Samstag, 24. April 2021

Olaf Scholz: Das Private ist politisch

Gleich geht es weiter mit der Ostoffensive der SPD. Hieß es im Februar 2019.

Es war der dunkle Februar im Jahr 2019, als die deutsche Sozialdemokratie gen Osten ritt. Es lief nicht gut, damals, obgleich die SPD so viel Gutes getan hatte für alle, die der Hilfe und Handreichung von Parteichefin Andrea Nahles, ihrem Mitstreiter Martin Schulz und Olaf Scholz, dem ewigen Anker der Partei bedürftig waren. 

Mit einem Zehn-Punkte-Plan ging die Chefetage der seinerzeit in Umfragen noch mit nahe 18 Prozent notierten ältesten deutschen Partei in den Wahlkampf zur sogenannten Europa-Wahl. Optimistisch wie stets: "Jetzt ist unsere Zeit: Aufarbeitung, Anerkennung und Aufbruch" nannte der Parteivorstand ein Papier, das seinen Titel von Barack Obama gestohlen hatte und allen alles versprach, vor allem in den unbekannten Landen drüben jenseits der Elblinie, wo nach der wackeren Nahkampfgestalt Sigmar Gabriel nie mehr ein Sozialdemokrat gekommen war.

Europa im Osten retten

Den Osten erobern, um Europa zu retten, das war der Plan, der zumindest in den Medien mehrere Momente lang hervorragend ankam. In Bautzen, Saalfeld und im ganzen Vogtland war man, soweit dort "Spiegel", "Vorwärts", SZ und Taz gelesen werden, zumindest mit Recht stolz darauf, dass die SPD nun befunden hatte, man dürfe dort in den tiefen Wäldern, in den kleinen Dörfern und verfallenen Städten an der Straße der Gewalt, "stolz" darauf sein, "eine große Leistung vollbracht" zu haben, damals, zu Wendezeiten, wie es Egon Krenz nennt.

Eine rasante Fahrt auf dem Propagandakarussell, die "Ungerechtigkeiten zwischen Ost und West" vorbeiflirren ließ wie ein Daumenkino. Zwölf Spiegelstriche für die Eroberung der DDR aber reichten nicht: Wenig später schleuderte es Andreas Nahles auf einen Verwaltungsposten bei der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation (BAnstPT). Katarina Barley schaffte es nach Brüssel, Martin Schulz zündete in einer Hinterbank eine Kerze. Führung der Restpartei ging an zwei Genossinnen, die bis heute weitgehend unbekannt blieben. Nur Olaf Scholz, der Finanzminister, hielt seine Stellung - für sich, für alle, für den Osten.

Hauptstadtnah verwurzelt

Dort ist der Hamburger heute ebenso fest verwurzelt wie Annalena Baerbock, seine grüne Kanzlerkandidatinnenkonkurrentin, die wie der gebürtige Osnabrücker beschlossen hat, im schönen Brandenburg zur Wahl anzutreten. Im selben Wahlkreis wie Scholz, der die hauptstadtnahe Lage in pendlerfreundlicher Entfernung zur Herzkammer der deutschen Demokratie ebenso zu schätzen weiß wie die grüne Reformatorin. Dass die beiden Westdeutschen in den Osten gegangen sind, um dort als Vertreter der Ostdeutschen Politik zu machen, ist eine deutliche Willkommensgeste: Etwa jeder vierte der Bundestagsabgeordneten der ehemals fünf neuen Länder ist in den alten Ländern geboren, sich hier anzusiedeln, "unter Leuten" (Juli Zeh), deren demokratischer Grundausbildung noch kaum zu trauen ist, ist eine demokratisierende Tat, die weit ins Private der Pioniere ausstrahlt.

