Dienstag, 11. November 2008

Einstiegsdrogen für die Ohren

Richtig zünftig feiert Sachsen-Anhalt das Jubiläum der Stasi-Offensive gegen abseitige Jugendkulturen. Exakt 25 Jahre nach Erich Mielkes Befehl "Härte gegen Punk", nach dem die Staatssicherheit auszog, "westlich-dekadente" Musik und ihre Anhänger "mit aller Macht" zu bekämpfen, weil Musik der herrschenden Arbeiterpartei als "Einfallstor für den Klassenfeind" galt, startet die Landesregierung in Magdeburg ein Revival-Festival.

Holger Hövelmann, der einst selbst unter Mielkes Ministerkollegen Keßler im Dienst der Arbeiter- und Bauernmacht stand, hat Musik als "Einstiegsdroge in die Neonazi-Szene" ausgemacht und Härte gegen Rechtsrock befohlen. Ziel sei es, "mit allen rechtsstaatlichen Mitteln" gegen Veranstaltungen der rechten Rockszene vorzugehen.

Denn die sei gefährlich. „Rechtsextreme Musik bietet insbesondere für Jugendliche, die sich sozial und wirtschaftlich benachteiligt fühlen, Anreize für den Einstieg in die Szene“, erklärte der Freund gutgemachter Popmusik am Rande einer Kabinettssitzung zum Thema "rechtsradikale Aktivitäten in Sachsen-Anhalt". Durch die rassistischen, antisemitischen und oft gewaltverherrlichenden Texte rechtsextremer Musik würden "Feindbilder aufgebaut" und so die "häufig noch ungefestigten ideologischen Einstellungen der meist jugendlichen Konsumenten geprägt". Nicht unter den bann fällt offenbar die von Hövelmann Kabinettskollegen Jens Bullerjahr verehrte Gruppe Motörhead, deren Sänger Lemmy Kilmister Eiserne Kreuze sammelt und gern auch trägt.

Bullerjahn ist alt genug, aber gerade Jugendliche, "die eine „Protestphase durchlaufen, in der sie gegen vorgegebene gesellschaftliche Maßstäbe und Institutionen rebellieren", könnten auf die hinterliste Masche hereinfallen und durch rechtsradikalen Rumpelrock quasi wider Willen zu Neonazis werden.

So sah das schon die Stasi, die musikalischen Darbietungen ähnlich wie Hövelmann eine Art Zauberkraft zuschrieb. "Panks" (im Original), "Grufties", "Gammler" und "Skinheeds" würden durch geschickte Manipulation der westlichen Massenmedien gezielt zu Staatsfeinden erzogen, analysierten die Friedenskundschafter anno 1983 messerscharf. Hier gelte es, allen Anfängen zu wehren: Da dazu aber jeder Genosse draußen im Lande in der Lage sein müsse, Anhänger von Pank, Skinheed und anderen Gruppen zweifelsfrei zu erkennen, lieferte die Stasi eine Handreichung: Panks etwa seien "schmuddelig" und trügen "zerrissene Hosen sowie oft bunte Haare", schrieben die Experten, "Skinsheeds" seine dagegen an ihren geschorenen "Hautköpfen" zu erkennen. Sie gingen meist pünktlich zur Arbeit, trügen hohe Schnürschuhe, hörten Ragga-Musik, neigten aber zur Gewalt und tanzten Pogo.

Ein Vierteljahrhundert danach hat das Innenministerium Sachsen-Anhalt die Stasi-Studie ein wenig überarbeitet: "Im Laufe der Jahre entwickelte sich aus dem Reggae-verwandten „Ska“ der so genannte „Oi“ (abgeleitet vom englischen „joy“ (Freude, Spaß)) als eigenständiger Teil des „Punk-Rock“", heißt es nun tiefgründig. Dieser Musikstil sei "im normalen Sprachgebrauch" schlechthin als „Skinheadmusik“ bekannt. "Ehre, Stolz und Freundschaft sowie der Bezug zur Arbeiterklasse stehen hier im Vordergrund." Keine Hinweise gibt Holger Hövelmann zu den Bekleidungssitten in der aktuellen Skinhead-Szene. Vielleicht gilt da da Mielke-Papier einfach weiter.

