Dienstag, 2. Dezember 2025

Demokratie-Schutz: Umkehrkurse für Meinungsabweichler

Die ersten Absolventen eines Umkehrkurses der BBAA zeigen glücklich das Kuscheltier, das jeder erfolgreiche Prüfling am Ende der Schulung in Rechts- und Wertekunde kostenlos erhält.

Im Sommer stand sie die für ein paar Wochen im Mittelpunkt der Klassenauseinandersetzung. Frauke Brosius-Gersdorfs Nominierung als neue Verfassungsrichterin zog Gräben durchs Land, die mit jeder öffentlichen Diskussionsrunde tiefer wurde. Die Juristin, hochgelobt und schwer kritisiert, war sinnbildlich schon angeschossen, noch ehe der Bundestag über ihre Entsendung entscheiden konnte.  

Eine rechtspopulistische Online-Kampagne reichte aus, den Volkswillen der SPD auszuhebeln. Trotz parteiübergreifender Hinterzimmerabsprachen im Vorfeld gab es Unionspolitiker, die sich auf fadenscheinige Argumente wie die Freiheit des Mandats beriefen. Mit knapper Not nur gelang es der schwarz-roten Koalition, sich mit einer Vertagung in die Sommerpause zu retten. Und anschließend andere Kandidatinnen zu wählen.

Ein unendlich schmerzhafter Verlust 

Für Frauke Brosius-Gersdorf, die selbst mit einem Talkshow-Auftritt um ihre Reputation und Chance auf den Verfassungsrichterposten gekämpft hatte, war es eine schwere persönliche Niederlage. Für die junge deutsche Demokratie aber ein schwerer, vielleicht nicht wieder gutzumachender Verlust. Denn die 54-Jährige hätte nicht nur juristische Expertise mit nach Karlsruhe gebracht, sondern auch frische Ideen, wie unsere Demokratie weiter gestärkt und innerlich gegen Diffamierungskampagnen und in den sozialen Medien geäußerte Empörung gewappnet werden kann. 

In einem Land, in dem jeder alles sagen und meinen kann, der bereit ist, die sozialen und womöglich auch juristischen Kosten dafür zu tragen, kann von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit natürlich nicht die Rede sein. Wären bestimmt Ansichten oder Äußerungen verboten, wie es die Gegner der Gemeinschaftsgesellschaft häufig behaupten, könnten dazu entsprechende Gesetzestexte als Beweise vorgelegt werden. Dass das nicht der Fall ist, zeigt die Großzügigkeit, mit der der Gesetzgeber selbst noch nach Vorfällen wie der gezielten Verhinderung der Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf daran festhält, den zulässigen Meinungskorridor nicht fest zu umreißen, sondern seine Grenzen einem medialen und politischen Gefühl zu überlassen.

Viel zu viel und viel zu wenig 

Verglichen mit anderen Staaten werden in Deutschland schnell Meinungen als unzulässig aussortiert und die Äußerer mit Ächtung gestraft. Im Verglich zu anderen anderen Staaten hingegen wird viel gerade noch akzeptiert. Der Debattenraum wird fast nirgendwo ausdrücklich eingeschränkt wahr. Zuweilen schlagen die Diskutanten auch über die Stränge. Grenzen werden absichtlich ausgereizt und selbst menschenverachtende und geschichtsvergessene Positionen gehen vor aller Augen Gassi.

Frauke Brosius-Gersdorf, inzwischen wieder zurück in ihrem Lehramt, hatte daraus schon vor Wochen auf ihrem gewohnten Sendeplatz bei Markus Lanz Konsequenzen gezogen. Sie wünsche sich zwar auch, "dass wir mehr zulassen an Meinungsäußerungen". Doch die müssten sich "im zulässigen Spektrum bewegen", das deutlicher vom unzulässigen ab gegrenzt werden müsse. 