Das Private ist politisch

Doch gerade Olaf Scholz ist einer, der im Beruflichen kaum zwischen Profession und Privatleben trennt. Als der Finanzminister jetzt vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss aussagte, offenbarte der SPD-Wahlkämpfer auf die Frage nach seiner Kommunikation in Sachen deutsches Enron, er lösche seine "privaten Emails und SMS regelmäßig". Kein großes Ding, schon gar nicht so groß wie damals bei Hillary Clinton,  eher noch kleiner als bei Ursula von der Leyen, die vor ihren alten Handys nach Brüssel hatte flüchten müssen.  Regeln, die festlegen, wann deutsche Regierungsmitglieder ihre dienstlichen Mailaccounts nutzen müssen und wann es erlaubt ist, über private Anbieter zu kommunizieren, kenne er gar nicht, hat Scholz auf Nachfrage eingeräumt.

Ein Bruch mit allen Anti-Stress-Verordnungsforderungen des DGB, der die dienstliche Verfügbarkeit rund um die Uhr selbst für Ostdeutsche ablehnt. Doch bei Olaf Scholz ist das Private so politisch wie das Programmatische historisch. Seit Jahren schon hat kein Mensch, aber auch kein SPD-Mitglied je wieder von "Jetzt ist unsere Zeit" und den großen Plänen der zweitgrößten deutschen Partei für die Demokratisierung der dunkeldeutschen Bundesgebiete gehört, alle Bemühungen, "mit Missverständnissen zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen aufzuräumen" und "Gespräche über die vielen Brüche, die Familien in den 90er Jahren erlebt haben, ehrlich und einander zugewandt" zu führen, "um den Osten Deutschlands zur Innovationsschmiede zu machen", sind erst eingeschlafen und schließlich einen stillen Tod gestorben.

"Jetzt ist unsere Zeit"

Olaf Scholz, der Letzte aus der alten SPD-Führung, die vor zwei Jahren gen Osten hatte reiten wollen, erinnert sich an das Ostprogramm so wenig wie an Wirecard. Doch es ist ein strategisches Vergessen, das der Finanzminister pflegt: Was niemand mehr weiß, man keinen mehr heiß. 

Selbst das "Ost-West-Kulturzentrum in einer mittelgroßen Stadt in Ostdeutschland", das der SPD-Vorstand bis zum Jahrestag der Deutschen Einheit im Oktober 2019 hatte errichten wollen, um "ein Zeichen zu setzen für einen gesamtgesellschaftlichen Dialog", ist bis heute vom politischen Phantom zum unsichtbaren Gespenst geworden, von dem selbst die Mitglieder des aktuellen SPD-Vorstandes nicht würden sagen können, wie jener "neue Leuchtturm des Dialogs" (SPD) , genau als "offener Ort der ständigen Begegnung, der Erinnerung, des Nachdenkens und der Debatte zu allen Fragen der zukünftigen Entwicklung Ostdeutschlands innerhalb der Bundesrepublik und im Kontext Europas, vor allem auch Osteuropas" hatte funktionieren sollen.


1 Kommentar:

Privatier hat gesagt…

Das Private ist in jeder Demokratur, die als beste aller in Detscheland auch noch stolz auf sich ist, selbstverständlich auch politisch.

Die Weiter-so-Einzeller werden sich trotz massiv sich bereichernder Importkriminalität in ihren neuen Gesundheitssicherungszellen also sicher fühlen und bald auch pudelwohl, wie es sich für stubenrein dressierte Haustiere geziemt, wenn Frauchen Mutti Gehorsam fordert. Es ist zukünftig also nicht etwa mit weiteren Satireentgleisungen zu rechnen, sondern mit tosendem Applaus für die lebensrettenden Maßnahmen der allweisen Regierung zum Schutz ihrer Untertanen.

Olaf Scholz konnte seine besonderen Herrscher-Fähigkeiten ja bereits beim G20-Gipfel in Hamburg beeindruckend unter Beweis stellen. Vermutlich verdankt er dieser resoluten Machtdemonstration seine weitere Karriere bis in die Ministerloge.