Sonntag, 1. Januar 2017

Hoffnung aus der Filterblase: Vom Schrumpfen der Fahne

Langsames Verschwinden: Seit 2011 rückt die Nationalfahne unaufhaltsam in den Hintergrund.
Ein Schatten in Rot nur ist geblieben von der Nationalfahne bei Angela Merkels zwölfter Neujahrsrede, die weniger wolkig als manche frühere Auflage, dafür aber mit einem noch kräftigeren Schuss Wirklichkeitsverweigerung bewies, dass der amerikanische Brauch, das politische Spitzenpersonal nach acht Jahren in jedem Fall zu wechseln, unbedingte Vorteile hat. Merkel, die ihr zwölftes Jahr mit dem Vorhaben startet, weitere vier Jahre dranzuhängen, zeigt sich inhaltlich von den Ereignissen der zurückliegenden Monate unbeeindruckt. Die Parole heißt durchhalten, die Grundmelodie dröhnt im zuverlässigen "wir schaffen das".

Wie? Wer? Wohin? Angela Merkel weiß es nicht, oder sie mag es noch nicht verraten. Sie spricht von "bitter" und "widerwärtig", von "Prüfungen" und "Trost", sie fordert, ruhig weiterzugehen, denn hier gibt es nichts zu sehen. Inhaltlich wie grammatikalisch ist die wohlvorbereitete Rede zum Teil wirr und unübersichtlich. Wenn Merkel etwa sagt "Wir sind frei, mitmenschlich, offen - auch, indem wir zum Beispiel mit den Bildern des zerbombten Aleppo in Syrien vor Augen noch einmal sagen dürfen, wie wichtig und richtig es war, dass unser Land auch im zurückliegenden Jahr denjenigen, die tatsächlich unseren Schutz brauchen, geholfen hat, hier bei uns Tritt zu fassen und sich zu integrieren", bleibt der Sinn verborgen. Frei ist der, der sagen darf, wie richtig und wichtig es war, Syrer aufzunehmen? Wer bestreitet denn, dass das gesagt werden darf? Maas? Kahane? de Maiziere?

Merkel schließt zusammenhanglos an: "Das alles - es spiegelt sich wider in unserer Demokratie, in unserem Rechtsstaat, in unseren Werten". Und wieder steht die Frage: Was "alles"? Tritt fassen? Aleppo vor Augen? Richtig und wichtig? Dunkel ist der Worte Sinn, die dann auch noch aufeinder Bezug nehmen, wo kein Bezug mehr sein kann. "Sie sind der Gegenentwurf zur hasserfüllten Welt des Terrorismus, und sie werden stärker sein als der Terrorismus", heißt es. Meint wohl Demokratie, Rechtsstaat und Werte, die von Angela Merkel als umgekehrte Pyramide gedacht werden. Eigentlich beruht die Demokratie auf Werten und aus ihr entspringt der Rechtsstaat. Doch wer von oben schaut, länger schon als ein Jahrzehnt, für den ist es andersherum: Die Demokratie, das bin ich, aus mir entfließt der Rechtsstaat. Und der bestimmt die Werte. Mit der Folge: "Wir gemeinsam sind stärker. Unser Staat ist stärker" (Merkel).

Eine Staatsgläubigkeit, die unfreiwillig komisch wirkt in Tagen, in denen der Staat seine Offenbarungseide im Wochenrhythmus ablegt. Merkel muss sich herummogeln um diese Frage. "Unser Staat tut alles, um seinen Bürgern Sicherheit in Freiheit zu gewährleisten", sagt sie und zwischen den Zeilen steht: Klappt nicht. Aber bemüht haben wir uns.

Ihre Claquere sind wie immer begeistert, ihre eigentliche Botschaft aber geht unter. Ein Blick auf die Entwicklung der Präsentation der deutschen Fahne, traditionell ein Accessoire deutscher Neujahrsansprachen, zeigt Merkels Entschlossenheit,sich der europafeindlichen Haltung ringsum nicht zu ergeben. War die Fahne in den ersten Jahren ihrer Kanzlerschaft noch prägendes Element, rutschte sie später neben die der EU. In den Jahren der Finanzkrise verfügte Merkel dann, das blaue Tuch der ungeliebten Union wieder wegzulassen. Ehe es ab 2011 einen immer größeren Platz am Rande der Anspracheninszenierung einnahm.

2016 ist ein Höhepunkt erreicht: Von der deutschen Fahne ist nur noch ein roter Schatten mit winzigem gelben Rand zu sehen, scharf umrahmt vom Euroblau des Pokemon-Jäckchens der Kanzlerin und dem Blau der Euro-Fahne.



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