Sonntag, 5. Mai 2024

Abschied von Bürgerrechten: Mehr Misstrauen wagen

Der Klassiker, auf den sich die kommende Große Koalition nach dem EuGH-Urteil schnell einigen wird: Vorratsdatenspeicherung ist unerlässlich.

Die Bundesinnenministerin vermied jedes Triumphgeheul. Geradezu sachlich reagierte die sonst so leidenschaftliche agierende Sozialdemokratin auf die guten Nachrichten vom Europäischen Gerichtshof, der nach Jahrzehnten, in denen er sich verstockt vor die Bürgerrechte gestellt hatte, endlich Einsicht zeigte. Ja, die Vorratsdatenspeicherung, sie darf und sie wird kommen. Ja, bei sorgfältiger Beachtung gewisser nachgelagerter Vorschriften ist es mit den unveräußerliche Grundrechten vereinbar, jedermann jederzeit an jedem Ort und bei jeder Art der Kommunikation mit irgendwem zu beobachten, die Daten aufzuzeichnen und zu speichern.

Der Weg zur Überwachung

Der Weg sein nun frei, kommentierte die Innenministerin, die den titanischen Kampf ihrer Vorgänger um mehr und gründlichere Überwachung der Bürgerinnen und Bürger vom ersten Tag im Amt an mit allem Nachdruck fortgesetzt hatte.  Mochten die höchsten Richter Europas die anlasslose Vorratsdatenspeicherung auch in Deutschland immer für rechtswidrig erklärt haben. Die gelernte Rechtsanwältin aus Bad Soden wusste es besser: Jemanden ohne jeden Anlass zu überwachen, sein Kommunikationsverhalten auf Vorrat abzuspeichern und die Daten gegen ihn zu verwenden, wenn sich die Notwendigkeit ergibt, das ist auch grundrechtlich machbar, wenn die Begründung nur gewitzt genug formuliert wird.

Und recht hat sie behalten, die 53-Jährige, die sich weder von Gerichtsurteilen noch von den widerstrebenden Kollegen in den anderen EU-Werteländern je irritieren ließ. Konservative Blätter schimpfen sie "verwirrt", progressive Verteidiger der Verfassung "feige". Mit ihrer wesenseigenen Mischung aus Geduld und Ignoranz, Hartnäckigkeit und Unerschrockenheit auch vor mehreren Blamagen hintereinander gelang es Nancy Faeser schließlich, dem Ziel der Träume aller Bundesinnenminister seit Gerhart Baum einen entscheidenden Schritt näherzukommen.

Die Speicherung kommt

19 Jahre nachdem das Landgericht Darmstadt mit seinem historischen Urteil vom 7. Dezember 2005 dem halbstaatlichen Anschlussanbieter T-Online eine "über die Dauer der Verbindung hinausgehende Speicherung der Verkehrsdaten" verboten hatte, kehrt sie endlich zurück: War ein Internet-Anbieter seitdem nicht mehr berechtigt, Angaben zu speichern, die eine Verbindung zwischen der zugeteilten IP-Adresse und dem Nutzer herstellen, wird ihm das nun als Pflicht auferlegt. Jeder steht unter Verdacht. Jedem muss im Bedarfsfall etwas nachgewiesen werden können.

Bald schon, denn auch wenn Faeser ihren Sieg nicht laut feierte, interpretierte sie das Urteil des EuGH doch sofort bis an den Rand des Möglichen. Der Gerichtshof habe "deutlich entschieden, dass eine Pflicht zur Speicherung von IP-Adressen zur Verbrechensbekämpfung nicht nur ausdrücklich zulässig ist, sondern auch zwingend erforderlich ist". 

Schön sei auch, dass dem jetzt aufzubauenden Überwachungssystem erlaubt sein werde, nicht nur beim Verdacht schwerer Straftaten in Aktion zu treten, sondern vorhandene oder anfallende IP-Adressen beim Internetanbieter abrufen zu können, wenn es einen Verdacht auf irgendetwas gebe. Noch muss diese Verwendung von Daten von einem Richter angeordnet werden. Aber da ist noch Luft. Das muss sicherlich nicht so bleiben.

Jeder ein Täter

Denn mit dem Europäischen Gerichtshof ist der hartnäckigste Gegner der Überwacher umgekippt. Zwar hatte auch das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung als verfassungswidrige verworfen, doch erst die Richter in Luxemburg schafften es, die große Koalition der Demokraten von SPD über die Grünen bis zur CDU/CSU zu stoppen. Ausschlaggebend war das Argument des Generalverdachtes: Ohne konkreten Tatverdacht darf der Staat nicht auf den besonders geschützten Kern der privaten Lebensführung schauen, zu dem nach seiner eigenen Definition eben auch die IP-Adresse gehört. Dass er dennoch unaufhörlich versucht, sich dieses Recht zu verschaffen, zeigt weniger, wie gefährlich die Bürgerinnen und Bürger sind, als wie misstrauisch gewählte Volksvertreter sie belauern und beargwöhnen. Jeder ein Täter. Jeder gründlich zu bewachen.

Zwar hat der EuGH mit seinem Urteil nur eine Regelung aus Frankreich durchgewunken, doch im Bundesinnenministerium, in der SPD-Zentrale und bei der Union scharren schon die Füße. Wenn der Zugriff auf personenbezogene Daten in Frankreich schon bei unwesentlichen Verstößen wie Urheberrechtsverletzungen erlaubt ist, weil "ein solches System nicht zwangsläufig einen schweren Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personen darstellt" (EuGH), dann wird man sich in Deutschland spätestens nach der Bildung einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD im Herbst kommenden Jahres schnell darauf einigen können, wieder alle Daten von allen Internetnutzern vorsorglich zu speichern, um später Täter im Fall aller Arten von Straftaten erwischen zu können. 

Das Medienecho in Deutschland spricht dafür, dass gar nichts dagegenspricht.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Das Urteil hilft doch wieder nur den Falschen (TM).