Montag, 12. November 2018

Verfassungsgericht: Der plötzliche Aufstieg des Stephan Harbarth


Er sitzt seit neun Jahren im Bundestag, ist dort aber nie durch außergewöhnliche Leistungen aufgefallen. Stephan Harbarth hielt fleißig seine Reden, zu NPD-Verbot und Familiennachzug, Homosexualität und Schwangerschaftsabbruch, er war Mitglied im Wahlausschuss und im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, zudem saß er im CDU-Bundesvorstand und war stellvertretende Franktionsvize.
 
Aber öffentlich fiel der Mittvierziger nie auf, zumindest nicht positiv: Harbarths Schlagzeilen erzählen vom stumpfen, aber vielbeschäftigten Leben eines cleveren Anwalts, der den Vollzeitjob eines Bundestagsabgeordneten wie nebenbei erledigt, so dass er stets Zeit fand, in seiner Anwaltskanzlei zu arbeiten und zudem noch als Honorarprofessor an der Uni Heidelberg ein wenig dazuzuverdienen.

Dorthin, wo es peinlich wird.


Fleiß, der sich nun ebenso auszuzahlen scheint wie Harbarths Bereitschaft, im Dienst seiner angeschlagenen Partei auch dorthin zu gehen, wo es wehtut und peinlich wird. Stephan Harbarth ist jetzt, vier Tage nach seinem wegweisenden Auftritt als als ebenso argumentsloser wie unerschrockener Verteidiger des UN-Migrationspaktes im Bundestag, als neuer Verfassungsrichter nominiert worden. Mit klarer Perspektive: Der Obmann der CDU im Rechts- und Verbraucher-Ausschuss des Bundestagesdessen Kanzleiden VW-Konzern in der Abgasaffäre vertritt, ist in Hinterzimmergesprächen zwischen den Fraktionsspitzen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünenberufen worden, in zwei Jahren neuer Präsident des Bundesverfassungsgerichts zu werden.

Künftig wird Harbarth, "einer der größten Raffkes im Bundestag", wie ihn der "Stern" nennt, dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts angehören und dort als Ersatz für den ausgeschiedenen Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof darauf warten, dass er dem derzeitigen  Verfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle nachfolgen kann. Traditionell werden Verfassungsrichter nach der Formel Union / SPD / Union / SPD / Grüne bestimmt. Das heißt, für je zwei Richter, die Union und SPD aussuchen, dürfen die Grünen als drittstärkste Kraft in den Ländern einen Richter benennen.

Recht für die Zukunft setzen


Mit dem konservativen Juristen, der nie im Justizdienst gestanden hat, würde die scheidende große Koalition für die kommenden zwölf Jahre - so lange bleiben Verfassungsrichter längstens im Amt - Recht setzen und einer kommenden rot-rot-grünen Koalition Steine in den Weg werfen.  Das Bundesverfassungsgericht definiert, wie das Grundgesetz auszulegen ist und sorgt zumindest theoretisch dafür, dass diese Vorgaben einzuhalten wären. 
 
Das Verfassungsorgan, dem die Deutschen am meisten vertrauen, hatte in seinen letzten Entscheidungen immer wieder entschieden hinter die Entscheidungen der Bundeskanzlerin gestellt. Traditionell werden die Richter am höchsten deutschen Gericht allerdings auch von den Regierungsparteien nominiert und in Absprache mit den für eine Stellenbesetzung notwendigen Teilen der Opposition in wechselnden Rollen in Bundesrat und Bundestag gewählt.

Wer zwölf Jahre regiert, hat also alle seine Prüfer und Kontrolleure selbst ernannt und muss kaum noch Furcht haben, dass ihm die höchsten Richter mehr als einen drohenden Zeigefinger vorhalten. entsprechend groß ist der Respekt der Spitzenpolitik vor der BVG: Das hatte beispielsweise bereits im Jahr 2008 Teile des deutschen Wahlrechtes für verfassungswidrig erklärt und sein Urteil 2012 erneut bekräftigt.  Bis 2013 hätten die Parteien Änderungen vornehmen sollen und müssen.Bis heute haben sie das nicht getan.

Ein Politiker für das höchste Gericht


Dass nun ein "ausgewiesener Parteipolitiker", wie die Taz nörgelt, Präsident des Bundesverfassungsgerichts wird, zementiert nicht nur die Macht der untergehenden Großen Koalition für das nächste Jahrzehnt, sondern auch die hundertprozentige West-Fixierung der Verfassungshüter. Unter den Frauen und Männern, die seit 1990 als höchste Instanz über die gemeinsame Verfassung wachten, fand sich nie und weiterhin nicht eine einzige Person, die einen relevanten Teil ihres Lebens in der DDR verbracht hat. Vorbedingung, um Verfassungsrichter zu werden, bleibt eine lupenreine westdeutsche Biografie, die das höchste deutsche Gericht zum letzten Reservat der puren alten Bundesrepublik macht: Niedersächsisch, baden-württembergisch hessisch und bayrisch geprägt.

30 Jahre ist ein Landesteil mit immer noch fast 15 Millionen Bewohnern damit stabil ohne jede Teilhabe an der Verfassungspraxis. 18 Prozent der Bevölkerung ohne Vertretung, statt dreier Ostdeutscher, die rein rechnerisch in den beiden Senaten sitzen müssten, findet sich dort kein einziger.

6 Kommentare:

Gerry hat gesagt…

Gewaltenteilung aus dem Bilderbuch. Wem hier nicht gruselt ...

ppq hat gesagt…

und siehst du, du bist der einzige, der das kommentiert, den das angeht, der sich darüber empört. angesichts dessen würde ich das, wäre ich in anderer leute situation, genauso machen. merkt ja keiner. und die es merken, denen ist es egal

FalkenaugeD hat gesagt…

Die Wurzel des Problems liegt im Parteiensystem, das alle Lebensgebiete durchzieht und die Demokratie zur Oligarchie deformiert. Die Partei oder Koalition, die im Bundestag die Mehrheit hat, also die Legislative beherrscht, stellt die Regierung und besetzt mit ihren Leuten die höchsten Richterposten. Vgl.:
https://fassadenkratzer.wordpress.com/2015/11/18/das-verhaengnis-der-politischen-parteien/

Volker hat gesagt…

Also als der pöse Trump den ganz pösen als Richter im Supreme Court durchbringen wollte, da sind Hunderte Professoren gegen Kavanaugh auf die Barrikaden gegangen.

Wenn in Deutschland Merkel ihre Marionette ins BVerfG abordert, da gehen keine Professoren auf die Barrikade - nicht mal Professor Harbarth.

wolfgang fubel hat gesagt…

Verfassung? Was erzählen Die Uns??
Was denn für eine Verfassung??
Habe ich irgend etwas verschlafen?

derherold hat gesagt…

"30 Jahre ist ein Landesteil mit immer noch fast 15 Millionen Bewohnern damit stabil ohne jede Teilhabe an der Verfassungspraxis. 18 Prozent der Bevölkerung ohne Vertretung, statt dreier Ostdeutscher, die rein rechnerisch in den beiden Senaten sitzen müssten, findet sich dort kein einziger."

Man sollte nicht vergessen, daß wahrscheinlich in einem Bereich die Verabschiedung von Spitzenpersonal so konsequent durchgezogen wurde, wie bei den DDR-Richtern.
Ähnlich dürfte es bei dem juristischen Lehrpersonal an den (ostdeutschen) Universitäten.