Mittwoch, 3. April 2024

Energieausstieg: Die Besten machen das Licht aus

Mit Edvard Griegs "Morgensstimmung" aus "Peer Gynt" (Suite Nr. 1) verabschiedete sich das Bergmannsorchester Schenkendöbern von den beiden Braunkohleblöcken.

Was war das wieder für ein Tag so schon wie heute! Nur ein knappes Jahr nach jenem 15. April 2023, als Deutschland mit einem großen Festakt im blumengeschmückten Containment-Bau des Meiler Neckarwestheim 2 seinen Abschied vom Atomzeitalter feierte, stand schon wieder ein historischer Moment an: Deutschland wagte sich an den nächsten Schritt. Diesmal wurden sieben der noch verbliebenen CO2-intensivsten Kohlekraftwerke abgeschaltet.

Ein Meilenstein für die Menschheit, die das deutsche Experiment mit Neugier verfolgt: Kann ein moderner Industriestaat allein von Sonne, Wind und Stromlieferungen aus den Nachbarstaaten leben? Ist der Versuch, eine der größten Schwerindustrien der Welt durch einen sozial gerechten Strukturwandel als Arbeitgeber zu ersetzen, wegweisend oder verrückt? Können die Kohleregionen, die das Land ein Jahrhundert lang mit Strom versorgt haben, dauerhaft Wertschöpfung durch die "Betreuung der Überwachung" (RBB, Tagesschau, Süddeutsche Zeitung) erwirtschaften? 

Festakt in Jänschwalde

Ja, nach dem Festakt in Jänschwalde, bei dem die wegen der zwischenzeitlichen Energiekrise wieder ans Netz genommenen Blöcke E und F wie vorgeschrieben mit einer scharfen Schere vom Netz getrennt wurden, ist nirgendwo das Licht ausgegangen. Klimawirtschaftsminister Robert Habeck hatte sich zuvor schon optimistisch gezeigt, dass das Wagnis glücken würde. Die beiden 500-Megawatt-Anlagen seien überflüssig, sagte der grüne Minister, denn die Preise für Strom und das besonders klimaschädliche Erdgas aus US-Frackingquellen seien deutlich gefallen und der Strom stamme durch den Ausbau erneuerbarer Energien "mittlerweile mehrheitlich aus sauberen, klimafreundlichen Quellen". 

Die im Herbst 2022 befristet wieder in Betrieb genommenen Meiler könnten nun in einen sogenannten "sicheren Zustand" überführt werden. Ende 2028 soll das Kraftwerk dann vollständig stillgelegt werden. Der weitere Weg Deutschlands "hin zu klimafreundlicher Energieerzeugung!" wird nun von sauberem Klimastrom beleuchtet, der in der neuen Kraftwerksstrategie der Bundesregierung erst vor wenigen Wochen endgültig in einen "festen Rahmen für Investitionen in moderne, hochflexible und klimafreundliche Kraftwerke" gefasst worden war, "die in der Lage sind, zukünftig mit Wasserstoff betrieben zu werden". 

Beschluss der Regierung sorgt für Wasserstoff

Ausschließlich wegen derzeit noch bestehender kleiner technologischer Unwägbarkeiten im großen Plan ist seitdem nichts mehr zu hören gewesen von der Absicht, die Voraussetzungen zu schaffen, "damit überall genügend Strom fließt – auch bei wenig Wind und Sonne" - und so viel sogar, dass "Stahl und Zement künftig mit grünem Wasserstoff produziert werden" (Bundesregierung). Binnen von nur zehn Jahren müsste die Zahl der Anlagen, die Überflussstrom aus Wind und Solar in den "Champagner der Energiewende" (Claudia Kempfert) verwandeln, verdreihundertfacht werden. 

