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Bernd Lange stand lange im Schatten des ewigen EU-Abgeordneten Elmar Brok, seit der Mobilmachung zum Handelskrieg aber steht der 69-jährige Sozialdemokrat im vordersten Graben. Abb: Kümram.Buntstift |
Bernd Lange? Wer? Ein Name, den niemand kennt, ein Gesicht, das keinem etwas sagt. Doch jetzt tritt der erfahrene Sozialdemokrat aus dem Schatten seiner 30 Jahre im EU-Parlament ins Rampenlicht. Kaum jemand weiß es, aber Lange ist Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament, ein Posten von ähnlicher Bedeutung wie der des EU-Parlamentspräsidenten. Doch unbeeindruckt davon kämpft Lange als Einzelkämpfer im Handelskrieg.
Während der Rest von Europas Eliten vor Trumps Zöllen zittert, bleibt der Niedersache unbeugsam. Ja, Deutschlands Exportüberschuss steht auf dem Spiel – 70 Milliarden Euro. Doch der leidenschaftlichen Gewerkschafter hat Prinzipien, die anderes gewichten als Geld. Lange ruft zum Widerstand: Kein Deal zu US-Bedingungen, Europa muss stark bleiben, unbeugsam, hart. Ein Oldenburger Lehrer als Europas unerbittlicher Verteidiger.
Lehrer von Beruf, Belehrer aus Leidenschaft. Bernd Lange ist Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament, ein Mann, der schon so lange in Straßburg sitzt, dass er die großen Sozialdemokraten Schmidt, Wehner, Brandt und Schröder noch selbst erlebt hat. In drei Jahrzehnten, die der Mann aus Oldenburg im politischen Europa verbracht hat - nur einmal musste er für eine Legislaturperiode beim DGB Unterschlupf suchen, weil die Wähler ihn nicht mehr hatten haben wollen - ist der Sohn zweier selbständiger Tankstellenkaufleute zu einer mächtigen Figur auf dem alten Kontinent geworden.
Nie so gefragt wie heute
70 ist der studierte Theologe und Politikwissenschaftler heute. Und noch nie war er so oft medial gefragt wie heute. Lange ist, ungeachtet seiner schütteren Erwerbsbiografie, der richtige Mann am richtigen Platz in Zeiten, in denen Europa nach Helden sucht, die es ihm Kampf anführen. Der deutsche Kanzler taugt dazu nicht, er würde erklärtermaßen lieber einen schlechten Deal mit Donald Trump abschließen als mit dem ins Armdrücken darum zu gehen, wer einen Handelskrieg länger ausfechten kann.
Merzens Wirtschaftministerin Katherina Reiche denkt auch nur ans Geld, nicht an die Würde Europas und den Respekt, den die Welt der EU schuldet. "Pragmatisch" will die handeln und zur Not auch einknicken. Selbst Ursula von der Leyen, die gern auch einmal auf Krawall gebürstete Kommissionschefin, traute sich letztlich nicht, die viele vorbereiten und fast schon scharfgeschalteten Abwehrmaßnahmen gegen Trumps Zölle wie angekündigt in Kraft zu setzen. Natürlich werde die EU nicht tatenlos bleiben. Aber tun werde sie auch nichts. Wie immer werde die Kommission deshalb "in den kommenden Wochen weitere Gegenmaßnahmen vorbereiten, damit wir bestens gerüstet sind", zitierte die Kommissionspräsidentin sich selbst.
So viele verschiedene Interessen
In Washington kommt an, dass Europa kuscht, dass die Kommission in Brüssel die Konfrontation scheut, weil sie sich nicht der Unterstützung aller Mitgliedsstaaten sicher sein kann. Zu unterschiedlich gelagert sind die Interessen in einem Staat wie Griechenland, der dessen Handelsvolumen mit den USA bescheidene fünf Milliarden Euro umfasst. Die USA exportierten Güter im Wert von etwa 2,38 Milliarden US-Dollar nach Griechenland, während griechische Exporte in die USA rund 2,28 Milliarden US-Dollar betrugen. Anlass zu streiten hat keine der Seiten.
