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"Für mehr Menschlichkeit" trat die SPD vor 35 Jahren an. Heute ficht die älteste deutsche Partei ihre internen Machtkämpfe mit brutaler Vehemenz aus. |
Sie ist die Partei der Menschlichkeit, die Kampforganisation derer, die in den Ringkämpfen der Mächtigen unter die Räder käme, wäre sie nicht da, um mit ihrem starken Arm Schutz und Hilfe zu bieten. Die deutsche Sozialdemokratie erlebt in diesen historischen Tagen von Wirtschaftsrückbau, Klimaertüchtigung und militärischer Zeitenwende zwar eine Phase der Schwäche, gemessen an der großen Beliebtheit, der sich der Schutz- und Trutzbund der hart arbeitenden Mitte in der Vergangenheit bereits einmal erfreute. Doch sie ist dabei, sich von innen zu reinigen, ihre Reihen zu säubern und sich fit zu machen für die nächsten 140 Jahre in einer gesellschaftlichen Funktion, die weder Grüne noch Linke noch BSW oder FDP übernehmen können.
Tote Hautschuppen
Dabei kommt es unvermeidlich zu Klärungsprozesse, es werden - sinnbildlich gesprochen - tote Hautschuppen abgestoßen und Machtinseln ausgeweitet. Von außen betrachtet ist eine Partei ein Monolith, innen aber gestaltet sie sich als Versammlung von Interessengruppen, Lobbyverbänden und infomellen Formationen aus Gleichgesinnten.
Deren edelstes Anliegen ist es nicht, in die Gesellschaft zu wirklen, sondern den Parteiapparat zu kontrollieren. Selbst die jüngeren Genossinnen und Genossen, die Lenins Standardwerk "Was tun?" nicht mehr gelesen haben, fühlen, dass der Apparat die Basis jeder Macht ist und die Schaffung einer disziplinierten Organisation das Fundament einer jeden Partei, die unter den Bedingungen des permanenten Klassenkampfes an Kabinettstischen sitzen will.
Opfer von Richtungskämpfen
Es sind Richtungskämpfe, die über Personalrochaden wie die von der über Jahre als Parteimutter auftretenden Saskia Esken zur eher als Verwaltungsbeamtin bekannten Bärbel Bas deutlich werden. Eine Partei verpuppt sich, sie wechselte einige Gesichter und Plakate aus, ihre gerade noch allmächtig erscheinenden Anführer verschwinden und aus der Kulisse tauchen wie von Geisterhand neue Gestalten auf, die als allererstes versprechen, mit den Fehlern der Alten zu brechen.
Einreden der Parteibasis sind in der Neuzeit nirgendwo zu befürchten. Parteien haben es gelernt, ihr Innenleben von oben nach unten zu organisieren. Abgekämpfte, moralisch verschlissene Führungsfiguren verschwinden. Die Thronfolger werden in der Regel von ihren Vorgängern erwählt, ernannt und von handverlesenen Vertretern des Parteivolkes noch formal bestätigt.
Misserfolg ist kein Hinderungsgrund
Eine Volkspartei im eigenen Bundesland zugrundegerichtet zu haben, ist dabei kein Hinderungsgrund für einen Aufstieg in die nationale Führung. das Beispiel der sächsischen SPD-Chefin Petra Köpping beweist es: Als Spitzenkandidatin der früheren Arbeiterpartei führte die 66-Jährige die SPD hauchzart an die Fünf-Prozent-Hürde. Das schlechteste Ergebnis aller Zeiten. Köpping wird deshalb künftig ein lauteres Wort in der Bundespartei mitzusprechen haben.
Ein selbstbestimmtes Auftreten hingegen kann eine Karriere kosten. Auf einmal fällt der Marschallstab aus dem Tornister. Auf einmal war alles falsch, obwohl es richtig war. Eine Erfahrung, die die Brandenburgische Innenministerin Katrin Lange jetzt mahcen musste. Auf dem dramatischen Höhepunkt in einer Affäre, die außerhalb der Kreise der eingeschworenen Insider der Landespolitik im Speckgürtel Berlins niemand verstand, warf die 53-jährige Kronprinzessin von Ministerpräsident Dietmar Woidke die Brocken hin.
