Sonntag, 23. Dezember 2018

Relotius: Der gelenkte Skandal


Dass die Wahrheit zu dienen hat, und wenn sie dabei ein wenig gebogen werden muss, das ist einer der zentralen Glaubenssätze dessen, was als "Spiegel-Journalismus" Schule gemacht hat. "Im Zweifel links" ordnete das größte Nachrichtenmagazin der Republik sich schon früh dort ein, wo der Fortschritt verteidigt wurde, den man selbst zu solchem ernannt hatte. "Schreiben, was ist" (Spiegel-Leitsatz) bedeute vor diesem Hintergrund immer nur, zu schreiben, was in die eigene Agenda passt.

Das taten Spiegel-Reporter immer unterhaltsam und ohne jede Furcht vor dem Klischee. Der Osten Deutschlands war eine abgehängte Kloake, in der Kinder mit toten Tauben Fußball spielten, die USA waren bewohnt von Waffennarren ohne Hirn, Putin hielt Russland in einem eisernen Griff, unterwegs zur Weltherrschaft. Und unsere letzte Verteidigungslinie war eine Kanzlerin, charismatisch wie die Küchenfrau im Spiegelhochaus.

Was nicht passte, wurde passend gemacht, sei es eine Bestsellerliste, sei es eine Videoquelle. Bis dann dieser neue Spiegel-Skandal begann, man weiß nicht wann, denn das "Nachrichtenmagazin" simuliert zwar Transparenz, hält die Zeitabläufe des Auffliegens dieser größten Manipulationsaffäre seit den Hitler-Tagebüchern aber peinlich genau unter der Decke. Wann hat wer was erfahren? Wer informierte wen? Worüber? Eigentlich Essentials in jedem Skandal, zuletzt bei Wulff und Edathy. Nur hier, in eigener Sache, mit vollem Zugriff auf alle Fakten, gibt es seltsamerweise keine Zeitleiste, keine kalendarische Dimension.

Mit gutem Grund, darf vermutet werden. Denn besser als jetzt, wo die Konkurrenz den "Aufklärern" schon aus Gründen des Selbstschutzes alle Achtung zollt, konnte es gar nicht laufen. Einerseits ist da der alte Chefredakteur Klaus Brinkbäumer, ein erklärter Merkelianer und leidenschaftlicher Anti-Trumpist, dem bereits im Sommer die Papiere ausgeteilt wurden. Brinkbäumer, verantwortlich für eine ganze Serie hasserfüllter Spiegel-Titelbilder und verliebter Merkel-Hommagen, ist weg. Sein Nachfolger kann deshalb nun glücklich seine Hände ein Unschuld waschen. Er wusste von nichts. Er kann nichts dafür. Er ist Opfer. Er hat mit dem "Alptraum" (Spiegel) nichts zu tun. Und das sagt er dann auch genau so.

Lange muss er diese Erzählung voraussichtlich auch gar nicht durchhalten. Denn die Medienprofis aus Hamburg haben das so übel nach Manipulation, Leserverachtung und mangelnder Qualitätskontrolle müffelnde Geschenk zielgenau kurz vor Weihnachten ausgepackt. Das Kalkül dabei ist offensichtlich: Zwei, drei, höchstens vier Tage wird das Affärchen kochen. Dann ist Heiligabend, dann sind Feiertage, es beginnt die bleierne Zeit "zwischen den Jahren" (DPA), in der nichts passiert und die so richtig erst am 7. Januar endet. Relotius wird dann schon ein Vergessener mehr sein, ein Opfer von Themensterben und digitaler Demenz.

Den Namen Relotius werden die meisten Leserinnen und Leser dann schon mit Spekulatius verwechseln. Auch nicht so falsch.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

das Thema wird solange geritten bis der Spiegel als vergewaltigte Jungfrau vom Lande dasteht und Lolrizinus als Triebtäter .

entscheidend ist : der Betrüger ist ein böser Betrüger und das Blatt ist ein gutes , weißes Blatt .

nicht das Umfeld , die Gesellschaft hat den Täter zum Täter gemacht ( denn das wäre die klassische Rotfronthermeneutik ) sondern der Täter ist ein ewig böser Täter der immer böse wahr .

der böse Täter konnte sich hinr frommen Worten verstecken - aber jetzt wandern die zivilreligiösen Deutungstebischöfe mit dem Weihrauch durch den verfluchten Spiegelglitzerpalast um den Ungeist der bösen Lüge zu vertreiben . Klar ; ein wenig Selbstkasteiung muss sein - sonst wird die Buße umgehend zur neuen Lüge . Trennt man also den bösen Täter vom blütenreinen Spiegel wird alles wieder gut ; ab März dann eine erste Zwischenbilanz mit Berichten aus dem Zentrum der richtigen Meinung " Frau Spiegelfernsehen , zeigen Sie doch bitte mal anhand dieser Puppe wo der böse Lollrizinuss Sie angefasst hat " .

es wird keine Milieustudien geben ; niemand will wirklich wissen weshalb in Hamburg Eppendorf unironisch der Gut - und Bestmensch sozialisiert wurde und wird . wo ist der Claas aufgewachsen - was machen seine Eltern ? warum ist Claas ein Lügner ? Claas hat geschlampt und wurde entlarvt ; die anderen Berufsfaker werden keine handwerlichen Fehler mehr machen ; 1989 haben wir geglaubt der Bolschewismus sein endgültig besiegt . Das war ein Irrtum .

