Freitag, 9. Februar 2018

Was die Groko-Sprache verrät: In der Blechfabrik

Ohne Hilfe aus der Bundesworthülsenfabrik erstellt: Das Koalitionspapierist überwiegend in einer Sprache geschrieben, die außerhalb einer kleinen Ecke in Berlin nur noch sehr wenige Menschen sprechen.

Kaum ausgedruckt, schon zerrissen. Über Tage und Nächte feilten die besten Köpfe aus dem inneren Kreis der größten deutschen Parteien und Führung der Kanzlerin selbst an den 167 Seiten Koalitionsvertrag, die Europa ein Mehr und Deutschland ein Mehr an Dynamik bringen sollen. Doch kaum ist die Druckertinte trocken, melden sich die Bedenkenträger - und diesmal kommen sie sogar mitten aus dem Regierungsviertel in Berlin.


 Wie etwa Rainald Schawidow, als Chef der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) Miterfinder wichtiger politischer Signalbegriffe wie "Rettungsschirm", "Energiewende",  "Schulden-" und "Mietpreisbremse", "Stromautobahnen" oder "Wachstumspakt". Der Sprachexperte aus dem früheren DDR-Kombinat VEB Geschwätz kritisiert am Koalitionsvertrag eine "sprachliche Statik, diejeden Fachmann weinen lässt". Semiotisch sei der sogenannte "KoaV" das "Dokument eines Komplettversagens beim Versuch, anderen Inhalte eigenen Denkens zu vermitteln"

Zwischen Bevormundung und Betreuungswillen


Aber vielleicht ist da auch gar kein Denken? Das zumindest nimmt Uwe Löhmsen an, der als  Sprach­for­scher einst den ge­fähr­li­chen Umgang mit Metaphern aufdeckte, den der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering pflegte. Löhmsen, als Sprachpfleger in einem Reservat für aussortierte Begriffe angestellt, nennt die Rhetorik des Koalitionsvertrages "entlarvend". In nahezu jeden einzelnen Satz zeigten sich Denkungsarten von Bevormundung, Betreuungswillen, Entmündigung, dem Glauben an die Allmacht des Staates und die Ablehnung der Freiheit des Individuums.

Löhmsen war entsetzt, als er in dem wie aus dem Stahlbeton bloßen Machterhaltungswillens gegossenen Papier den sinnfreien Satz entdeckte, die neue Koalition habe sich vorgenommen, ein "Besseres Leben durch Fortschritt" zu erreichen. Grundlage dafür solle nun ausgerechnet ein Vertrag sein, aus dem in jeder Zeile der Versuch spreche, die „Bürgerinnen und Bürger unseres Landes“ - Deutsche, Wähler oder Schonlängerhierlebende gibt es im KoaV nicht - mittels lautem Wortgeklingel davon abzulenken, dass es hier inhaltlich außer dumpfen Beschwörungen und Vertröstungen auf die Zeit nach der eigenen Regierugnszeit nicht viel zu holen gibt.

Vielmehr ist das Regierungsprogramm vollgestopft mit Inhaltsleere, gegen die ein Vakuum vor Teilchen wimmelt.  Die GroKo ist der führenden Rolle der Bedeutung bei der Durchsetzung der Beschlüsse zum Wohle des Volkes und den Frieden auf der Spur, wie sie frühere Volkstribune bereits umzusetzen versucht hatten: Es ist hier von „Mobilität 4.0“, von einer „bezahlbaren Energiewende", eine bald anbrechende Zeit einer  „flächendeckend guten Gesundheitsversorgung“ wird verkündet, in der es dann auch eine „flächendeckende digitale Infrastruktur von Weltklasse“ und eine "gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Leitungsfunktionen des Öffentlichen Dienstes" geben soll.

Nicht gleich, sondern "bis 2025", also nach der Zeit, in der die jetzt bald Regierenden ihren verdienten Ruhestand genießen und sich von den Anstrengungen erholen werden, auf über 5.000 Zeilenehrgeizige Ziele wie die "Ausdehnung des Geltungsbereiches des Bundesgleichstellungsgesetzes" und die "Unterstützung der Afrikanischen Union bei der Umsetzung der Agenda 2063" zu verkünden.

Weitsicht bis ins Jahr 2063


2063, so weit reicht der Blick der Spitzenleute von CDU, CSU und SPD, die noch vor fünf Wochen nicht wussten, dass sie nun doch wieder  zusammen regieren müssen, um nicht am Ende langer, allzulanger Karrieren als gescheiterte von der Bühne schleichen zu müssen.

Und sie können es ja noch. Als spreche hier der blasse Bürokrat Martin Schulz selbst im Automodus, klingelt es von Sätzen wie "Wir wollen die EU finanziell stärken, damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen kann", "Wir sind zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit" und "Aufgaben der Zukunft mit europäischem Mehrwert, Stabilität und Wachstum bedingen einander und bilden eine Einheit."

