Mittwoch, 19. April 2017

"Tief gespalten": Ein Riss geht um die Welt

Zumindest die Grünen kämpfen jetzt gegen die Inflation der Formulierung "tiefe Spaltung".

Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten traf es die USA. "Tief gespalten" sei das Land, analysierten die großen deutschen Blätter unisono, zum Teil wurde dies bei der Gelegenheit sogar gleich dem ganzen Kontinent Amerika zugeschrieben.


Neu aber war der Spalt nicht. Schon 2004 hatte der Kölner Stadtanzeiger beunruhigt von einer "tiefen Spaltung" berichtet, die der damalige Präsident George W. Bush verschuldet habe. Aber war er es wirklich? Und ist er dann eigentlich auch verantwortlich für die "tiefe Spaltung" in Polen? Für die "tiefe Spaltung" in von Österreich? Die "tiefe Spaltung" der Niederlande? Die von Sachsen-Anhalt? Hongkong? Ecuador? Kenia? Großbritannien?

Es ist bis heute unerforscht, aber klar scheint: Ein Riss geht um die Welt. Von Europa über Kroatien, von Montenegro bis in die Türkei ist die Welt, sind die Völker, die Staaten, die Menschen "gespalten" - und zwar nicht einfach so ein kleines bisschen, sondern "tief". Inflationär verbreitet sich die Formulierung, sie beschreibt Thailand und den deutschen Volleyballverband, die Seelenlage der Briten und den "türkischen Patienten" (freiheit.org) und die Lage in Guben.

Ein Phänomen, das Medienberichten zufolge längst von der staatlichen Ebene übergegriffen hat auf Sportverbände, Parteien, Auslandstürken, die Gegner des Islamischen Staates und die Kirche. Wo immer es an einer einheitlichen Ansicht mangelt, wie sie in den guten alten Zeiten der staatlich garantierten Einheitsmeinung gebräuchlich war, zeigt sich in Medienkommentaren die "tiefe Spaltung", die stets herhalten muss, wenn Mehrheiten knapp ausfallen.

Irritiert bestaunt das Fachpersonal in den Redaktionen offenbar den Umstand, dass es jenseits der Akklamation von SPD-Kanzlerkandidaten Abstimmungen geben kann, die Spitze auf Knopf entschieden werden. "Mehrheit ist Mehrheit", sprach Konrad Adenauer, der in einer Zeit lebte, als das noch Allgemeinwissen war: Demokratie braucht nicht Einigkeit, sondern die Bereitschaft der knappen Minderheit, das eigene Unterliegen zu akzeptieren. Nicht "Spaltung" und "Zerrissenheit" zeigen sich hier, sondern die urdemokratische Tugend, sich einer demokratisch getroffenen Entscheidung zu beugen.

Kaum vorstellbar für Kommentatoren, für die nicht jede Entscheidung akzeptabel ist, so lange sie demokratisch getroffen wurde, weil sie nach anderen Noten bewerten.  Immer wieder kommt es so, massiv warnender Berichterstattung im Vorfeld zum offenkundigen Trotz, dazu, dass "die Konservativen die Fortschrittlichen überstimmen, die Fanatiker die Nachdenklichen" (Die Welt). Zwei harte Lager, das eine verkommen, regressiv und undemokratisch, das andere demokratisch, emanzipatorische, gerecht, sozial und der Zukunft zugewandt. Dazwischen eine große Entzweiung, eben jener "tiefe Riss", der immer öfter benannt und beschrieben, als Ursache allen Unglücks erwähnt und als Ziel von gesellschaftlicher Heilung bemüht wird.


2 Kommentare:

Gernot hat gesagt…

Ppq hat die Neodemokratie nicht richtig verstanden: Ein Wille, eine Entschlossenheit, ein einzig Gutes hat zu herrschen, da bleibt kein Platz für Abweichler und Dissidenten; das große Ziel der Erzeugung einer posteuropiden Einheitsrasse steht über allem. Ohne deren Verwirklichung wird Europa untergehen und kann nicht überleben. Habe ich gehört und gelesen.

'Schock als Schal'® ... BAYER© ... hat gesagt…


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