Anders sieht das für Deutschland aus, das Waren im Wert von 161,4 Milliarden Euro in die Vereinigten Staaten exportiert, von dort aber nur Waren im Wert von 91,4 Milliarden Euro importiert. Die 70 Milliarden Gewinn machen ein Drittel des gesamten Exportüberschusses aus, von dem Deutschland lebt. Gut, dass Europas größte Wirtschaftsnation Freunde in Brüssel hat, die sich mit all ihrer Kraft für sie einsetzen wie Handelskommissar Maroš Šefčovič.
Der tschechische Ex-Kommunist, der am Moskauer Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen studiert hat, führt seit Monaten erfolgreiche Verhandlungen mit Washington. Berlin drückt ihm alle Daumen, denn Handel ist EU-Angelegenheit. Deutschland selbst hat in diesem Bereich nichts zu bestellen.
Macron im Unklaren
Wie bei Griechenland ist die Handelsbilanz zwischen Frankreich und den USA ist nahezu ausgeglichen. Das macht Berlin still und Paris schrill. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron meldete sich sofort nach Trumps Zollankündigungen, um eine "beschleunigte Vorbereitung europäischer Gegenmaßnahmen" zu verlangen. Der kleine Napoleon ist innenpolitisch unter Druck. Ein kleiner Handelskrieg mit den Amerikanern, deren Ruf in Frankreich nie der beste war, käme ihm nicht unrecht.
Offenkundig hatte die Kommissionspräsidentin den Franzosen im Unklaren darüber gelassen, dass diese "Gegenmaßnahmen" schon im April soweit fertig und "von unseren Mitgliedstaaten nachdrücklich unterstützt" worden waren, dass sie sich damals "für 90 Tage" aussetzen ließen. Bis heute gingen alle "Vorbereitungsarbeiten für weitere Gegenmaßnahmen weiter", wie von der Leyen Richtung Amerika drohte. Dass Emmanuel Macron nun fordert, die EU-Kommission müsse "alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente, einschließlich des Mechanismus zur Bekämpfung von Zwangsmaßnahmen, mobilisieren", falls bis zum 1. August keine Einigung erzielt werde, wirkt fast wisse der eine in Europa nicht, was der andere tut.
Sätze aus Stein gemeißelt
"In der europäischen Einheit ist es mehr denn je die Aufgabe der Kommission, die Entschlossenheit der Union zu bekräftigen, die europäischen Interessen entschlossen zu verteidigen", so sprach der Präsident in einem Satz wie aus Stein gemeißelt. In der Einheit. Mehr denn je. Die Aufgabe der Kommission. Die Entschlossenheit zur Entschlossenheit.
Auf dieser Grundlage aus tapfer tutenden Trompetentönen unterstützt Frankreich allerdings keinen sofortigen Angriff Europas, sondern doch nur "die EU-Kommission bei den Verhandlungen, um bis zum 1. August eine für beide Seiten akzeptable Einigung zu erzielen". Im Weißen Haus herrscht Jammern und Zähneklappern. Nicht einmal Trumps übelste Konsorten hatten mit dieser harschen Reaktion gerechnet.
Die werde nicht nur eine sein, mit der alle leben können, so Macron, sondern sie müsse "den Respekt widerspiegele, den sich Handelspartner wie die EU und die USA mit ihren gemeinsamen Interessen und integrierten Wertschöpfungsketten schuldeten". Macron, bekanntermaßen kein Politiker, dem es am Mut fehlt, auch einen überlegenen Gegner frontal anzugreifen, reiht sich damit ein in die Versammlung windelweiche Appeasementverfechter, die glauben, das beste Geschäft mit Trump mache der, der dem US-Präsidenten zu Willen sei.
