Montag, 26. Dezember 2022

Der Sparfuchs spricht: Lieber weniger, dafür aber mehr

Klimaminister Robert Habeck hat den deutschen Ausstiegspfad bereits klar umrissen.
Die russischen Pipelines sind Vergangenheit, Erdgas wird in Deutschland künftig kaum noch gebraucht werden. Besser spät als nie, sagen Samuela Senftenberger und Taddeus Ponkt von der Denkfabrik Sparfuchs, einer Ausgründung aus dem bundesweit bekannten Climate Watch Institut (CLW) im sächsischen Grimma. Die beiden Soziologen und Volkskundler schlagen vor, dass Deutschland seinen Gasverbrauch dauerhaft reduziert, um nicht in alte Abhängigkeiten zurückzufallen. "Das muss ohnehin passieren, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen", sagt Ponkt. Damit schlage man zwei oder drei Fliegen mit einer Klappe: "Das nützt dem Klima, spart Geld und stärkt das deutsche Ansehen in der Welt."

Die Sparfüchse aus Sachsen ziehen die Perspektive weit über die aktuelle Heizperiode hinaus. "Wir reden nicht von einer zweijährigen Krise, sondern von einem Dauerzustand", sagt Senftenberger. Die aktuelle Energieknappheit würden der Menschheit bis zum Ende aller Tage erhalten bleiben. "Deshalb sollten wir uns fragen: Wäre es nicht rentabler, wenn wir Energie wieder mehr wertschätzen lernen?" Beide sind überzeugt, dass ein Leben jenseits der Verschwendung durch überheizte Wohnungen, Duschorgien, Wannenbäder und täglicher Körperhygiene möglich und nötig ist. "Lieber weniger, aber davon mehr", betont Taddeus Ponkt: Ob Russengas oder Freiheitsenergie, was heute nicht verheizt werde, bleibe künftigen Generationen erhalten. "Der globale Markt vergisst nicht."

PPQ: Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine werden in Deutschland derzeit sechs schwimmende Terminals für Flüssiggas (LNG) realisiert, später sollen drei weitere an Land folgen. Sie finden das übertrieben und hätten es lieber gesehen, wenn die Ampel das problem anders gelöst hätte?

Taddeus Ponkt: Wir sehen doch, dass Erdgasversorgung kein Weg ist. Gebraucht wird es vor allem in der Industrie und beim Wohnen, in beiden Bereichen war schon mit den Energieausstiegsbeschlüssen von Schwarz-Rot klar, dass wir den Verbrauch dort bis 2020 um 30 bis 40 Prozent senken, um unsere Klimaziele zu erfüllen. Warum also sollen jetzt versuchen, mit Milliardenaufwand neue Versorgungsquellen zu erschließen? Um den Ausstieg kommen wir ja doch nicht herum. Dass die Energiepreisbremse im Zusammenspiel mit den steil gestiegenen Preisen es Endverbrauchern unter bestimmten Bedingungen sogar ermöglichen, von Preiserhöhungen für Strom und Gas zu profitieren, wie es das ZDF mal in einer wissenschaftlichen Berechnung versprochen hatte, glaubt doch heute niemand mehr. Die Preisbremsen, so gut sie gemeint sind, machen Bürgerinnen und Bürger nicht so reich wie es früher fleißige Arbeit, Lottoglück oder das nahezu steuerfreie Erben von Oma ihr klein' Häuschen getan haben. Daraus ergibt sich ein gewisser Druck auf Veränderungen anderer Potenziale.

PPQ: Die Bundesregierung verweist auf die Versorgungssicherheit und im Moment auch auf dei Außentemperaturen, die Menschen zu Heizen förmlich zwingen.

Samuela Senftenberger: Die Bundesregierung macht es sich bequem, indem sie allem Ärger aus dem Weg geht, weil sie die notwendigen Einsparungen immer weiter nach hinten schiebt. Da verhindert Proteste der heute hier Lebenden, zumal, wenn man expressiven Verkauf auch noch mit staatlichen Mitteln für alle durchfinanziert. Dabei wäre jetzt die Gelegenheit, rasch und nachhaltig umzusteuern. Die Gaspreise sind so hoch, dass viele sie dauerhaft ohnehin nicht zahlen werden können. Die EU tut alles, um sie weiter hoch zu halten, damit auch die übrigen Bürgerinnen und Bürger ihren privaten Energieausstieg vollziehen. Wir reden nicht von einer zweijährigen Krise und dann ist wieder alles gut, sondern von einem andauernden Zusammenbruch über die nächsten zehn, 20 oder 100 Jahre. Wir müssen also heute sparen, damit wir morgen besser leben können.