Ein politisches Beben
Worum geht es? Was hat die AfD damit zu tun? Und welche Rolle spielt der Verfassungsschutz? In der undurchsichtigen Affäre, die mit der sogenannten "Einstufung" der AfD Brandenburg als "gesichert rechtsextremistisch" durch das Landesamt für Verfassungsschutz begann, geht es auf den ersten Blick um Kleinigkeiten. Lange hatte angegeben, vom Verfassungsschutzpräsidenten erst zwei Wochen nach der Einstufung informiert worden zu sein. Damit sei das Vertrauensverhältnis zerstört und eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr möglich.
Lange hatte Verfassungsschutzchef Jörg Müller entlassen, der hatte sich revanchiert, indem er die von der Ministerin angegebenen Zeitabläufe dementierte. Medienberichten, die sichtlich aus der Herzkammer des brandenburgischen Geheimniswesens gefüttert wurden, sei nicht zwei Wochen, sondern nur anderthalb Wochen zu spät informiert worden. Der Vorwurf Langes, sie sei von Müller "über bedeutende Sachverhalte nicht ordnungsgemäß und viel zu spät unterrichtet" und damit "hintergangen" worden, sei folglich nicht zutreffend.
In der kleinen DDR
Eine Argumentation, die aus der Ferne betrachtet absurd erscheint, in der "kleinen DDR" Brandenburg aber durchwirkt. Der Lüge bezichtigt, trat Katrin Lange zurück. Hinter ihr knallte die Tür.
Langes Rücktrittserklärung liest sich wie ein Abgesang auf politische Kultur und Geschlossenheit – und als Abrechnung mit ihrer eigenen Partei. Denn der wirft die erst im Dezember ernannte Innenministerin vor, die Hochstufung der AfD als "gesichert rechtsextrem" als eine Art Politikersatz anzubeten.
Aus ihrer Sicht zeige die verheerende Bilanz der zurückliegenden Jahre, dass der Versuch, mit Verboten, Repression und Überwachung, mit Drohungen und Einschüchterung gegen die rechte Partei vorgehen zu wollen, zum Scheitern verurteilt sei. Ein Drittel der Brandenburger Wähler ausgrenzen zu wollen, werde die gesellschaftliche Spaltung vertiefen und sei deshalb ein "Irrweg", der die freiheitliche Tradition der ostdeutschen Sozialdemokratie verrate.
Alles andere als mehrheitsfähig
Eine Position, die in der deutschen Sozialdemokratie alles andere als mehrheitsfähig ist. nachdem die Partei sich von der Vertretung der Arbeiterschaft und der kleinen Angestellten zu einer Lobbygruppe der urbanen Beamten-, Studenten- und Sozialhilfeempfängerschaft gewandelt hat, sind ihr nicht mehr viele Themen geblieben, aus denen sich ein entschlossenes politisches Profil modellieren lässt.
Neben mehr Gerechtigkeit, mehr Klimapolitik und mehr Umverteilung höherer Steuern und Abgaben ist der "Kampf gegen rechts" zentral für die SPD, ein politischer Fetisch, der in den Tagen der Sinnkrise der ältesten deutschen Partei wie ein Lagerfeuer funktioniert. Hier wird sich versammelt. Hier werden die alten Geschichten vom den mutigen Demonstrationen gegen rechts, von tapferen Verboten und wackeren X-Posts gegen alles Völkische erzählt.
Spucke auf dem Kuchen
Lange nun spuckt auf den Kuchen, von dem sich die Reste der ehemaligen Volkspartei nähren. Sie warnt ihre Partei davor, die seit mehr als zehn Jahren sichtlich scheiternde Strategie zum Umgang mit der AfD fortzusetzen und die "inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD verloren zu geben". Im Ergebnis habe es die Rechtspartei auf 30 Prozent Zustimmung in Brandenburg geschafft - wer behaupte zu glauben, dass eine Einstufung als "gesichert rechtsextremistisch" diese Zustimmungwerte senke, mache sich und der Öffentlichkeit etwas vor.
Genau das ist es aber, was die SPD am besten kann. Wo Lange schimpft, dass die Öffentlichkeit ja nicht einmal Aufklärung über die Gründe für die Hochstufung erhalte, weil der Verfassungsschutz eine Veröffentlichung seines "Gutachtens" verweigere, kritisieren ihre Gegner in der Partei, aber auch bei Grünen und Linken ihre Auffassung, politische Auseinandersetzungen müssten im politischen Meinungskampf ausgefochten werden. Ausgerechnet die beiden Parteien, die den Verfassungsschutz vor nicht allzu langer Zeit noch abschaffen wollten, verteidigen ihn nun unbesehen als Hüter der Demokratie.
