Freitag, 1. März 2019

HFC: Hinrichtung mit gezogener Handbremse

Der Rheinländer verliert gern alles, aber nicht den Humor. "Auswärtssieg, Auswärtssieg", skandieren die 50 mit an die Saale gereisten Fans des Russenklubs aus dem Westen, als es 0:2 gegen sie steht. Beim 0:3 dann stimmen sie in den Jubelchor der Gastgeber ein und rufen deren "Chemie!", als hieß ihr Verein noch wie damals, als Uerdingen sich eine mächtige Europacup-Klatsch in Dresden holte, Bayer.

Es ist auch sonst eine komische Begegnung, die mit dem höchsten Sieg des HFC seit dem 6:2 gegen Bremen II im Oktober 2015 enden wird. Nach drei Minuten holt Braydon Manu einen Elfmeter heraus, Bentley Baxter Bahn verwandelt eiskalt. das erste Heimtor des HFC seit Dezember, ein "Bröstlöser", wie Sportreporter sagen würden. Nur zehn Minuten später zahlt sich das neueste Experiment von Trainer Torsten Ziegner aus - Toni Lindenhahn, aus der Abwehr ins offensive Mittelfeld beordert, erobert den Ball, bedient Mathias Fetsch und der trifft endlich mal wieder, hier zum 2:0. Es dauert dann 20 Minuten, und es passiert noch einmal beinahe dasselbe. Wieder eine Kontersituation, provoziert durch frühes Pressing. Wieder ein Ball auf Fetsch. Und wieder trifft der zuletzt so oft so glücklose Mittelstürmer.

Das Seltsame daran ist, wie die Uerdingen, soweit sie auf dem Platz stehen, die Hinrichtung hinnehmen, die sie im Erdgas-Sportpark erleben. Wie katatonisch stellen sich die Osawe, Beister und Aigner den Gastgebern als Aufbaugegner zur Verfügung. Es gelingt kein Pass, selbst Einwürfe gehen schief. Statt zum Mitspieler gespielt zu werden, kullern einfache Bälle ins Seitenaus. Halle hat keine Mühe, das Spiel zu machen, weil überhaupt nur eine Mannschaft versucht, zu spielen. Uerdingen, angetreten, die vielleicht schon letzte Chance zu nutzen, ins Aufstiegsrennen einzugreifen, wirkt wie betäubt. Torwart René Vollath steht in der 45. Minute wie ein Beispiel dafür: Beim Versuch, einen Rückpass weit nach vorn zu schlagen, schafft es der bundesligaerfahreen Keeper, das Leder so über den Spann rutschen zu lassen, dass es seitlich hinter ihm Richtung eigenes Tor fliegt. Nur mit letztem Einsatz kann der 29-Jährige das 0:4 noch verhindern.

Uerdingen hat bis dahin keinen Torschuss auf den Kasten von Kai Eisele zu verzeichnen, keine Strafraumszene und keinen Ballbesitz über mehr als 15 Sekunden.

Beim HFC staunen sie zu der Zeit schon, wie gut sie sind. Zuletzt lief es gar nicht toll. Und nun auf einmal diese Explosion! Doch was die erste Halbzeit nur andeutete, bei der Uerdingen mit dem 0:3 zufriedener in die Kabine gehen kann als die Gastgeber, die den Chancen nach mindestens mit 5:0 führen müssten, fördert die zweite Halbzeit zutage.

Anfangs geht freilich alles noch seinen Gang. Aufgehalten nur vom eigenen Misstrauen in eine Situation, in der ein direkter Verfolger keinerlei Gegenwehr erkennen lässt, erarbeiten sich die Weißen Chance um Chance. Erst schießt Manu am Tor vorbei, statt nach innen auf den freien Sohm zu legen. Dann scheitert Sohm an Vollath, nachdem ihn Manu bedient hat. Washausen schießt drüber. Fetsch köpft vorbei. Wäre nur jede zweite hundertprozentige Chance drin, stünde es in der 60. Minute nicht 3:0, sondern 6:0.