Der Grund für zivilreligiös motivierte Märchen ist nicht verschwunden - NUR ein ungeschickter Anbieter der Droge fakenews wurde entfernt .

der Sepp ,

deepcover_Ermittlung

ppq hat gesagt…

wenigstens wird dem neuen spiegelchef nie jemand vorwerfen können, er habe auch so zeug geschrieben. hat er nicht, er schreibt eigentlich gar nichts

Volker hat gesagt…

Nicht dass er gelogen hat wird ihm übelgenommen (das machen in der Szene alle), sondern dass er sich zu tumb angestellt hat.
Er hat das Pech, dass man ihn als Einzeltäter hinstellen kann.
Wenn die kollektiv lügen, passiert hinterher gar nichts.

Erinnert sich noch jemand, dass am 12. Januar 2015 diese ausländerfeindliche Pegida den Flüchtling Remember Khaled ermordet hat?
Eine Woche haben die gleichgeschalteten Lügenmedien das Lügenmärchen verbreitet. Aufgepoppt mit Homestory („Khaled ging einkaufen, und kam nicht mehr zurück“), mit Massenprotesten (Rassismus lötet!), Trauermarsch und allem drum und dran.
Als der Schwindel dann aufgeflogen ist, haben die … so getan, als wäre nichts geschehen.
Keine Entschuldigung, keine Selbstkritik, reinweg nichts.

Es geht nicht um Relotius.
Es geht um die Frage, was ist das für ein Morast, der so eine Sumpfblüte hervorbringt.
Der SPIEGEL ist doch sonst so aufmerksam. Kein rechter Pumps, der denen entgeht. Jeder Abweichler wird gnadenlos als Nazi an die Wand genagelt.
Aber dass der Claas gelogen hat, das ist den Rechercheabteilungen und Faktencheckern rein zufällig durch die Lappen gegangen. Jahrelang!
Was für ein Gesindel.

Carl Gustaf hat gesagt…

Wie die Redaktionen arbeiten, weiss man spätesten seit Erich Kästner (Vierzehn Tote in Kalkutta). Eine Grossteil der Branche lebt nach wie vor in dem Glauben, dass eine Meldung oder eine Story, deren Unwahrheit nicht oder erst nach Wochen nachgewiesen werden kann, am Ende wahr ist. Doof nur, wenn plötzlich jemand gegen den Strich bürstet.

Apropos Relotius und Brinkbäumer. Der Skandal kommt justament in dem Moment hoch, wo Brinkbäumer den Spiegel endgültig verlasst. Relotius und Brinkbäumer haben sozusagen am gleichen Tag ihr Büro geräumt. Es soll mich nicht wundern, wenn hier noch eine grössere Rechnung mit dem ehemaligen Chefredakteur )und seiner Entourage) offen ist. Da werden demnächst wohl noch einige Köpfe rollen müssen, und die neue Chefredaktion hat dank Relotius das Moment auf ihrer Seite.

Bei dem ganzen Relotius ist leider ein exzellentes Interview von Mario Vargas Llose in der NZZ fast untergegangen. Das möchte ich deswegen einmal auf den digitalen Gabentisch legen:
https://www.nzz.ch/feuilleton/mario-vargas-llosa-kapitalismus-und-sozialismus-werden-eines-ld.1445390
"Alles kann heute Fake sein, Fake-News, Fake-Bilder, Fake-Aussagen – aber an Klassikern in der Literatur wissen Sie, was Sie haben. Die haben schon Jahrzehnte, zuweilen Jahrhunderte überdauert. An diesen Klassikern zerschellen die Fakes! Wenn Sie Tolstoi lesen, lernen Sie so unendlich viel über den Menschen, über seine Widersprüche, seinen Reichtum, seine Komplexität. Sie legen an Sensibilität zu, an Differenzierungsvermögen, an Kritikfähigkeit. Sie entwickeln ein Sensorium für Fakes. Ja, so würde ich das sagen: Kultur ist die beste Verteidigung gegen Fakes und Frivolität."

ppq hat gesagt…

eben das schrub ich doch