Ganz neu aber und vielfach unbekannt, weil "oftmals nur schwer dem rechtsextremistischen Spektrum" zuzurechnen seien "Musikstücke aus der als „Neofolk“ bezeichneten „Neuen Volksmusik“, der die Musikfreunde aus Magdeburg zum Glück dennoch auf die Spur gekommen sind. Diese Spielart rechter Musik habe sich Anfang der 1980er-Jahre entwickelt, bediene sich hauptsächlich akustischer Instrumente wie Gitarren, Flöten und Trommeln und sei zumeist ruhig und melancholisch. "Rechtsextremistische Musikgruppen dieses Genres betonen vor allem eine „natürliche Welt- und Völkerordnung“; völkisch-rassische Vorstellungen kommen hier eher im Gewand eines „Ethnopluralismus“ daher als mit „Ausländer-raus“-Parolen."

Eine Einstiegsdroge also, die ungeübte Ohren außerhalb des sachsen-anhaltinischen Innenministeriums kaum von einer Miram-Makeba-Platte unterscheiden können. Was sie nur umso gefährlicher macht. Ganz wie der „Black Metal“, den Hövelmanns Heavy-Kenner als "aggressive, schnelle Spielweise des „Heavy Metal“ definieren, der "sich inhaltlich mit satanistischen und antichristlichen Themen und dem Hass auf die Gesellschaftsordnung" beschäftige.

Der ist nicht zwingend rechts, doch "Rechtsextremisten schafften es, im eigentlich unpolitischen Black Metal mit dem NS-Black Metal eine eigene Richtung herauszubilden, die das Dritte Reich als Inkarnation des Anti-Christlichen verherrlicht und sich klar zum Neonazismus bekennt". Gut, das zu wissen, denn aus den musikalischen Darbietungen etwa der führenden NS-Black-Metal-Band Burzum, deren Anführer wegen Brandstiuftung und Mord im Gefängnsi sitzt, geht das so klar nicht hervor: (Achtung, Betrachten des todlangweiligen Videos auf eigene Gefahr! Einstiegsdroge!!!)

3 Kommentare:

Eisenschwein hat gesagt…

im sinne einer auch ästhetischen revolte dürften songs dieser art dazu führen, dass die zahl glühender antifaschisten in nächster zeit sprunghaft ansteigt. - ansonsten ist hövelmann offenbar dabei, zeichen zu setzen, die so unbrauchbar sind wie eine boje in der wüste. dass die kopplung von musikalischer form und bedenklichen bzw. unbedenklichen inhalten schon seit langem vollkommen beliebig ist, scheint ihm jedenfalls nicht aufgefallen zu sein.

binladenhüter hat gesagt…

er warnt, dafür ist er da. ich würde nur gern wissen, ob sie direkt aus dem stasi-papier abgeschrieben oder vorher eigene IMs in die rechtsrockszene geschickt haben, um diese musikalischen geheimnisse rauszufinden. "im normalen Sprachgebrauch schlechthin als „Skinheadmusik“ bekannt". ein brüller, fürwahr

Anonym hat gesagt…

Liebes PPQ,

langsam entwickelt ihr euch aber auch zu Vollzeit-Empörten. Immer, und meistens auch noch zur Unzeit, wenn das Wort Rechtsextrem auftaucht, müsst ihr euch empören. Einfach empörend! Soweit zur Polemik.

Das ein Apparat aus überwiegend auf die Rente zusteuernden Beamten Schwierigkeiten hat, "Jugend"kultur zu erfassen ist das eine, da ist euch recht zu geben (und da gehts dem LKA nicht besser als der Stasi). Das aber politisierte Jugendkulturen Einfluss auf die politische Sozialisation von Jugendelichen haben, ist doch aber auch unstrittig.