Mittwoch, 17. April 2024

Abgesagter Ehrenschutz: Tor zur Hölle von Hetze und Hass

Vermutlich mit KI erstellt: Ein allem Anschein nach gefälschtes EU-Wahlplakat behauptet, dass Deutschlands Wohlstand erneuert werden müsse - und unterstellt damit geschickt, aber nicht-strafbar, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt.

Genau diese Umtriebe waren es wohl, die Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang meinte, als er darauf hinwies, dass die besonders erbitterten Feinde des Rechtsstaates die vom Staat großzügig gewährten Grundrechte als Freiheiten missbraucht, um unterhalb der Strafbarkeitsgrenze gegen das zu arbeiten, wofür die Demokratie wirklich steht.  

Zweifelhafte Witze

Sie nutzen das "D-Wort", bedienen sich zweifelhafter Witze und berufen sich auf eine vermeintliche Satirefreiheit, sobald die Behörden ihnen auf die Schliche kommen. Alles sei ja nur ironisch übertrieben. Alle Vorwürfe reiner Spaß. Beinharte Beleidigungen müssten als "überspitzt" hingenommen werden, weil das Bundesverfassungsgericht auch sie dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit zugeschlagen habe.

Beispielhaft steht für diese besonders perfide Methode einer Beeinflussung breiter Bevölkerungsschichten steht etwa ein allem Anschein nach gefälschtes Werbeplakat zur EU-Wahl, auf dem vermeintlich harmlos behauptet wird, dass Deutschlands Wohlstand erneuert werden müsse. 

Dahinter aber steckt natürlich eigentlich die Unterstellung, dass nach zweieinhalb Jahren Ampel-Koalition so viel Wohlstand verschwunden sei, dass er nun neu erschaffen werden müsse. Eine Behauptung, die selbstverständlich noch nicht-strafbar ist, aber eben im weitesten Sinne dem unklaren Tat-Dunkelfeld zugeordnet werden muss, dem das Bundesamt für Verfassungsschutz im Herbst 2022 den Namen "ver­fas­sungs­schutz­re­le­van­te De­le­gi­ti­mie­rung des Staa­tes" gegeben hat.

Tatbestand nach Bedarf

Ein Tatbestand, der wenig zu greifen war und sich deshalb eignete, ihn jeweils dort zu entdecken, wo er gerade gebraucht wurde. Anfangs vor allem zur Corona-Bekämpfung gedacht, stieß die Delegitimierung des Staates in die Lücke, die das Bundesverfassungsgericht vor zehn Jahren geschaffen hatte, als es "selbst eine überzogene oder ausfällige Kritik" für "sich genommen noch nicht zur Schmähung" erklärte. Ein Freibrief, mit dem Kritik an der Regierung plötzlich rundheraus erlaubt wäre, nicht mehr nur nicht strafbar, sondern nicht einmal illegal oder nicht erlaubt..

Wie gefährlich das Tor ist, das damit zur Hölle von Hetze und Hass geöffnet wurde, zeigt nun ein aktuelles Urteil der Karlsruher Richter, die der Verfassungsbeschwerde eines Journalisten gegen ein von der Bundesregierung eingeklagtes Verbot der Wiederholung einer kritischen Äußerung stattgaben. 

Die höchsten deutschen Richter argumentierten dabei, dass Nius-Gründer Julian Reichelt durchaus habe schreiben dürfen, dass Deutschland "in den letzten zwei Jahren 370 Millionen Euro (!!!) Entwicklungshilfe an die Taliban (!!!!!!)" gezahlt habe. Und er habe das auch mit den Sätzen "Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!" kommentieren dürfen, weil dem Staat "kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz" zukomme. Und der Staat deshalb "grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten" habe. 