PPQ: Aber mit irgendetwas müssen wir doch heizen, Strom herstellen und Waren und Güter transportieren?

Taddeus Ponkt: Russland hat ungefähr die Hälfte der deutschen Erdgasimporte ausgemacht. Es gibt aber auch Importe aus Norwegen oder den Benelux-Staaten, die schon länger LNG-Terminals haben. Ziel muss es sein, sie alle nach und nach herunterzufahren. Norwegen zum Beispiel gilt als Öko-Vorzeigeland, aber wie es es dazu geworden? Durch den Verkauf von Öl und Gas, Investitionen in zum Teil unethische Großkonzerne und einen Wohlstandsausbau, der das Land zu einem der Hauptziele der Migration weltweit machen würde, hätte es sich nicht streng abgeschottet. Unser Weg kann also nicht sein, die weggefallenen Importe zu ersetzen. Wenn wir zu stark in Richtung neuer Importe gehen, stärken wir nur fossile Regime wie Norwegen. Wir müssen den Verbrauch senken, am besten auf Null. Nach aktuellen Zahlen spart uns das 124 Milliarden jährlich, die wir dann für mehr Bildung, mehr Sicherheit und besseren ÖPNV ausgeben können. 

PPQ: Vielleicht erklären Sie einmal, wie das funktionieren soll, so ganz ohne Energie?

Samuela Senftenberger: Es geht um eine Kombination aus Häuserdämmung, Daunenjacken, alternativen Heizmethoden und smarter Bedarfssteuerung. Vor dem Krieg hat Deutschland etwa 18 Milliarden Euro im Jahr für Erdgasimporte bezahlt, derzeit sein des über 100 Millionen. Eine Familie, die im Jahr 20.000 Kilowattstunden zum Heizen verbraucht, muss bis zum Ende des Jahrzehnts jedes Jahr 1.300 Euro mehr zahlen, oder aber sie entschließt sich, unserem Plan zu folgen und entsprechend zu sparen. Die Gasrechnungen werden also bis 2030 doppelt so hoch bleiben. Dann spart sie übrigens nicht nur die 1.300 Euro, sondern doppelt so viel.

PPQ: Um den Preis, ständig zu frieren?

Samuela Senftenberger: Wir haben in unserem Klima-Labor in Grimma nachgestellt, wie der Mensch mit anhaltend frischen ´Temperaturen umgeht. Das ist im Grunde genommen kein Problem, das zeigen auch Aufzeichnungen von Völkerkundlern am Polarkreis. Es gibt kein kaltes Wetter, nur unangepasste Kleidung. Durch den russischen Wegfall wurde dem Weltmarkt eine große Menge Gas entzogen, das nun glücklicherweise anderswo klimawirksam wird. Uns verschafft das die Chance, eine neuen Umgang mit niedrigeren Temperaturen zu erlernen. Die Samen zeigen, was da möglich ist.

PPQ: Sie reden einer Lösung das Wort, die den Zustand, wie er jetzt ist, akzeptiert und darauf dringt, ihn beizubehalten?

Taddeus Ponkt: Das ist richtig. Wir wissen zwar, dass das Gas, das Russland nicht mehr nach Europa verkauft, letztenendes woanders verbraucht werden wird, so dass der Schaden den Russland durch die Sanktionen erleidet, ebenso überschaubar bleibt wie der Nutzen, den das Klima aus dem deutschen Energieausstieg zieht. Aber wenn wir jetzt stark bleiben und nicht nur auf Gas, sondern auch auf Öl und Kohle zu verzichten lernen, dann zeigt das der gesamten Welt, das sich die 155 Milliarden Kubikmeter Gas, die Deutschland noch 2021 aus Russland bezog, ersatzlos einsparen lassen. Niemand wird dann noch eine teure Infrastruktur aufbauen, um teure Energieträger einzukaufen, wenn es auch ohne geht.

