Freitag, 2. Mai 2025

Tief im Westen: "Viele wollen einfach nicht mehr"

Am Rhein sehen viele Menschen sich als abgehängte Gruppe, die von der Gesellschaft kaum beachtet wird.

Sie hat in Thailand gelebt, am Strand, leicht bekleidet in der Sonne, mit einer Pina Colada in der Hand. Sie ist aber auch schon dorthin vorgedrungen, wo die zivilisierte Welt am Ende ist und Menschen nur noch versuchen, irgendwie zu überleben.  Svenja Prantl ist mit Kryptowährungen reich geworden, seitdem sie sich zur Ruhe gesetzt hat, arbeitet sie auf Interessebasis für Online-Magazine. Dabei kennt die ausgebildete Germanistin und Ökotrophologin keine Furcht: Prantl sucht die Gefahr, sie sucht die Herausforderung und die Wahrheit.

In den letzten Monaten suchte sie aber auch die Exotik. Intensiv wie nie zuvor hat die 27-Jährige die Gelegenheit und die ungemütliche Witterung genutzt, um Westdeutschland zu erkunden, jenes sagenumwobene Land, das mit dem Beitritt der Ostgebiete vor 35 Jahren untergegangen war. 
 
Die SPD, aber auch die Grünen hatte seinerzeit lange gegen die Aufnahme der armen Schwestern und Brüder aus dem sozialistischen Nachbarland gekämpft, um die alte Bonner Republik zu bewahren.  Doch vergebens. Sachsen, Thüringen, Brandenburg und die anderen Neuen Länder kamen. Und sie veränderten einen Staat, der bis dahin sehr gut mit sich ausgekommen war.

Svenja Prantl hat die früheren Hochburger der Bonner Republik bereist, Gebiete am Rhein und der Ruhr, im Süden und im Norden. Im Interview erzählt mit PPQ erzählt sie von ihren Erlebnissen auf den Spuren eines Landes, das es so, wie es sich heute erinnert, nie gegeben hat.

PPQ: Frau Prantl, warum ist die Laune in den sogenannten alten Ländern so viel schlechter als die Lage? 

Prantl: Um das herauszufinden, bin ich die zurückliegenden drei Monate unterwegs gewesen. Es ist ja so, dass der Osten, als Ostdeutschland, im Normalfall alle Aufmerksamkeit aufsaugt. Die Stimmung dort wird als wichtig erachtet, die Launen der Menschen gelten als eine Art Seismograf und wenn Sachsen braun hustete, steht der Führer vor der Tür (lacht). Ich wollte einfach mal wissen, wie es den anderen, in den wirklich abgehängten Regionen aussieht. Dort also, wo keine Kamerateams hinreisen, keine Reporter sich tummeln, nur die AfD oder die Grünen außerordentliche Wahlergebnisse einfahren.

PPQ: Aber um auf die Frage zurückzukommen...

Prantl: Die ist natürlich zentral. Ich habe lange geglaubt, dass es sich so verhält, dass wir es also mit einer Wahrnehmungsstörung zu tun haben. Uns geht es doch Gold, so toll sogar, dass wir Zeit haben zu meckern! Das Phänomen kennen Historiker aus der DDR, dort war das für viele Lebensinhalt und Tagesaufgabe, weil die Menschen ja sonst nichts hatten. Aber ich muss mich jetzt nach  meiner Reise korrigieren. Die Leute empfinden das so, das ist kein reines Hobby.

PPQ: Was haben Sie denn konkret für sich mitgenommen? 

Prantl: Ich bin ja Kosmopolitin, deshalb war vorher immer mal zum Einkaufen in Köln oder Düsseldorf, zum Fußball in München und auch mal zum Wandern in Hessen. Aber noch nie habe ich mich so intensiv und so lange in Kleinstädten aufgehalten und mit so vielen einfachen Leuten mit einfachen Jobs vom Müllfahrer bis zum Dorfarzt oder dem Gastwirt gesprochen. Immer auf der Suche nach der Antwort auf die zentrale Frage: Wie kann es sein, dass so vieles von dem, was die Leute in Westdeutschland umtreibt, nirgendwo eine Rolle spielt? Ich muss am Ende eingestehen, dass ich gescheitert bin. Ich kenn jetzt zwar die Themen sehr genau, die den Leuten auf den Nägeln brennen,. Warum aber keine politische Kraft und - auf deren Stichwort - kein Medium das alles ausformuliert, ist mir ein Rätsel geblieben.