Dann eben Delegitimierung

Wer solche Verfassungsrichter hat, ist als Staat in jedem Fall auf sein Bundesamt für Verfassungsschutz angewiesen. Da der Staat sich und seine Organe wegen solcher Urteile nicht mehr direkt verteidigen kann - nach dem Muster des Beschlusses 1 BvR 482/13 aus dem Jahr 2014 dürfte ihm "schäbiges, rechtswidriges und unwürdige Verhalten" vorgeworfen werden, nach 1 BvR 2290/23 muss er eine verkürzte Darstellung seiner Handlungen dulden, selbst wenn die zu einem Missverständnis führen kann. 

Zwar dürften "auch staatliche Einrichtungen vor verbalen Angriffen geschützt werden", ihr Schutz dürfe aber nicht dazu führen, "staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll", schreiben die Richter in ihrer Entscheidung zur Verfassungsbeschwerde des früheren Bild-Chef Reichelt und gegen mehrere Klagen des Entwicklungshilfeministerium.

Ein Aufstand im Irrenhaus, bei dem die 1. Kammer des Ersten Senats des Verfassungsgericht der gerichtlichen "Untersagung einer kritischen Äußerung über die Bundesregierung" widerspricht, ohne dass es vorher zu einem Treffen der Verfassungsorgane gekommen war. 

Die Verantwortung, die das Bundesamt für Verfassungsschutz trägt, wird damit nun noch größer. Wenn sich Gerichte nur noch zum Teil und das Verfassungsgericht gar nicht mehr schützend vor den Staat wirft, muss der Verfassungsschutz dort genau hinsehen, "wo aus Skepsis gegenüber dem Verfassungsstaat seine Bekämpfung wird", wie es Thomas Haldenwang. Nicht wenn, sondern schon wo. 

Genau überwachen

Nämlich immer dann, wenn das "für die freiheitlich-demokratische Ordnung schlechthin konstituierende Grundrecht der Meinungsfreiheit", das "aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet" mit anderen Mitteln nicht eingeschränkt werden kann als eben mit der unverhohlenen Drohung, dass Protest der über den "gegen einzelne Maßnahmen hinausgeht" und "das System insgesamt nicht infrage gestellt, sondern komplett ablehnt, ohne dass eine spezifische rechts- oder linksextremistische Ideologie dahintersteckt" genau überwacht wird. Nicht jeder Teilnehmer freilich. Aber möglicherweise doch.

Erzieherisch reicht das nicht, um diskriminierende Werturteile über Entscheidungen des Staates zu unterbinden, auch die Gefahr der Verbreitung gefährlicher Witze und satirischer Lachangriffe vollständig zu unterbinden. Immerhin aber wird ein klares Signal gesetzt, dass die Judikative entscheiden kann, was und so oft sie will. Legislative und Exekutive finden trotzdem einen Weg, "staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kriti" abzuschirmen.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das hat mit Demokratie wenig zu tun, wenn jeder an der Regierung rumnörgelt. Der Haldenwang sollte mal diese sogenannten Verfassungsrichter unter die Lupe nehmen. Das geht gar nicht. Und dann diese sogenannte Verfassung/GG.

FAZ
Von Michael Hanfeld
Das Bundesverfassungsgericht hat im Streit zwischen dem früheren „Bild“-Chef Julian Reichelt und dem Entwicklungshilfeministerium den Stöpsel gezogen. Nachdem Karlsruhe zugunsten Reichelts urteilte, zieht die Regierung zurück.

Ja. Oder den 'Stecker', und 'zurückziehen' ist ein reflexives Verb.
Das hätte eine AI sicher besser formuliert. Die alte Garde ist auch nix wert.

Anonym hat gesagt…

Das Gesumm der Fliegen über einem abgesetzten Kothaufen ist interessanter als jedwede Äußerung in einem beliebigen Wurstblatt, die NZZ eingeschlossen.

n0by hat gesagt…

Durfte Reichelt noch die "Regierung" schmähen, bringt Pirinccis Beleidigungen von Majestät:Innen ihn in den Knast?