Womöglich ist es wieder diese Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, die aus der DDR damals den zehntstärksten Industriestaat der Welt gemacht hatte. Nun ist die EU dran, denn die Groko lässt sich "davon leiten, dass die EU für Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten ebenso wie für ihre Bürgerinnen und Bürger stehen muss". Das Prinzip der wechselseitigen Solidarität müsse dazu "auch für den EU-Haushalt gelten", heißt es weiter, aber eben nicht für die Großkoalitionäre, denn die sind entschlossen, diese Solidarität überall dort aufzukündigen, wo es keine "gemeinsamen Positionen" gibt. Dann und dort, so droht der KoaV, werde man mit denen, die deutscher Meinung seien, "vorangehen".

Das wird eine "harte Abbruchkante", wie es gleich nebenan heißt, das sorgt "dafür, dass die Leistung bei steigendem Einkommen langsam ausläuft, sodass vom Einkommen mehr übrig bleibt". Zuvor gibt es selbstverständlich einen "breiten Dialog", es werden "Interaktionsrisiken eingedämmt", der "Transformationsprozess in der Arbeitswelt" wird beobachtet und begleitet und eine "Investitionsoffensive für Schulen" gibt es natürlich auch.

Prinzipien der Natur nutzen


Denn, das ist klar "Exzellenz ist ein Leitelement in der Wissenschaftspolitik", Deutschland ein "Chancenland" und "unter Abwägung aller Interessen" wird die neue Groko eines Tages "über eine Verstetigung entscheiden". Dann gibt es "den wichtigen Weg für gute Arbeit", eine "Hightech-Strategie (HTS) wird als ressortübergreifende Forschungs- und Innovationsstrategie weiterentwickelt" und "Konzepte für Zukunftscluster treiben die Nutzung von Prinzipien der Natur voran". Selbstverständlich erst, wenn "Exzellenz und Subsidiarität als Grundprinzipien der europäischen Forschungsförderung" weiterhin eingefordert worden sind, so dass sie "verankert" werden können.

Wäre das kein Dokument, mit dem sich drei künftige Regierungspartner gegenseitig das Fell über den Kopf ziehen wollen, sondern die Grundlage, auf der das größte Land Europas in den kommenden immerhin noch dreieinhalb Jahren geführt werden soll, dann wäre Angst die angebrachte Reaktion. Vielleicht niemals seit Ernst Jandls  berühmter "etude in f" ("durch die füste, durch die füste, durch die füste bläst der find") gelang es, so absurd wenig Inhalt auf so viele sorgfältig durchnummerierte Zeilen zu verteilen.

Und an alle ist gedacht: Da taucht eine "Gruppe der schwer zu erreichenden Jugendlichen" auf, offenbar ein neuer fröhlicher Code für die, die Opa noch "Schwererziehbare" nannte. Ein Wollen hebt an, das "unser Land in allen Bereichen zu einem starken Digitalland entwickeln" wird. Und ein Werden setzt ein, das "den Solidaritätszuschlag schrittweise abschaffen" will - "mit einem deutlichen ersten Schritt" ab dem Jahre 2021, wo die zehn Milliarden teure Maßnahme günstigerweise gleich Teil des dann ja wieder fälligen Wahlkampfes sein kann.

Besuch bei den Profis: Reportage aus der Bundesworthülsenfabrik

2 Kommentare:

Casper von Milz hat gesagt…

"Gruppe der schwer zu erreichenden Jugendlichen" - eine neue Bezeichnung für unsere MUFL?

Ansonsten halt viel Augenwischerei. Die GRoKO kann ja immer noch was ganz anderes machen.

Anonym hat gesagt…

Typisch für solch ein Machwerk ist es auch, dass sowas aus der Ecke Berlin stammt, reflektiert es doch ziemlich authentisch die dortige Mentalität: Grosskotzige, von sich eingenommene, vorlaute, rotzfreche, arrogante, aufgeblasene, blasierte, wichtigtuerische, phrasendreschende Schaumläger (Saupreissn eben). – Nicht verwunderlich, die Affinität der ganzen dortigen Brut zur SPD, dem herzallerliebsten „Kondensat und Konzentrat“ genannter „Attribute“.
Perniziöserweise wurde mit der Inkorporation der ehemaligen "DDR" der bundesrepublikanische Saupreissn-Koeffizient um mindestens 25% erhöht. Resultat: Noch mehr prätentiöse Phrasen, Worthülsen, Sprüche in Regierung und Medien, sogar eine Ober-Saupreiss.IN als Klanzlereuse-Darsteller.IN. -