Es ist wie ein Trainingsspiel. Mit einem Riss in der Mitte. Denn während die Mannschaft von Torsten Ziegner unten auf dem Rasen noch daran arbeitet, eines jener wirklich für Ewigkeiten unvergesslichen Spiele in die Geschichtsbücher zu schreiben, beschließt eine fünfte Kolonne von HFC-Hassern, dass nicht nur ein Verein aus dem Norden des Landes dafür zuständig sein kann, die tiefen Taschen des DFB mit mühsam zusammengekratzten Sponsorengeldern zu füllen, die sonst ohnehin nur für Spielergehälter oder Siegprämien ausgegeben würden.

30 Bengalos zünden die auch heute nur von sich selbst begeisterten Kleinkriminellen. nach den aktuellen DFB-Tarifen wird dafür eine Strafe von 10.000 bis 15.000 Euro fällig werden - zusätzlich zu der, die darin besteht, dass alle abseits der vermummten Zündler vor sprachlosem Entsetzen verstummen. Wo eben noch gesungen und gefeiert wurde, Wechselgesänge mit "Chemie" und "Halle" zwischen Fankurve und Gegentribüne, herrscht plötzlich Schweigen unter den knapp 8.000. Und unten auf dem Rasen, wo die Rauchschwaden gerade so dünn sind, dass der Schiedsrichter nicht zwangsweise abbrechen muss, lassen Heyer, Schilk und Landgraf die Uhr minutenlang herunterlaufen, ohne Anstalten zu machen, den Ball woandershin zu spielen als von Landgraf zu Heyer, von Heyer zu Schilk, von Schilk zu Heyer und von dort wieder zu Landgraf.

Konsterniert ob eines offenkundig vollkommen verrückt gewordenen Fanmilieus, das eine Stunde des Triumphes in eine Feier des eigenen Egos verwandelt, koste es, was es wolle. Das für den Gegner zündelt und ihn so von der Schippe springen lässt. Dass nicht an der eigenen Mannschaft INteresse hat, sondern ausschließlich an sich selbst.

Als die Fackeln endlich ausgebrannt sind, kommt keine richtige Fahrt mehr ins Spiel, obwohl Uerdingen nun auch noch das bisschen Widerstand aufgibt, mit dem jeder einzelne Spieler in Blau und Rot bis dahin versucht hatte, wenigstens so zu tun, als spiele er für den KFC und nicht gegen den Trainer, den russischen "Investor" Mikhail Ponomarev oder die chinesische Wettmafia.

Chancen gibt es im Minutentakt, als Moritz Heyer die Gijón-Phase des vorher als "Spitzenspiel" gehandelten Treffens beendet und der HFC wieder beginnt, aufs Uerdinger Tor zu spielen. Aber nichts geht rein. Nicht die Fernschüsse des eingewechselten Guttau. Nicht Manus Versuche, den eigenen Knoten selbst zum Platzen zu bringen. Und auch nicht Pronichevs Heber über Vollath, den Matuschyk noch von der Linie kratzt. Dank der Uerdinger Arbeitsverweigerung ist bei Vollath Tag der offenen Tür. Aber es braucht dann eben doch einen an Sohm verwirkten Elfmeter, damit Baxter Bahn wenigstens noch das 4:0 erzielen kann. Das klingt zumindest von weitem, als habe der HFC sich hier mit Kampfgeist und spielerischer Klasse ein tolles Resultat erkämpft.

Die bittere Wahrheit aber ist, dass ein Abend wie dieser so schnell nicht wiederkommen wird. Und dieser hier ohne Borderline-Fans mit einem Hang zur Selbstbestrafung und mit ein wenig mehr Konzentration beim Abschluss nicht nur einfach ein toller gewesen wäre, sondern ein denkwürdiger  hätte sein können, der die vielen Kinder, die dieses Flutlichtspiel an der Hand ihrer Väter gesehen haben, vielleicht dazu gebracht hätten, vor dem nächsten Heimspiel zu sagen: "Papa, gehen wir heute wieder zum HFC? Ohh, komm, los, bitte!"




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