Sonntag, 5. Mai 2024

Wenn die Wirklichkeit siegt: Hamburger Messerwunder

Das Fake-News-Portal Correctiv würde es zweifellos schaffen, aus diese Kurve wegzuerklären. Derzeit verzichten die Spezialisten darauf allerdings ebenso wie die ARD-Faktenerfinder.


Niemand wusste es genau. Niemand wollte es allzu genau wissen. Was man nicht weiß, macht niemanden heiß. Es war sicher nur ein Eindruck, befeuert von Fake News vom rechten Rand. möglich, dass auch die Sensationsgier der Medien eine Rolle spielte. Und eine unversehens  entstandene neue Aufmerksamkeit für etwas, was immer schon war, nur unbeachtet geblieben.  

Ja, als alles losging mit den Medien und den Messern, überschlugen sich die Meldungen. "Kaum ein Tag in Deutschland vergeht ohne einen Messerangriff oder eine Messerstecherei", bemerkte die amtliche Nachrichtenagentur DPA und fragte verwegen: "War das schon immer so?" Oder liegt es nur an einer "Orientierung an Männlichkeitsnormen"? Oder nimmt die Zahl der Attacken zu? Allenfalls "scheinbar" war der WDR sicher. Die "Tagesschau" verwies stolz auf eine unzureichende Datenbasis. Niemand könne etwas behaupten, weil die Statistiken "defizitär" seien, versicherte der unbestechliche "Faktenfinder" Patrick Gensing zufrieden. 

Beteuerungen vom Fake-News-Portal

Das bekannte Fake-News-Portal Correctiv wusste es sogar noch genauer. "Von einem ,dramatischen` Anstieg oder einer „Messer-Epidemie“ in Deutschland kann nicht die Rede sein", hieß es in der Wahrheitszentrale der Republik. Nur ein "Anstieg in vielen Bundesländern" sei "zu vermerken". Gehen Sie bitte weiter. Mehr ist es nicht. Correctiv war schließlich zum Schluss gekommen: "Von einem dramatischen Anstieg von Messer-Attacken kann allgemein nicht die Rede sein."

Nun ist es so, dass die Gesellschaft sich stets passende Bezeichnungen sucht, wenn Sachverhalte auftauchen, für die es mangels Beschreibungsbedarf bis dahin noch keine gab. Das Wort "Messerattacke", im Duden nicht verzeichnet, begann seinen Siegeszug durch die Medienmoderne ganz zufällig in den Jahren, in denen Gensing, Correctiv-Chef David Schraven und der Rest der Leitmedienlandschaft alles daran setzten, das "Phänomen" (DPA) als Fehlwahrnehmung, rechtspopulistische Propaganda und Versuch der Delegitimierung der regierungsamtlichen Willkommenskultur zu beschreiben. 

Vor einem "gefährlichen Alarmismus", warnte die Taz. Mit der "Tagesschau" mahnte auch ein anderes regierungsnahes Zentralorgan zu einem "differenzierten Bild". Alle waren sich einig. Mag da auch etwas sein. Details könnten Teile der Bevölkerung beunruhigen.

Verteidigung der Macht

Wo es um die Verteidigung der Macht gegen die geht, die ihr Macht- und Tatenlosigkeit vorwerfen, darf die Hamburger "Zeit" nie fehlen. Früh schon verwies das Blatt engagiert auf "uneindeutige Daten, fragwürdige Behauptungen und das Fehlen wissenschaftlich haltbarer Belege".  Eine Kette von sogenannten "Einzelfällen" beweise gar nichts. Es sei nur ein Praktikant gewesen, der anderslautende Zahlen zusammengestellt habe. Damit sei die "Angst vor zunehmender Messergewalt", so die "Zeit",  "unbegründet". Das neumodische Determinativkompositum aus "Messer" und "Attacke", das plötzlich überall auftauchte, tat das letzten Endes aus purem Übermut und ohne jeden Sachgrund. 

Die Front hielt, die Verteidigung stand unerschütterlich von den sich häufenden Meldungen der Polizei. Sämtliche "Messerattacken" zusammen, alternativ auch als "Messergewalt" oder "Messerkriminalität" kategorisiert, machten weniger Schlagzeilen als Jahre zuvor das Kuchenmesserattentat auf den Passauer Polizeichef Alois Mannichl. Bis dann tatsächlich etwas zerbrach, irgendwo im Inneren der "Zeit". Was im Dezember 2022 "aus den Zahlen des BKA" noch nicht "abzulesen" war, entwickelte sich in den zurückliegenden zwölf Monaten zu einem Lieblingsthema der erfolgreichsten Wochenzeitschrift der Republik. 

Ein eigenes Spezialgebiet

Regelmäßig beschwören Schlagzeilen nun die entsetzlichen Statistiken, die vielen, vielen Opfer und die Verhältnisse, unter denen sich "ein ganz normaler Abend" in NRW mit einem Schlag in ein blutiges Desaster mit acht Verletzten und einem Toten verwandelt. "Messerkriminalität in Deutschland" ist für die verspätete Vierte Gewalt mittlerweile ein eigenes Spezialgebiet, das freilich von den DPA-Kollegen bespielt wird, deren Blick auf das Thema dem gesellschaftlichen Wandel auf gleiche Weise gefolgt ist. Wer heute noch mitreden will, der unterhält wie die "Tagesschau" und das ZDF einen eigenen Webbereich für "Messerattacke"

Wer dagegen wirklich treu zur Sache steht, der meidet jede Beschäftigung mit der Frage, wie sich eine Relativierung heute bewerkstelligen ließe. Und wer zeigen will, dass ihm die Realität gleichgültig war und gleichgültig bleibt, der bettelt nicht um Glaubwürdigkeit, sondern streitet sie einfach ab.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

OT
Danisch "Code of conduct"

Jag dumbom fattar inte en smul. Det snurrar i skallen precis som ett hjul.
Faust, der Tragödie erster Teil
Ramschkiste an der Ladenkasse in Sunne,Värmland, 2005.