PPQ: Aber eine Lösung für Mobilität, normales Wohnen und selbst Arbeit in Behörden und Denkfabriken ist das doch nicht. Der Fall Renate Künast zeigt doch schon, wie schwer es selbst gutwilligen Menschen fällt, mit nur etwas tieferen Temperaturen zu leben.

Taddeus Ponkt: Wir setzen da auf die Resilienz einer nachwachsenden Generation. Die Klimakinder von Fridays for Future haben schon gezeigt, wie willig sie sind, auch Beschwernisse in Kauf zu nehmen, um das Klima zu retten. Greta Thunberg saß bei ihren ersten Streiks mitten im Winter auf dem blanken Beton! Um den deutschen Energieausstieg voranzutreiben, werden wir Klimaschulen brauchen, die mit Eistrainings, Winter-Anpassungskunde und speziellen Aufwärmungsübungen zeigen, wie wir umgehen lernen können mit einer Welt ohne Wärme, also wenigstens während des europäischen Winters. So lange es ihn noch gibt zum Glück nur, denn wie wir alle Wissen, sind die Zeiten, in denen es Winter früher gab, mit Frost und Schnee und wochenlanger Kälte mittlerweile weitgehend vorbei. Bis zur Mitte des Jahrhunderts werden sich viele Fragen,m die wir uns heute noch stellen, wie soll ich heizen, wie dämme ich besser, die werden sich nicht mehr stellen. Nur bis dahin müssen wir als Menschheit eben überleben.

Samuela Senftenberger: Wir Forscher sind überzeugt, dass das alternativlos ist. Wir können das günstige russische Pipelinegas nicht dauerhaft durch extrem teure LNG-Importe ersetzen und damit Waren produzieren, die beim Export genug Gewinn abwerfen, um aus den Erlösen unsere Rechnungen bei den Gasstaaten zu bezahlen. In Deutschland drohte daher selbst im besten Szenario eine De-Industrialisierung, Haushalten wird gleichzeitig durch den staatlichen Gaspreisdeckel beim Doppelten der bisherigen Tarife ein großer Teil des Wohlstandes abgesaugt. Wollen wir das? Können wir das wollen? Nein. Unsere Lösung liegt im Verzicht, in drastische Einsparungen überall bis herunter auf Null. Dann würde Deutschland die neue Gasimportinfrastruktur nicht mehr benötigen, wir wären autarkt und unabhängig. Und das muss das Ziel sein.

PPQ: Was soll denn dann aber mit den gerade neu aufgebauten LNG-Kapazitäten geschehen?

Samuela Senftenberger: Da gibt es nur einen Weg, gerade weil uns natürlich immer auch die Gefahr droht, dass herauskommt, wie viel russisches Flüssiggas über diesen Weg hereinströmt. Europa hat seine LNG-Importe aus Russland seit Januar um 50 Prozent gesteigert, das hat geholfen, die Speicherziele zu erreichen, würde aber natürlich ein ganz schlechtes Licht auf das Sanktionsregiment und dessen Sinnhaftigkeit werden, würde es öffentlich. Ein Konzept der Bundesregierung mit einem klaren Ausstiegskorridor würde helfen, eine Perspektive aufzuzeigen, an der sich dann wie beim Atomausstieg alle Staaten der Welt orientieren könnten. Das fehlt im Moment noch so ein bisschen. 

Taddeus Ponkt: Statt in neue fossile Infrastrukturen zu investieren und sich für das Tempo zu loben, mit der man das schafft, Stichwort "neue Deutschlandgeschwindigkeit", sollte lieber mit demselben Eifer aus der Braunkohle und der Gasverstromung, aus Kernenergie und fossil getriebener Mobilität ausgestiegen werden. Wer, wenn nicht Deutschland, kann vormachen, wie ein Industriestaat erneuerbar wird, mit Solaranlagen, Windkraft und Speichern und bis 2030 mindestens 30 Prozent der Landesfläche, die unter Naturschutz stehen, wie es die neuen Artenschutzvereinbarungen vorsehen? Ich sehe niemanden anders, der sich das zutraut.


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