PPQ: Hat es mir ihrer Herkunft zu tun?

Prantl: Das denke ich eher nicht. Ich bin als Ostdeutsche, die 1997 geboren wurde, immer offen mit meiner Herkunft umgegangen. Mir war ja klar, dass das Vorbehalte bei manchen wecken wird, gerade bei denen, für die die Neunziger ein riesiger Bruch waren. Da sind Biografien neu geschrieben worden, Familien zerbrachen, weil der Vater plötzlich weit weg in Bautzen Aufbauarbeit leisten musste und die Bürohelfer, die Dienstag bis Donnerstag im Osten eingesetzt wurden, fanden oft junge ostdeutsche Frauen reizvoll, die durch ihre sozialistische Erziehung ganz anders mit ihrer Sexualität umgingen. Zurückgeblieben sind Kinder ohne Väter, Frauen ohne Mann und jede Menge Bitternis.

PPQ: Das ist Ihnen so erzählt worden?

Prantl: Das könnte man so sagen. Aber ich habe auch darüber gelesen und es von Westdeutschen gehört, die es von Bekannten gehört haben. Aber selbst viele Menschen aus dem Osten können ja von solchen Erlebnissen berichten. Im Westen sagen viele ja bis heute, wir haben auch Solidaritätszuschlag gezahlt, aber haben wir je Solidarität erfahren? Diese Einheitsopfer, wie ich sie gern nenne, können sich gut hineinversetzen in die Ostdeutschen, die ihre Jobs verloren haben, die Massenarbeitslosigkeit erdulden mussten und von vorn anfangen. Was sie nicht verstehen, ist, dass ihnen selbst der Respekt dafür versagt wird, ebenfalls betroffen gewesen zu sein.

PPQ: Wie hat sich das in ihren Gesprächen vor Ort geäußert?

Prantl: Still und leiden meist. Das waren für alle schmerzvolle Erinnerungen. Mir fällt ein heute 62-Jähriger ein, der in der alten BRD unbeschwert als Teenager erlebt hat, mit der Aussicht auf einen sicheren Job im Unternehmen des Vaters und nie befallen von einem Zweifel, dass das Gehalt reichen wird, ein kleines Häuschen zu bauen und eine Familie zu ernähren. Dass der Mann heute konstatieren muss, dass alles anders gekommen ist - keine eigene Familie, kein Häuschen, kein Job -  liegt für ihn natürlich in der Zeitenwende begründet. Der Umbruch sagt er, habe ihm das Leben vermasselt, weil so viel willige Konkurrenz aus dem Osten gekommen sei.

PPQ: Lässt sich das noch mit den Umbrüchen der Wende erklären? 

Prantl: Das weiß niemand, glaube ich. Zunächst einmal habe ich bei meiner Reise begriffen, dass der Westen ein Recht hat, als ein großer Landesteil mit einer ganz eigenen Geschichte und Prägung wahrgenommen zu werden. Niemandem dort gefällt es, entweder als Gegenentwurf zum Osten gesehen zu werden oder aber sich in den großen Topf Deutschland gerührt zu finden. Gerade die politischen Voraussetzungen sind völlig verschieden – schon, weil die demokratischen Traditionen in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen ganz andere sind als in Sachsen oder Mecklenburg. Aber auch die Sorgen der Menschen unterscheiden sich. Vielen geht es nicht vordergründig darum, mit ihrer Lebensleistung anerkannt zu werden. Nein, sie wollen einfach, dass überhaupt erst einmal gesehen wird, dass sie eine eigenständige Lebensleistung vorzuweisen haben! Es war sehr eindrücklich, wie sich die Westdeutschen da auf ihre Art gegen die Spaltung stemmen.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Svenja ist die Beste. Wo bleibt das Foto?

ppq hat gesagt…

Svenja will für ihre inhalte stehen, nicht für ihr äußerstes

Anonym hat gesagt…

OT
Jan Jochser on April 28, 2025 at 5:29 pm
Blödsinn. "Büchse der [Pandorra]"
Und den Roten Frontkämpferbund gab es gar nicht, außerdem
waren das alles Engelein.