Samstag, 14. Dezember 2019

HFC: Hinrichtung im eigenen Heim

Terrence Boyd Hallescher FC
Und schon steht es 0:2: Nach einem Freistoß beobachtet Terrence Boyd interessiert, ob Torwart Eisele den Kopfball noch abwehren kann.
Von einer "technischen Störung" spricht der Stadionsprecher im einstigen Kurt-Wabbel-Stadion, als für die 6500 auf den Rängen der heutigen Erdgas-Arena längst nicht mehr zu übersehen ist, dass das unten viel Schlimmeres passiert. Zwei Wochen nach dem Heimspiel gegen den damaligen Liga-Spitzenreiter Duisburg, das ein Sonntagsschuss von Terrence Boyd in einem späten Triumph der Mannschaft von Trainer Torsten Ziegner verwandelt hatte, findet auf dem altehrwürigen Rasen eine Vorstellung statt, die nichts mehr zu tun hat mit den Gala-Auftritten, mit denen der Hallesche FC Freund und Feind im Sommer und im Herbst begeistert hatte.

Stückwerk, Ahnungs- und Hilflosigkeit, spielerische Defizite und Temponachteile, körperliche Mängel und unglückliche Entscheidungen prägen eine Begegnung, die in die Annalen eingehen wird: 2012 schluckten die Hallenser mal fünf Gegentore, allerdings auswärts in Saarbrücken. Heute steht am Ende ein 2:5 auf der Anzeigetafel. Und die brutale Wahrheit: Das Ergebnis geht in Ordnung, ja, es fällt womöglich sogar um ein, zwei Gegentreffer zu gnädig aus.

Denn was da die roten Dresse zu Grabe trägt, ist nicht mehr die verschworene Elf mit dem gelegentlich magischen Offensivspiel, die Halle Hoffnung gemacht hatte, nach fast 30 Jahren wieder in die 2. Bundesliga zurückkehren zu dürfen. Stattdessen wackelt da eine Ansammlung von Spielern über den Platz, die alles vermissen lässt, was modernen Fußball ausmacht. Taktisch gab es statt Dreier- eine Viererkette, die mit Niklas Kastenhofer und dem genesenen Patrick Göbel auf Positionen umbesetzt ist. Davor war neben Björn Jopek auch Toni Lindenhahn, wieder hineinrotiert in die erste Elf. Neben dem gesperrten Sebastian Mai müssen dafür auch Dennis Mast, Florian Hansch und Jonas Nietfeld weichen. Ziegner sucht immer noch nach seiner Elf, das ist unverkennbar. Und auch heute findet er sie nicht. Denn Würzburg bestimmt von beginn an das Spiel in Halle. Die Kickers, zuletzt mit einem Sieg gegen die anfangs auch mal recht hochgehandelten Spieler von Viktoria Köln, kombinieren geradelinig und einfallsreich.Durch Patrick Sontheimer haben sie dann auch den ersten, wenn auch ungefährlichen Abschluss der Partie. Der HFC findet dagegen trotz neuem Personal und neuer Formation nicht in die Partie. Als hätte man die Supermannschaft des ertsen Saisondrittels gegen Kicker aus der vierten Liga ausgetauscht, laufen die Roten den Gästen fast nur hinterher.

Gegen den Gast aus Würzburg, angereist als Tabellen-13., gelingt gar nichts. Den grellgelben Gästen dagegen alles. In der 48 Sekunde des Spieles haben die ihre erste Ecke, nach zehn Minuten erst verlässt der HFC zum ersten Mal seine eigene Hälfte. Nach 15 Minuten muss HFC-Kepper Kai Eisele zum ersten Mal hinter sich greifen. Und während der HFC eine Gelbe Karte nach der anderen sammelt, dabei aber nur einziges Mal aufs Würzburger Tor schießt, gelingt Schuppan nach einem Freistoß von rechts, der gefühlte zwei Jahre in der Luft ist, ein Kopfball zum 0:2 wie im Training. Kein Gegenspieler weit und breit, niemand, der überhaupt damit gerechnet zu haben scheint, dass nach Freistößen aufs Tor Verteidigungsbedarf besteht.

