Sonntag, 7. September 2025

Nina wer?: Die Farblose

Nina Warken Bundesgesundheitsministerin
Nina Wer hat als neue Bundesgesundheitsministerin die Nachfolge des Königs der Talkshows angetreten. Abb: Kümram, Buntstift auf Röntgenfilm

Er ging nicht mit einem Knall und lautem Schimpfen wie andere. Er verschwand auch nicht ins amerikanische Exil wie die früheren grünen Stars Annalena Baerbock und Robert Habeck. Im Gegensatz zu anderen Spitzenkräften der Ampel-Koalition, die ihr Heil in der Flucht ins faschistische Amerika suchen, war sich Prof. Karl Lauterbach nicht zu schade, auch jenseits des Rampenlichtes weiterhin Kärrnerarbeit zu leisten.  

Durch Zufall ins Amt 

Stehenbleiben, wenn andere fliehen. Aufrecht bleiben, wenn sich die Kollegen verschreckt von der Wirklichkeit wegducken. Das ist Karl Lauterbach, der ganz am Ende seiner langen politischen Laufbahn durch einen pandemischen Zufall in ein Amt gespült worden war, das noch Tage vor dem Ausbruch von Wuhan unerreichbar gewesen war. Niemand kannte den Hinterbänkler, einen kleingewachsenen, schmächtigen Mann mit so schlechten Zähnen, dass sie auf Besucher aus zivilisierten Staaten wie ein Aushängeschild des maladen deutschen Gesundheitswesens wirken. Lauterbach nutze die Chance, die er nicht hatte. Er sprang in die Lücke, als die Nation dringend einen Warner, Mahner und Maßnahmenforderer suchte.

Der frühere Christdemokrat, in der ersten Phase seiner politischen Laufbahn bekannt geworden durch seine demonstrativ gepflegte Vorliebe für Fliegen, war plötzlich überall, in jedem Fernsehsessel saß er und klärte auf. Kein Weg führte an ihm vorbei, als es vorüber war. Lauterbach wurde Gesundheitsminister. Er blieb omnipräsent, ein Stachel im Fleisch der gesellschaftlichen Mitte, die sich nach Entwarnung und Versöhnung sehnte. So schnell er aufgestiegen war, so rasch endete seine Ära. Lauterbach litt, aber er zeterte nur leise. Und nach dem Ende der Fortschrittskoalition trat er bescheiden in die zweite Reihe. 

Dreh- und Angelpunkt 

Statt sich für die ganz großen Fragen ins Zeug zulegen und Pandemievorsorge, Krankenhauslandschaft und Hitzeschutz zu reformieren, arbeitet sich Karl Lauterbach seit der Neuordnung der Machtlandschaft an der Weltraumfrage ab. Als Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Forschung, Technologie, Raumfahrt und Technikfolgenabschätzung ist der 62-Jährige von seiner Partei zum Dreh- und Angelpunkt der deutschen Raumfahrtstrategie bestimmt worden. Acht Jahrzehnte nach Wernher von Braun zielt die darauf, das berühmte Aggregat 2 eines Tages wieder in die Luft zu bekommen. Karl Lauterbach hat aber noch mehr Aufgaben. Auch KI und Quantencomputerisierung gehen über seinen Tisch - eine Rolle, die der Mann aus Düren leidenschaftlich angenommen hat. "Diese Bereiche bestimmen unsere Zukunft", hat er bei seinem Amtsantritt gejubelt.

Neustart des nächsten Projektes 

Der "Start des eigentlichen Projektes" war beendet. Ein Neustart stand an. Lauterbach, im zurückliegenden Jahrzehnt Deutschlands erfolgreichster Talkshowgast, hadert nicht mit dem Verlust an Macht und Einfluss. Er macht das Beste daraus und schafft es mit seiner grundsympathischen Art auch ohne herausgehobenes Amt weiterhin gelegentlich auf die Geschwätzcouch. Bei "Maischberger" haben sie ihn noch auf der Stammgastliste, auch bei "Chez Krömer" durfte der "König der Talkshows" (FAZ) zeigen, was er noch draufhat.

Lauterbach weiß, dass man sich selbst im Gespräch halten muss, weil es sonst sicher kein anderer tut. Als Querschnittsgelehrter hat der studierte Arzt und Gesundheitsökonom beim amerikanischen Hassportal X eine Plattform gefunden, auf der mehr als eine Million Menschen an seinen Lippen hängt. Lauterbach predigt dort nicht mehr Seuchenschutz, Impfpflicht und den Aufbau von Kälteinseln, sondern Ressentiments gegen den amerikanischen Verbündeten, Skepsis gegenüber dem von seiner früheren Parteikollegin Ursula von der Leyen beschworenen tech leadership der EU und Warnungen vor "gramweise Salz"

