Montag, 23. Juni 2008

Furlan furios

die inszenierung von massimo furlan im halleschen kurt-wabbel-stadion wird in einem der vorigen beiträge m.e. weit unter wert geschlagen. was der sonst sehr verehrte kollegen binladenhüter als "absurdes theater" apostrophiert (und somit disqualifizieren möchte), war zum einen eher eine meist vergnügliche, manchmal auch bedenklich stimmende erinnerung an die wirkungsmacht kollektiver ideologien und mythen. wie anders ist sonst zu erklären, das 15-jährige teens lautstark das nächste tor für die ddr einfordern, während ihre eltern noch den letzten noten eines zum glück vergessenen songs von frank schöbel nachschmecken? alle sind sie "glücklich und zufrieden" (golo, der gartenzwerg) in der bundesrepublik angekommen - und stimmen dennoch ohne nachzudenken die nationalhymne der ddr an. eine verneigung vor der artistik des theaters und dessen kraft, qua vereinbarung zu funktionieren - oder unbewusst verinnerlichtes ressentiment? die meinungen gehen auseinander. dass furlan mehr als nur ein geschäftstüchtiger scharlatan ist, bestätigt sich jedoch schon durch die möglichkeit der fragestellung. 43 mal hat der schweizer das original-spiel gesehen. und trotzdem war diesmal nicht "auf dem platz entscheidend". denn zum anderen evozierte das "stück" emotionen und reaktionen auf der tribüne, welches ergebnis man dem theater sonst oft nicht nachsagen kann. die frage lautete also nicht: "hat es mir gefallen?" sondern: "was hat es mit mir gemacht? und warum gerade das?"

4 Kommentare:

binladenhüter hat gesagt…

nöö, nöö, nöö, die formulierung "absurdes theater" ist nicht etwa herabwürdigend, sondern m.e. durchaus genau zutreffend. was anders ist "absurd" als eine zusammenkunft von 2000 leuten, die sich einen mann beim spiel gegen sich selbst anschauen? drei beispiele bitte.

man kann in sowas immer was reindeuten, man kann e aber auch als etwas betrachten, das einzig für seine zeit spricht: wo alles versessen ist auf ständige fütterung mit ereignissen, langt ein absurder gedanke, großzügig medial begleitet, um tausende an den kachelofen eingeblideter erinnerungen zu locken. dort feiert sich das publikum wie gewohnt selbst. ein flashmob für leute, die das wort nicht kennen

Eisenschwein hat gesagt…

nach derselben logik sind auch hamlet, faust und rotkäppchen absurdes theater: ein dänischer prinz der renaissance hüpft mit einem schädel über die bühne und hat keine ahnung, was er sonst tun soll, ein wissenschaftler betrachtet die kerne des pudels und ein frühpubertäres mädchen übernachtet im bauch eines wolfes.

im übrigen finde ich einen flashmob für leute, die sich nicht damit schmücken, an einem flashmob teilgenommen zu haben, eine sympathische sache.

binladenhüter hat gesagt…

du weisst, wo das schwächelt. hamlet, rotkäppchen, selbst in aller freundschaft sind nicht zufällig zustande gekommene handlungsabläufe, sondern einer vom künstler gedachten dramaturgie folgende ereignisse. das spiel, entkleidet seiner dazumal ideologischen kostümierung, ist das nicht, sondern genau so zufällig wie die pilzsuche der familie rudolf oder der einkaufsbummel von frau müller.

spielen wir die demnächst auch nach? und nennen es kunst? und denken darüber nach, was uns die reinkarnierte frau müller sagt, indem ihr der rock nicht passt?

Eisenschwein hat gesagt…

wenn zufall das einzige kriterium ist, dürfte man guten gewissens "warten auf godot" nicht-absurd nennen - ein hochgradig artifizielles stück literatur, um- und nachgedacht, immer wieder geändert.

der unterschied zwischen künstler und nicht-künstler ist vielleicht letztlich nur, dass für die werke des ersteren geld bezahlt wird.

terry eagleton, englischer literaturwissenschaftler, hat einmal gesagt: literatur ist alles, was man dafür hält.