Wer vermutet, dass in dieser Szene kein Würzburger Torjubel zu hören gewesen wäre, müsste HFC-Abwehrchef Sebastian Mai nicht seine fünfte Gelbe absitzen, liegt wahrscheinlich richtig. Doch dann wäre die Hinrichtung im eigenen Haus, die in den 60 weiteren Minuten folgt, vermutlich einmal mehr verklärt und wegrelativiert worden.

So kommt es brutalstmöglich: Die neue HFC-Abwehrformation mit Göbel, Kastenhofer, Vollert und Landgraf schafft es nur mit großer Mühe, die unablässig auf Eiseles Kasten brandenden Kombinationsläufe der Unterfranken zu stoppen, weil die Mittelfeldspiele davor stets und ständig am Ball vorbeistürzen und bei eigenem Ballbesitz schon nach zwei, drei Abspielen wieder hinterherlaufen. Boyd und Sohm im HFC-Sturm hängen in der Luft, allerfalls lange Segelbälle kommen überhaupt in die Regionen, in denen sie stehen. Auf der anderen Seite wird Göbel in der 37. Minute vernascht und Eisele verladen. Aus Nahdistanz schießt Vrenezi ins lange Eck und trifft zum 0:3.

Die ersten pfeiffen, andere gehen gleich. Jetzt fehlt einer wie Toni Lindenhahn, der schon mal fast im Alleingang bewiesen hatte, was mit einer Mannschaft eigentlich möglich wäre, bestände sie denn aus elf oder doch wenigstens sieben Lindenhahns. TL6 kam seinerzeit auf dem Platz, und auf einmal bewegte sich dort etwas. Der Mann mit der 6, damals gerade erst mit einem neuen Vertrag für drei Jahre ausgestattet, zeigte eine Körpersprache, die sich von der seiner Mitspieler unterschied wie die eines Boxers von der eines Curlers. Lindenhahn ruderte und rannte, er fightete und sprang. Immer wieder feuerte seine Nebenleute an, Männer, bei denen sich die Bezeichnung "Mitspieler" bis dahin weitgehend verboten hatte.

Und siehe da: Als hätte der 27-Jährige bislang fehlende Komponente ins HFC-Spiel gemischt, wachten die Gastgeber damals spürbar auf. Ohne allerdings Zählbares zu produzieren. Ganz im Gegenteil: Das höhere Risiko, hinten nur noch mit zwei Mann zu stehen und die beiden Außenverteidiger weiter nach vorn zuziehen, spielte Würzburg in die Karten. Erst war es der damals noch für den Gegner auflaufende Sohn Dennis Mast, der Tobias Schilk übertölpelte, so dass der Pfosten gegen den Schuss des freistehenden Baumann für Schnitzler retten musste. Dann musste Tobias Müller in höchster Not einen Schuss vom selben Absender blocken.

Heute tut sich kaum etwas in dieser Art. Torsten Ziegner reagiert und tauscht den unterirdischen Landgraf und den gleich zu Anfang des Spieles mit einem Tritt beschädigten Jopek gegen Nietfeld und Guttau. Ein bisschen Glück kommt auch noch dazu. Nach einem Freistoß von rechts großes Gestochere im Fünfer, Vollert hebt vom langen Pfosten zu Boyd, Kickers-Torwart Müller wehrt ab, aber Sohm verwandelt den Abpraller per Kopf zum 1:3.

Geht da noch was? Und was? Immer wieder hat es in Halle kleine Fußballwunder gegeben, wenn auch nicht immer für die Heimelf. Stückwerk, Ahnungs- und Hilflosigkeit, spielerische Defizite und Temponachteile, körperliche Mängel und unglückliche Entscheidungen prägen eine Begegnung, die in die Annalen eingehen wird: Denn was da die roten Dresse zu Grabe trägt, ist nicht mehr die verschworene Elf mit dem gelegentlich magischen Offensivspiel, die Halle Hoffnung gemacht hatte, nach fast 30 Jahren wieder in die 2. Bundesliga zurückkehren zu dürfen. Stattdessen wackelt da eine Ansammlung von Spielern über den Platz, die alles vermissen lässt, was modernen Fußball ausmacht.