Das ist noch einmal deutlich mehr als zur kompletten Umstellung der Energieversorgung des Landes auf grünen Strom an neuer Erzeugungsinfrastruktur benötigt wird: Hier müssten die derzeitigen Kapazitäten an Windparks, Solarfeldern, Wasserkraftwerken und Biogasfabriken nur verzehnfacht und entsprechend große Speicher zugebaut werden. Sobald letztere fertig entwickelt und technologisch ausreichend erprobt für den großtechnischen Einsatz wären.

Stimmung wie auf dem Abi-Ball

Diese Fakten machen die historische Dimension des weltweit einmaligen Experiment Energieausstiegs fassbar. Nachdem die Bundesregierung im Februar festgelegt hatte, dass die entsprechenden Mengen an grünem Wasserstoff trotz der momentanen Unabsehbarkeit möglicher Schritte zur Überwindung noch vorhandener Hürden zweifelsfrei "zur Verfügungen stehen" werden, herrschte beim Festakt in Jänschwalde nicht die Stimmung einer Trauerfeier, sondern eine fröhliche Atmosphäre wie auf einem Abi-Ball. Noch ist ungewiss, wohin es geht, wie das Leben weiter verlaufen wird. Doch alle sind gut drauf, alle freuen sich, bis hierher gekommen zu sein.

Endlich geschafft, raunten sich die Teilnehmenden immer wieder erleichtert zu. Alkoholfreier Sekt sprudelte. Der eine und der andere Toast wurde auf die ökologische Steuerreform von 1999 ausgebracht, die heute als Basis für hohe Strompreise, die für immer kassierte  "zweite Stufe der Entlastung" bis hin zum Klimageld und Deutschlands globale Vormachtstellung bei "ökologische Modernisierung des Steuersystems" liefert. In ausreichendem Abstand von der Kita der Jänschwalder Kumpel qualmte sogar der eine oder andere legale Joint. "Die Besten machen das Licht aus!" riefen  sich die Ehrengäste stolz zu.

Zwischen Deutschlandtempo und Industriestrompreis

Nach der Abschaltung sei auch die leidige Diskussion um Habecks Industriestrompreis-Versprechen, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und das Deutschlandtempo beim Ausbau der Erneuerbaren obsolet, hieß es bei den Delegierten. Der Ausstieg liegt im Plan, weil die Industrie gut mitzieht, gelang zuletzt sogar ein Plus zum Plan. Um die im weltweiten Maßstab durch "steigende Emissionen im Energiesektor" (ZDF) wachsenden Klimaschäden reparieren zu können, reichen die deutschen Anstrengungen jedoch noch nicht aus. Zuletzt stieg der Gesamtausstoß des Klimagiftes CO2 im Energiesektor um 410 Millionen Tonnen auf nunmehr 37,4 Milliarden Tonnen - die Abschaltung der beiden Blöcke in Jänschwalde verringert diese Last gerade mal um sieben Millionen Tonnen.

3 Kommentare:

Volker hat gesagt…

""Stahl und Zement künftig mit grünem Wasserstoff produziert werden"

Wir könnten schon lange an diesem Punkt sein, wären da nicht die Saboteure und Kritikaster der fossilen Lobby

Anonym hat gesagt…

Das mit dem Sekt sollte man nicht einfach so unkritisch melden. Langfristig kommen wir auch um eine Dekarbonisierung des Sektes nicht herum. Ab 2030 wird es nur noch kohlendioxidfreien Sekt geben. Das bei der zweiten Gärung entstehende Kohlendioxid wird ausgekocht und nach dem Prinzip des Carbon Capture and Storage unterirdisch verpresst.
Als Ersatzgas für das Blubbern wird grüner Wasserstoff verwendet, der dann bekanntlich massenhaft und billig zu haben sein wird.

ppq hat gesagt…

da liegt ein übermittlungsfehler vor. es handelte sich offenbar nicht um sekt, sondern direkt um den sog. "champagner der energiewende", also wohl hochflüchtigen wasserstoff