die sagt sie nicht. Dafür aber "This must be Europe's Independence Moment!" Eine Kampfansage an die gesamte Außenwelt, die Europa füttert, heizt, schützt und mit nahezu sämtlichen Gütern des täglichen, wöchentlichen und jährlichen Bedarfs versorgt. 

Von der Leyen, die in China nur durch die Hintertür vorgelassen wird, in Ankara auf dem Beistellsofa sitzen muss und im Weißen Haus einen Zoll-Deal heraushandelte, der der EU dieselben Sätze wie Afghanistan beschert, will das nicht länger dulden. Die 67-Jährige, seit Januar über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus, hat noch große Träume, die sie realisiert sehen will. 

Der Traum vom Drohnenwall 

Ein "Drohnenwall" an der Ostflanke. Ein Europa, das sich auch am Mittelmeer als "stählernes Stachelschwein" zeigt. Dazu neue Zölle, ein "mit mehreren Milliarden Euro ausgestatteter "Scaleup-Europe-Fonds", "massive" Investitionen in "europäische KI-Gigafabriken" investieren, ein "Battery-Booster-Paket" und ein "Industrial Accelerator Act" zur "industriellen Beschleunigung für wichtige strategische Sektoren und Technologien". 

Die Worthülsendreher der Kommission haben hörbar Sonderschichten geschoben. Die Desinformationskanonen der Kommission schießen Sperrfeuer vor der Vernunft. Von keiner der großen  Ideen wird mehr bleiben als eine lustige Fußnote in den Archiven der Kommission. Für den Moment aber ist der Ton gesetzt, der Überlebenskampf der Kommission gegen die Zentripetalkraft der Eigeninteressen von 440 Millionen Menschen gewonnen. 

Mit blanken Nerven 

Ein Sieg, der Begehrlichkeiten schafft. Mit Blick auf die Landtagswahlen im Osten, die nur noch ein Jahr entfernt liegen, liegen die Nerven in der demokratischen Mitte blank. Noch ehe die ersten Helikopter mit neuen Fördermittelmilliarden für den auf Kosten von 400 Milliarden Euro taxierten Drohnenwall, die neuen Panzerfabriken und die - im Vergleich zu Amerika und China - eher an Manufakturbetriebe erinnernden KI-Giganten aufgestiegen sind, beginnt am Boden der Nahkampf um die Verteilung. 

Reiner Haseloff reklamiert Aufrüstungsmilliarden für den Osten, sein sächsischer Kollege Michael Kretschmer will Panzerfabriken für den Frieden auch im Regenbogenland an der polnischen Grenze wo die  1. Ukrainische Front 1945 über die Breslau, Muskau und Bautzen auf Dresden vorgestoßen war. 

Im hochagilen Luftüberlegenheitsjäger 

Natürlich, das haben Friedrich Merz und Emmanuel Macron zu dieser Zeit schon im freundschaftlichen Gespräch ausgemacht, wird der hochagile Luftüberlegenheitsjäger nicht in Frontnähe hergestellt. Die Fertigstellung des deutsch-französisch-spanischen Gemeinschaftsprojekts FCAS ist er für den Zeitraum zehn Jahre nach dem russischen Einmarsch geplant. Die Ministerpräsidenten aber wissen, dass das gemeine Volk ihre Klagen hören will.

Die ersten Blitzkrieger, in Schnellkursen ausgebildet zum Kanonenfutter in den Jahren vor dem russischen Einmarsch auf der Krim, gehen auf die 50, kommt es zum AfD-Verbot, werden viele von ihnen ihre Wehrwürdigkeit verlieren. Die gewohnte gesellschaftliche Spaltung könnte das Land dann womöglich nicht mehr stabilisieren und ob die säbelrasselnden Sofakrieger aus den Institutionen oder die Aktivisten aus der Generation der Selbstverliebten diese Fachkräftelücke schließen können, vermag niemand zu sagen. 

Angriffe vor der Uno 

Dass Amerika nicht helfen wird, macht Donald Trump in einer Rede vor der Uno klar. In seiner Rolle als "böser alter Onkel", wie ihn die eigens gegen den neuen Feind aus den Staaten eingesetzte Dunja  Hayali nennt, behautet der zum Christen gewandelte Ex-Faschist, dass die Zukunft "souveränen und unabhängigen Nationen" gehöre, "die ihre Bürger schützen, ihre Nachbarn respektieren und die Unterschiede ehren, die jedes Land besonders und einzigartig machen". 

Auch die ARD-Korrespondentin Isabel Schayani kritisiert das. Trumps Ansprache sei eine Kriegserklärung an die UN gewesen, die Trump für unfähig halte, bei der Lösung der Probleme der Menschheit zu helfen. Auffällig aber: In der Berichtersttatun über die von Annalena Baerbock anmoderierte Ansprache fehlt es durchweg an allen früher vorgeschriebenen Bezeichnungen: Kein "Irrer" (FR) mehr, kein "Hassprediger" (Steinmeier), "Wahnsinniger" und "Milliardär" (Spiegel), "verurteilter Verbrecher"  oder "Kriegstreiber" (Stern).

Der siegreiche September: 

Enteignung von Bosch: Schlachtruf vom Seniorensofa
Cancel Culture: Böhmermann, Jaenicke, wer ist der Nächste?
DPA: Die Worthülsenbomber
Fast vier Jahre zu früh: AfD startet Wahlkampf
Aufrüstung Ost: Panzerfabriken für den Frieden
Trumps Radikalisierung: Jetzt Christ statt Faschist
Zitate zur Zeit: Davon wird's doch auch nicht mehr besser
Die Unerbittlichen: Hass auf die eigene Familie
Der Mann, der den Klimawandel erfand
Wahl in Norwegen: Die Grünen werden es richten


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