Freitag, 12. März 2010

Zwar aber

Zwei besonders schöne Exemplare des so genannten "Zwar-aber"-Textens sind in der aktuellen Frankfurter Rundschau zu begutachten. Die "Zwar aber"-Methode findet erfahrungsgemäß dann Anwendung, wenn etwas gut oder schlecht ist, der Autor es jedoch nicht gut oder schlecht finden will, weil sonst seine Skandalisierungs-Pose (und somit letztlich das Substanz-Surrogat) gefährdet wäre.

Iris Hilberth führt dies anschaulich vor. Sie erzählt die Geschichte zweier 13-jähriger Jugendlicher, die eine Rentnerin auf ekelhafte Art misshandelt hatten. Doch Hilberth möchte offenbar "kontextualisieren". Was bietet sich also mehr an, als vorgebliche Experten (immer wieder gern genommen: Psychologen - die haben zu allem und jedem eine Meinung) zu Rate zu ziehen.

Dumm ist nur, wenn die nackten Zahlen etwas anderes erzählen, als die Geschichte eigentlich erzählen soll. Zitat: "Die Bayerische Kriminalitätsstatistik besagt zwar, dass die Straftaten Minderjähriger zurückgegangen sind, Fabienne Becker-Stoll, Psychologin und Leiterin des Staatsinstituts für Frühpädagogik, beobachtet aber eine Tendenz der Zehn- bis Elfjährigen zu mehr Gewaltbereitschaft und Körperverletzung." Oh Mann. Die Täter sind beide 13, Frau Becker-Stoll redet über Zehn- bis Elfjährige. Die Straftaten werden weniger, Frau Becker-Stoll beobachtet hingegen eine (unbelegte) steigende Tendenz, und zwar die zu mehr Körperverletzung (sic!). Any questions? Als "Leiterin des Staatsinstituts für Frühpädagogik" darf man dann auch gerne mal mit fulminanten Wahrheiten protzen: "Solche Kinder, wie in dem Fall von Milbertshofen, (sind) Belastungen und Risikofaktoren ausgesetzt". Wow. Die Vermutungen der Leser waren schon Richtung "intaktes Elternhaus" abgeschweift, da fährt ihnen die Psychologin mit Hilfe von Iris Hilberth aber noch einmal richtig in die Parade. Schuld an der berichteten Gewalttat sind, dies nur der Vollständigkeit halber, natürlich die "Medien". What a Unfug.

Zwar prügeln immer weniger Kinder (ich hoffe zugunsten der Autorin, dass sich die zurückgehende Zahl von Straftaten Minderjähriger nicht auf Ladendiebstahl bezieht), aber ...

Etwas weniger offensichtlich geht Knut Krohn die Sache an. In seiner sicher überaus verdienstvollen Reportage über Straßenkinder in Odessa wird das "Zwar aber" kunstvoll versteckt. Erkennbar wird es nur im Umkehrschluss. 700 obdachlose Jungen und Mädchen soll es nämlich in der ukrainischen Stadt geben, ein US-Amerikaner gründete die Hilfsorganisation "This child here" und kümmert sich um verwahrlosten, drogenabhängigen Heranwachsenden. Tolle Sache. Doch ist es Robert Gamble zu verdanken, dass die Zahl der Straßenkinder seit Mitte der 1990er Jahre um 4300 abgenommen hat? Wohl kaum: Er ist erst seit drei Jahren im Land. Man könnte also vielleicht eine osteuropäische Erfolgsgeschichte in die Welt posaunen. Doch die hätte nicht die Überschrift "Versteinerte Greisenminen" (gemeint sind wohl Greisenmienen) laufen können.

Es gibt zwar immer weniger Straßenkinder, aber ...

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Es findet sich immer ein Haar in der Suppe, man muß es nur reintun. (Alte Kellnerweisheit)

VolkerStramm hat gesagt…

Um mal an das Thema Gewalt anzuknüpfen ...
Märchenerzählerin Christiane Töpfchen-Pfeiffer weiß zu berichten, dass die Gewalt unter Jugendlichen sinkt .
Yep.
Zufällig erfährt man irgendwann, wie diese „wissenschaftliche“ Erkenntnis zustande kommt; nämlich durch kreative Zählweise. Denn erfreulicherweise ist es so, dass die Summe von Taten der „Gewaltkriminalität“ der polizeilichen Kriminalstatistik die Körperverletzungen nach Paragraph 223 StGB nicht enthält.

Wir malen uns die Welt, wie sie uns gefällt.

Pisaner hat gesagt…

Zwar wird die Frankfurter Rundschau und insbesondere das,was die über Politik,Kultur oder Gesellschaft schwafeln, von immer weniger Leuten gelesen, aber jüngst konnten selbst die geistreichen Blogger von ppq die FR nicht länger ignorieren.

derherold hat gesagt…

@Pisaner: Hoppala, die Artikel der *FR* tauchen jetzt auch gedruckt im MZ-Verbund (Neven DuMont, sei Dank) auf.

Volkers Beispiel ist legendär ... :-)
Allerdings spielt Pfeiffer nur eine Rolle. Er muß den "wissenschaftlichen" Hintergrund für den polit. Willen von Eliten liefern.

Das Problem liegt auf der Hand:
Das "Estalishment" ist - völlig wertfrei - Regime, möchte aber weiterhin Opposition spielen ... was z.Zt. der Diktatur des Proletariats unbekannt war.

Das geschieht zunächst aus nacktem Eigennutz, nämlich der Vermeidung von Verantwortung. Will man *Geld* und *Anklage*, dann machen die Zahlen "betroffen", die "immer mehr", "steigend", ein "bedrohliches Ausmaß annehmend" "eine neue Qualität" bescheren ...

... da man aber Rathäuser und Lehrstühle, Lehrerzimmer und Redaktionsstuben beherrscht, also: verantwortlich ist, klärt der aufgeklärte Auflärer beizeiten auf, daß es sooo schlimm nun auch nicht sei.

Ebenfalls legendär in dem Zusammenhang die Rezeption von *Pisa*. ;-)

ppq hat gesagt…

die FR ist doch seit jahren eine unserer liebten inspirationsquellen!

VolkerStramm hat gesagt…

Natürlich, Pisaner, ist die FR und deren östliches Recycling eine unserer liebsten Informations- und Inspiratinsquellen; ganz besonders das Honnigfort-Gekotze.