Donnerstag, 25. April 2019

EU: Setzen und losen - diese andere Art von Demokratie

One man, one vote: Allein Ostdeutschland stünden nach dem in der EU zum Glück nicht geltenden Prinzip 160 EU-Abgeordnete zu.

Sechs Abgeordnete vertreten im europäischen Parlament die Interessen des kleinen Luxemburg, das mit nur knapp 600.000 Einwohnern nicht viel mehr ist als ein Fantasiemonarchie, die ihre Existenz einer lange zurückliegenden Stammbaumkrise in den Niederlanden und dem späteren Bedarf des weltweit vagabundierenden Großkapitals nach möglichst regellosen Oasen verdankt. Ostdeutschland, zum Vergleich, hat nach Jahrzehnten nie versiegender Abwanderung noch 16,2 Millionen Einwohner. Und gerademal 21 EU-Abgeordnete.

Mit anderen Worten: Wäre Ostdeutschland Luxemburg und die EU eine Demokratie, in der die urdemokratische Formel des "One Man, one Vote" gülte,  ständen ihm nach Luxemburger Schlüssel sagenhafte 160 EU-Abgeordnete zu.

Ein Ding der Unmöglichkeit, denn 500 Millionen Europäer würden dann von etwa 5.000 Abgeordneten vertreten statt wie bisher von nur 766, die mit Hilfe von mehr als 6.000 Mitarbeitern beraten und beschließen. Mit unübersehbaren Folgen: Das neue, urdemokratische 5000er Parlament hätte beim selben Personalschlüssel fast 40.000 Angestellte, statt knapper zwei Milliarden Euro müssten sich die EU-Bürger ihre Vertretung dann etwa zwölf Milliarden kosten lassen. Das entspräche nicht mehr- wie bisher - etwa einem Prozent des Gesamtbudgets der Gemeinschaft. Sondern mehr als sieben.

Das wäre noch einmal doppelt so viel wie der deutsche Bundestag kostet, der wegen der vom Verfassungsgericht geforderten, von den Parteien aber seit Jahren hartnäckig verweigerten Wahlrechtsreform eine verfassungswidrige Übergröße von mehr als 700 Parlamentariern erreicht hat, die der Steuerzahler jedes Jahr mit nahezu einer Milliarde Euro finanzieren muss.

Das EU-Parlament, das Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung wohlwollend als "einzige direkt gewählte supranationale Institution der Welt" beschrieben hat, die er bestaunte weil sie "zugleich das einzige demokratische Parlament weltweit" sei, "das massiv an Zustimmung verliert", ist nun aufgrund seiner  Bauart weder demokratisch noch günstig, weder von der Gesamtheit der Europäer mit jeweils gleichem Stimmengewicht legitimiert noch selbst in der Lage, an dieser Situation etwas zu ändern: Ein maltesischer Abgeordneter vertritt 67.000 Wahlberechtigte, sein deutsche Kollege 855.000, also mehr als zwölf Mal so viele. Wer in Malta lebt, dessen Stimme schallt in Europa zwölfmal lauter als die eines Wählers aus Pirmasens.

Die EU, nie verlegen, ihre antidemokratischen Regeln als hehre Grundsätze auszugeben, nennt diese Aushebelung der Wahlgleichheit, die nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Voraussetzung ist für eine demokratische Wahl, "degressive Proportionalität". Ehrlicher wäre es, von Setzen und Losen zu sprechen, denn das ist es, was die degressive Demokratur ausmacht, in der ein Klassenwahlrecht nach nationalstaatlicher Herkunft regiert.

Rechtlich selbstverständlich abgesichert. Eingedenkt des zutiefst undemokratischen Charakters dieser vermeintlichen "Wahl" ist in der "Charta der Grundrechte der Europäischen Union" nicht von einer "gleichen", sondern ausschließlich von einer "allgemeinen, unmittelbaren, freien und geheimen Wahl" die Rede.

Ein Geburtsfehler der Gemeinschaft, der sich nicht mehr kurieren lässt. Kehrte Europa zurück zum alten demokratischen Brauch, dass jede Stimme gleich viel Gewicht haben muss, hätte Luxemburg am Tag nach der Wahl keinen einzigen Abgeordneten mehr im EU-Parlament. Genauso ginge es Malta und Zypern, Estland, Lettland, Slowenien. All die ohnehin peripheren Kleinstaaten, sie wären nicht mehr wie heute mit sieben, acht oder dreizehn Abgeordneten vertreten. Sondern nur noch mit einem oder zweien oder gar nicht, weiße Flecke auf der Europakarte, dominiert von Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien, untergebuttert und unsichtbar, nicht mehr beteiligt an Entscheidungen und damit auch offiziell reduziert zu bloßen Anhängseln der großen Kernstaaten.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Der ehrwürdige Blogwart, so scheint es, meint Mitteldeutschland, so er von Ostdeutschland spricht.

ppq hat gesagt…

in der tat. das vormalige ostdeutschland hat ja seine eigenen abgeordneten. etwas weniger degressiv proportional

Hase, Du bleibst hier ... hat gesagt…

Demnach gibt es keine Ossis, nur Wessis und Mittis. Yo, die Jacke zieh ich mir auch noch an, gleich über Opas Naziledermantel, ist kalt in Dunkel - ÄÄHHH sorry - Mitteldeutschland.