Tife Gräben im Land
Lange wiederum nennt das "verlogen" – ein Vorwurf, der die tiefen Gräben zeigt, die das selbsternannte Lager der Demokraten durchziehen. Während Katrin Lange in ihrem emotionalen Abschiedsbrief die Ansicht vertritt, dass nur eine informierte Öffentlichkeit Regierungshandeln kritisch begleiten könne, hat eine große Koalition aus CDU und Grünen unmittelbar nach ihrem Abgang eine Wiedereinsetzung des entlassenen Verfassungsschutzchefs Müller gefordert.
Ebenso zerrissen zeigt sich die SPD: Ministerpräsiden Woidke bedauerte den Verlust Langes, andere Teile der SPD warfen ihr vor, die eigene Landtagsfraktion "vor den Kopf gestoßen" zu haben. Lange revanchiert sich mit dem Hinweis auf "Unterstellungen und Diffamierungen", die bis ins Persönliche gegangen seien. Diese Angriffe hätten einen Tiefpunkt in der Kultur der Brandenburger SPD markiert – einer Partei, die einst für Zusammenhalt und ostdeutsche Bodenständigkeit gestanden habe.
Kampf ums Eingemachte
Doch hier geht es ja auch ums Eingemachte. Die SPD in Brandenburg streitet sozusagen vorab um die Lösung des Grundkonflikt im Umgang mit der AfD: Repression oder politische Auseinandersetzung? Sollen die Parteien der demokratischen Mitte weiter festhalten an ihren erfolglosen Versuchen, die AfD durch Einschüchterung und Ausgrenzung klein zu machen. Oder sollen sie die Wahl der Rechten durch Millionen Menschen als Hilferuf verstehen und ihre Politik ändern?
Langes Rücktritt ist mehr als ein Personalwechsel – er ist Symptom einer Krise, die die Bundespolitik noch länger beschäftigen wird. Die frühere Ordnungsamtschefin, die ihren Sitz im Landtag weiter behalten wird, war der Ansicht, dass viele der heutigen AfD-Wähler vor nicht allzu langer Zeit noch Manfred Stolpe oder Dietmar Woidke gewählt hätten, die SPD aber heute nicht mehr für wählbar halte. Lange zufolge sind aber nicht die Wähler weggerutscht und durch eine geheimnisvoll wirkende Rechtspropaganda zu Nazis geworden. Nein, die SPD habe die Verbindung zu Teilen ihrer einstigen Basis verloren und verweigere bisher sogar das Eingeständnis, dass in diesem Umstand die Ursache ihres Niedergangs liege.
Lenrkurve null
Die "Lernkurve" im Umgang mit der AfD, so Lange, "beträgt Null". Eine Fehleinschätzung, denn thre Forderung nach einer politischen Antwort auf die AfD – inspiriert von Richard Schröders Ansatz, den Souverän durch bessere Angebote zu überzeugen – traf in der SPD nicht auf Desinteresse, sondern auf vehementen Widerstand. Lange schlug "offener Hass" entgegen, wie sie es formuliert in irhem Abschiedsbrief formuliert, der sich wie ein Vermächtnis liest. Entferne sich die SPD weiter von ihrer freiheitlichen Tradition, drohe ihr ein Schicksam wie in "Sachsen und Thüringen", wo das Versagen der Sozialdemokratie die AfD zur Volkspartei gemacht habt.
Eine Warnung, die sich an die gesamte SPD richtet, im Willy-Brandt-Haus aber ebenso wenig auf Echo hoffen darf wie in Potsdam. Katrin Langes Rücktritt ist ein Symptom für eine Krise nicht nur der Brandenburger SPD, sondern für eine einer früheren Volkspartei, die sich immer noch für eine hält, obwohl sie große Teile Wählerbasis ausgerechnet an die Partei verloren hat, die ihr als Popanz dient, sich auf die innere Einheit einzuschwören.
2 Kommentare:
OT
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Joe Biden (82) schwer krank
Prostatakrebs! Warum wurde er erst so spät entdeckt?
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Ich ahne die Antwort. Weil bis Anfang Januer diesen Jahres zu viele ... in seinem ... angesiedelt waren?
Man könnte dieses Treiben ja wie eine Seifenoper genießen, wenn es durch Mitgliedsbeiträge finanziert würde. Sie mästen sich aber alle an Steuergeld.
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