Gerade das Internet lasse es bis heute zu, "unwahre Tatsachenbehauptungen" oder sogar "Schmähkritik" irgendwo zu hinterlassen, wo Einträge von einem kleinen oder größeren Publikum wahrgenommen werden können. Brosius-Gersdorf Gruppen sieht darin ein fortgesetztes Missverständnis. Immer noch werde das Netz als rechtsfreier Raum gesehen, in dem sich auch unter dem Schutz der Anonymität argumentieren lasse, wie es irgendwem gerade in den Kopf komme.

Maßnahmen aus eigenem Erleben 

Auch aus eigenem Erleben hat sich die angesehene Juristin Gedanken gemacht, wie sich diese Art unzulässiger Ausnutzung von Artikel 5 Grundgesetz ausbremsen lässt. Einerseits schlägt sie vor, die das vom Bundesverfassungsgericht am 15. Dezember 1983 definierte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aufzuheben.

Dieses Recht gilt heute noch Grundpfeiler des Datenschutzes, weil es jedem erlaubt, selbst über die Verarbeitung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Karlsruhe sah darin vor mehr als 40 Jahren einen notwendigen Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten. 

Das Ende des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 

Es stützte sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Grundgesetz Art 2 Abs. 1 in Verbindung mit GG Art 1 Abs. 1, die jedem Menschen die Befugnis geben, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Ein alter Zopf, wenn es nach Brosius-Gersdorf geht. Sie steht für ein neues Modell, das sozialen Medien die Auflage macht, eine Klarnamenpflicht einzuführen. Die Hoffnung dahinter: Meinungspluralität wird besser sichergestellt, wenn diejenigen, die schon ahnen, dass sie eine von vielen nicht geteilte Mindermeinung vertreten, ihre Ansicht aus Angst vor Konsequenzen für sich behalten.

Wer sich trotz dieser Gefahr für Ruf, Vermögen und Freiheit "unzulässig äußert", so hatte Frauke Brosius-Gersdorf weiterhin vorgeschlagen, solle nacherzogen werden. "Schulungen in Rechts- und Wertekunde bekommen" seien der richtige Weg, Menschen die Grundkenntnisse zur Teilnahme an einer sachlichen Debatte zu vermitteln. Einige hingeworfene Ideen nur, an deren Wirkungsmächtigkeit allerdings kein Zweifel bestehen konnte. Die Meinungsfreiheitsschutzmaßnahmen, die die "hochangesehene Wissenschaftlerin" (ARD) in Spiel bringt, wären imstande, Deutschland grundlegend zu verändern. 

Eine umfassende Übermittlung 

Die umfassende Übermittlung von "personenbezogenen Daten, die in individualisierter, nicht anonymer Form erhoben und verarbeitet werden", die das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil noch unter den Erlaubnisvorbehalt jedes Einzelnen gestellt hatte, würde Standard, genehmigt vom Gesetzgeber. Aus einem Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht würde eine vorgeschriebene Vorratsdatenspeicherung zum Zweck, Meinungsverstöße jeder Art umgehend ahnden zu können.

Jetzt erst und durch diesen fundamentalen Vorschlag zum Umbau der Meinungslandschaft durch Änderung der Verfügungsberechtigung über die persönlichen Daten wird klar, wie sehr Brosius-Gersdorf am höchsten deutschen Gericht fehlen wird. Sie, die als erste Kandidatin für ein Richteramt in Karlsruhe richtiggehend Wahlkampf machte, würde die seinerzeit von den Verfassungsrichtern Benda, Simon, Hesse, Katzenstein, Niemeyer, Heußner, Niedermaier und Henschel verfügten Vorgaben für mögliche Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinwegfegen. 

Schulungen in Rechts- und Wertekunde 

Kein Informationsinteresse einer Behörde oder eines privaten Unternehmens bedürfte mehr einer ausdrücklichen verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage. Bei keiner neuen übergriffigen Regelung gegen minderschwere Delikte wie Beleidigung oder üble Nachrede hätte der Gesetzgeber noch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen wären nur noch mit Blick auf die Schulungen in Rechts- und Wertekunde zu treffen, bei denen sich die Meinungsdelinquenten nach entdeckten Verstößen einzufinden hätten.