Unbekannter Handelskrieger
Für den Rest ist Bernd Lange da, (SPD), der erfahrene Europaparlamentarier, den in Deutschland kaum jemand kennt, der aber noch nie in seinem ganzen grauen Abgeordnetenleben so berühmt war wie in diesen Tagen des Handelskrieges. Bernd Lange ist in diesen Wochen und Monaten in den Zaubertrank gefallen. Der 69-Jährige, zuletzt berufstätig zwischen 2005 und 2009 als Abteilungsleiter „Wirtschaft, Umwelt und Europa“ beim DGB-Bezirk Niedersachsen – Bremen – Sachsen/Anhalt, hat die Rolle als Europas erster Angreifer verinnerlicht. Mögen andere einer sanften Strategie das Wort reden, nach Kompromissen rufen und auch Angst vor Milliardenschäden bereit sein, sich mit der zweit- oder drittschlechtesten Lösung zufriedenzugeben.
Lange, der seine Wirtschaftserfahrung einer Tätigkeit als Aufsichtsrat der Salzgitter AG, der Peiner Träger GmbH, der Hannover Holding GmbH und als Verwaltungsrat der Europäischen Chemikalienagentur verdankt, zieht durch die Lande und warnt "vor einem Deal zu amerikanischen Bedingungen".
Der große Gewinner
Was auch immer beschlossen werde, es "muss in beiderseitigem Interesse sein, sonst gibt es keinen", malt er eine rote Linie, hinter die Europa nicht zurückfallen kann, wenn es nach ihm geht. Geht es nicht, aber den EU-Oldie aus Oldenburg vermag das nicht zu stoppen. Bernd Lange fordert "klare Garantien von Washington", ehe die EU ihre komplizierte Zustimmungsmaschinerie anwirft.
Für den Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande (2001) steht die wie ein mächtiger Schutzschirm zwischen der Versuchung, ein schnelles Ergebnis erreichen zu wollen, wie es Großbritannien, Vietnam und China gelang. Und der Notwendigkeit, selbst als großer Gewinner aus den Handelskriegen hervorzugehen. Bernd Lange ist Europas Speerspitze in den Handelsgefechten. Der EU-Abgeordnete, der in seinem ganze langen Leben 15 Jahre in einem bürgerlichen Erwerbsberuf tätig war, ist die Stimme der Handelsopfer, die nicht gehört werden. Unterwerfen könne sich Europa gar nicht, sagt er, die Bürokratie verhindert es.
"Wenn Zölle geändert werden, muss das Europäische Parlament zustimmen", sagt der Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (2018). Das aber habe der EU-Kommission längst "deutlich gemacht, dass wir einem einseitigen Abkommen mit den USA nicht zustimmen werden". Donald Trump wisse das und ihm sei klar, dass die Europäische Union ihre Gesetze sicherlich nicht für ein Linsengericht aus dem Weißen Haus ändern werde.
Europa bleibt aufrecht
Um die hohen Standards bei der Lebensmittelsicherheit, die Genfreiheit und das erst jüngst beschlossene Recht auf Reparatur beneidet die ganze Welt die 440 Millionen Nutznießer in Europa. An solche Vorgaben müssten sich auch die USA, halten, "wenn sie bei uns Geschäfte machen wollen". Da ist der Weltpolitiker Bernd Lange unerbittlich.
Viele Ergebnisse, die in einem späteren Kompromisspapier stehen werden, hat das IG-Metall-Mitglied deshalb vorab bereits festgeschrieben. Hormonbehandeltes Rindfleisch bleibe weiter tabu, aber über die gegenseitige Anerkennung von Crashtests könne man reden. Die gute Nachricht sei, dass Europa vorbereitet sei: "Wir haben in den letzten Jahren bereits viele Schritte unternommen, um unsere Widerstandsfähigkeit zu stärken – im Energiesektor, bei der Digitalisierung, bei den Lieferketten", verweist Lange auf bereits erreichte Erfolge, die Europa immunisieren gegen Angriffe aus Amerika. "Diesen Weg müssen wir nun konsequent weiterverfolgen."
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