Aber irgendwas hat Ziegner in der Kabine gesagt, denn nach wenigen Minuten Anlaufzeit verwandelt sich der HFC nach Wiederanpfiff für ein paar Minuten zurück in die Elf, die hier bis zum verhängnisvollen 3:3 gegen Meppen wirbelte und tanzte, dass es eine wahre Freude war. Halle drängt jetzt, ohne zu glänzen, aber das Anämische, Tote und Vergrippte der ersten Hälfte ist fast völlig verschwunden. Und der Erfolg greifbar: Erst köpft Terrence Boyd so schwungvoll aufs Tor von Müller, dass der alles geben muss, um den Ball noch über die Latte zu lenken. Dann zieht der HFC-Sturmführer von der Strafraumgrenze ab und trifft direkt. Die Latte.

1:3 weiter statt 3:3 und genau besehen war es das auch. Denn kommt die 66. Minute und mit ihr kommt Vrenezi und frei zum Schuss. Und schon steht es 1:4 und die Älteren fühlen sich an Zeiten erinnert, als der HFC bei Lok Leipzig acht Gegentreffer fraß oder von Magdeburg fünf Gegentreffer eingeschenkt bekam.

HFC Elfmeter Würzburg
Bentley Baxter Bahn trifft zum 2:5 für den HFC.
Es ist jetzt der Abriss aller Aufstiegsambitionen mitten im Advent, eine Hinrichtung in der heiligen Zeit, die eine Wunde schlägt, die Halle noch lange wird lecken müssen. So spielt kein Aufsteiger, so spielt ein Absteiger, um diese Mannschaft besser zu machen, braucht es nicht zwei, sondern sechs, sieben oder acht neue Leute. Wie sie da unten herumirren, bar jeder Taktik, können einem die Lindenhahn, Papadoloulos, Sohm und Bahn leid tun. Immer zu spät, die Pässe regelmäßig ins Aus, die Köpfe unten, die gegenseitigen Aufmunterungen nur ein leeres Ritual, an das weder der Aufmunternde noch der Aufgemunterte noch glaubt.

Hier spielt der Tabellen-14. der Formtabelle der 3. Liga, eine Mannschaft, die im vergangenen Spieljahr zur selben Zeit der Saison bereits zwei Punkte mehr auf dem Konto hatte, trotzdem aber nicht aufgestiegen ist. Dafür stieg der damalige Tabellenletzte aus Ahlen mit genau den 31 Punkten ab, die der HFC bislang zusammengebracht hat.

Es fällt dann noch das 1:5, nach einem Spielzug, der daran erinnert, wie leicht ein heißes Messer durch Butter gleitet. Bahn darf nach einem Handspiel noch einen Elfmeter zum 2:5 verwandeln. Danach ist es endlich vorüber.

Nächste Woche kommt Uerdingen, wo Halle das erste Saisonspiel dominiert und doch unglücklich verloren hatte. Die Oligarchenelf ist seit fünf Spielen ungeschlagen, der HFC jetzt seit zwei Spielen ohne Punktgewinn. Werden drei draus, wäre die Saison vermutlich schon vor dem Weihnachtsfest gelaufen.  Michael Schiele, der Würzburger Trainer, sagt später "Wir haben den Gegner durch Pressing von unserem Tor weggehalten. Hätte auch 8:3 ausgehen können. War richtig geil, was wir heute gezeigt haben. Überrascht war ich aber nicht, ich weiß, was die Jungs auf dem Kasten haben." Torsten Ziegner , sein sichtlich ratloser Kollege aus Halle, staunt darüber, wie seine Mannschaft "in den ersten 30 Minuten alles Negative erlebte, was man erleben kann. "Alles, was wir getan haben, war verkehrt. Wenn das alles zusammenkommt, verliert man ein Spiel."

Er habe versucht, durch seine Wechsel zu korrigieren, das habe auch "einen Schwung" gegeben. "Hat aber nicht gereicht, um das Spiel noch zu drehen", fragt sich der in Halle fast schon gottgleich verehrte Trainer. Es hat nicht sollen sein, ist ist nicht gegangen, hat nicht geklappt. Doch Ziegner, ein Optimist von Haus aus, sieht auch das Positive. "Bei aller Schlechtheit haben wir aber nie aufgegeben."

Geschlagen und mit gesenkten Köpfen: Terrence Boyd trommelte die HFC-Elf nach dem Spiel zusammen und beorderte sie in die Fankurve.

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