Wie es dann laufen könnte, das wird seit einigen Tagen in Warin ausprobiert, einem kleinen Städtchen im westlichen Mecklenburg, das es als Hauptstandort des Bundesblogampelampes (BBAA) zu einiger Bekanntheit gebracht hat. Obwohl Brosius-Gersdorfs Vorschlägen zu umfassenden Schutzlehrgängen für Meinungsverbrecher bisher offiziell noch von keiner Partei aufgegriffen worden sind, hat die Leitungsebene des BBAA sofort nach dem Bekanntwerden der Initiative der in Potsdam lehrenden Rechtsprofessorin mit den Planungen zu ersten Nachschulungen begonnen. "Wir sehen in diesen bildenden Erziehungsmaßnahmen ein mildes Mittel, Demokratieverstöße zu ahnden", sagt Herrnfried Hegenzecht, der dem BBAA seit 15 Jahren vorsteht.

Ein weiterer Schritt nach vorn 

In diesen anderthalb Jahrzehnten sei viel erreicht worden, sagt der höchste Meinungsfreiheitsschützer Deutschlands. Gerade mit der Einrichtung von Hassmelde- und Sammelstellen und der Etablierung der Trusted Flagger als vertrauenswürdige Abschnittsbevollmächtigte für die Aufsicht im Netz habe es einen kräftigen Schritt nach vorn gegeben. Doch wie mit Täter*innen umzugehen ist, die mit abweichenden Ansichten aufgefallen sind, das sorge auch in seinem Haus, einer Art Herzkammer der deutschen Meinungsfreiheitsaufsicht, immer wieder für heiße Diskussionen.

Soll oder muss man die Betreffenden hinter die Brandmauer verbannen? Oder ins Gefängnis stecken?  Reicht es, ihnen den sogenannten bürgerlichen Tod anzudrohen, um eine Verhaltensänderung zu motivieren? Oder muss die Meinungsfreiheit mit härteren Bandagen durchgesetzt werden? 

Die ersten Umkehrkurse 

Herrnfried Hegenzecht weiß es auch noch nicht. Aber der gelernte Philosoph und Soziologe ist einer, der Menschen nicht vorschnell verlorengibt. Den Stab über jemandem zu brechen, sei immer noch Zeit, sagt er. Deshalb habe man nach Brosius-Gersdorfs Vorschlag unmittelbar mit der Planung sogenannter "Umkehrkurse" begonnen. Der Name solle einladend und hoffnungsfroh wirken. "Wir wollten es vermeiden, von ,Schulung' und 'Erziehung' zu sprechen." 

Grundlage der Veranstaltungen, die aus jeweils fünf Doppelstunden Belehrung mit abschließender Demokratietauglichkeitsprüfung bestehen, ist das Prinzip der Kritik und Selbstkritik. "Die Kursanten werden mit ihren Fehlern konfrontiert, daraufhin erziehen sie sich gegenseitig, um Fehler zu korrigieren und ihre Persönlichkeitsentwicklung voranzutreiben."

"Konstruktiv, kausal und konkret" 

Es gebe kein Lehrer-Schüler-Verhältnis in den Demokratielehrstunden, vielmehr würden verbliebene Recht und unsere Werte "konstruktiv, kausal und konkret" unter Aufsicht erfahrener Mitarbeiter der Meinungsfreiheitsschutzabteilungen des BBAA anhand der Fälle der jeweiligen Teilnehmer verhandelt. "Daraus ergibt sich, dass jeder sowohl das Handeln anderer als auch das eigene kritisch hinterfragt, um Fehler zu erkennen, sich persönlich weiterzuentwickeln und die von uns gemeinsam angestrebten Ziele beim Verständnis der Grenzen der Meinungsfreiheit nach Art 5 zu erreichen." 

Die Kritik bleibe dabei sachlich bei den Meinungsverfehlungen Einzelner und fokussiere sich von dort aus auf die gesellschaftliche Situation oder das Ergebnis, das die unzulässige Meinungsäußerung ausglöste. "Daraus ziehen die Kursteilnehmer die Karft zur Selbstkritik und sie entwickeln die Fähigkeit, eigene Schwächen zu erkennen und daraus zu lernen."


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