Donnerstag, 3. November 2011

Kernschmelze vor der Spaltung

Da singt der wieder, der große Chor der Wischiwuschiwaschi-Wirklichkeitsmalerei durch größtmögliche Realitätsabweichung. Als Partitur liegt nach der Sommerspielpause wieder die Atomoper von Fukushima auf, wo im Frühjahr noch der deutsche Wetterbericht gemacht wurde. Im Zuge des grassierenden Themensterbens in der deutschen Medienlandschaft war es zuletzt still geworden um die Atomarbeiter, denen im März der Strahlentod drohte, um überlaufende Seuchenwasserbehälter und verstrahltes Sushi. Endlich aber, kurz vor der endgültigen "Kernschmelze der Weltfinanzsysteme" (Kathrin Vogler, SPD), meldet sich Deutschlands Katastrophenort Nummer 1 zurück.

Und wie! "Anzeichen neuer Kernschmelze", liest die FAZ aus einer Pressemitteilung des Kraftwerksbetreibers Tepco, einen "erneuten Kampf gegen Kernschmelze" sieht RTL Online, "Anzeichen für neue Kernschmelze in Fukushima" vermag die Deutsche Welle auszumachen und "Hinweise auf Kernschmelze in Block 2" hat der Deutschlandfunk, obwohl doch bei Tepco selbst nur von Kernspaltung, nicht aber von Kernschmelze die Rede ist.

Was macht das aber schon für einen Unterschied? Kernspaltung ist, was in einem Atomkraftwerk die Energie freisetzt, mit der Dampf erhitzt wird, der Turbinen zur Stromerzeugung antreibt. Hinweise darauf wären jeden Tag aus mehr als 400 Kernkraftwerken weltweit zu melden. Kernspaltung ist Alltag. Wer aufrütteln will, muss also Kernschmelzen lassen, Kernspaltung außer Kontrolle schildern und die Kühlung versagen lassen. So geht SEO-Optimierung, die die Klickzahlen treibt: In der Überschrift mit den falschen Begriffen richtig Lärm machen. Und im Text dann doch auf die richtigen Termini zurückgreifen.

Medienwissenschaft: Einheit für einheitliche Empörung


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