Alles ist seine Kernkompetenz 

Auch die Energieversorgung gehört neuerdings zu Lauterbachs Kernkompetenzen: "Wenn jetzt zu viele Gaskraftwerke gebaut werden, statt Batteriespeicher, wird man doppelt zahlen müssen", hat er errechnet. Denn "Deutschland allein kann nicht verhindern, dass CO2 immer teurer wird - zum Glück für unsere Kinder." Die Botschaft ist klar, ihr Inhalt dunkel: "Wir waren Pioniere", schreibt Karl Lauterbach gedankenschwer, "jetzt treibt uns die AfD…"

Das liegt auch daran, dass nach ihm nichts kam. Die Neue im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) heißt Nina Warken, sie ist seit mehr als einem Jahrzehnt Berufspolitikerin, hatte es aber trotz einer multiplen Spezialisierung auf Inneres, Heimat. Verbraucherschutz, Asylrecht, Zivil- und Katastrophenschutz sowie Ehrenamt geschafft, ein unbeschriebenes Blatt zu bleiben. Die Chefin der Frauenunion, frühere Leiterin der Wahlrechtskommission und ehemalige Obfrau der CDU/CSU-Fraktion im NSA-Untersuchungsausschuss kam zur Lauterbach-Nachfolge wie die Jungfrau zum Kind. 

Aus dem Hut gezaubert 

Bis Friedrich Merz die 46-Jährige aus mehrfachen Proporzgründen unversehens aus dem Hut zauberte, war Warken nie als Gesundheitspolitikerin aufgefallen - ausgenommen das eine Mal, als sie die Ampelregierung aufforderte, endlich ein Gesetz vorzulegen, "das regelt, wann eine Impfpflicht eingeführt werden soll" (Warken). Mehr Äußerungen zu Gesundheitsthemen sind von der Nina Warken der Vor-Amtszeit nicht überliefert.

Wann, nicht ob. Auch Nina Warken wusste damals, dass es keine Alternative zur Durchimpfung gibt. In einem Kabinett, in dem ein früherer Gefreiter als Heerführer der bald "stärksten Armee Europas" (Merz) amtiert, ein Politikwissenschaftler ohne Berufserfahrung den größten Haushalt aller Zeiten verantwortet und ein Bankkaufmann den Klimaschutz und die nukleare Sicherheit vorantreibt, weil schließlich auch irgendwo ein Ostdeutscher bedacht werden musste, ist Warken damit fast schon überqualifiziert.

Nina wer? 

Doch genützt hat dieser Trumpf der aus Bad Mergentheim stammenden Generalsekretärin der CDU Baden-Württemberg bisher nichts. Auch vier Monate nach ihrem Amtsantritt ist Warken eine aus Merz' Ministerriege, der kein Platz im Ranking der beliebtesten Politiker vergönnt ist. Der emeritierte Karl Lauterbach hatte im zurückliegenden halben Jahr mehr Talkshowauftritte als sie. Selbst Oppositionssirenen wie die schrille Ostmulle Heidi Reichinnek und blasse Regierungsbeamtinnengenossen wie Bärbel Bas sind draußen im Land bekannter als die Frau, die in den großen Lauterbach-Stiefeln steht. Ein Kurzauftritt im "Morgenmagazin" war bisher der größte Coup ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Der Erfolg ist übersehbar: Warkens Name kommt in keiner Kennste-den-Liste vor.

Doch Nina Warken ist mit diesem Problem nicht allein. Auch die Namen ihrer Kabinettskollegen  Karsten Wildberger, Stefanie Hubig und Alois Rainer hat draußen im Lande noch nie jemand gehört. Dass eine Frau namens Reem Alabali Radovan ein Ministerium mit dem Titel Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung verantwortet und Patrick Schnieder für den Verkehr zuständig ist, gilt als Berlins bestgehütetstes Geheimnis. 

Grau ist der Auftritt der meisten neuen Minister*innen. Mit Baerbock, Habeck, Lindner und Lauterbach ist alles zirzensische, glamouröse und brusttrommelnde aus dem politischen Berlin gewichen wie ein Morgennebel. Namen wie Schall und Rauch regieren, Gesichter, denen jeder Wiedererkennungswert fehlt. Zudem haben die Neuen die Gebetsbücher ihrer Vorgänger geerbt - es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Predigten vorzutragen, die auch schon die lange Riege der heute meistenteils vergessenen Merkelminister und die Mitglieder des Scholzschen Spektakelkabinetts ohne Unterlass beteten.

Neue Warnungen vor alten Problemen 

Die Ausgaben steigen stärker als die Einnahmen, diesen Satz hat natürlich auch Nina Warken im Programm. Sie aber wolle die Kassenbeiträge ebenso stabil halten wie alle ihre Vorgänger. Dazu seien wie immer "Reformen" notwendig, denn ohne sei dieses Versprechen wieder nicht einlösbar. Auch der Halbjahres-Überschuss der gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 2,8 Milliarden Euro dürfe "nicht falsch interpretiert werden, er ist nur eine Momentaufnahme", mahnt sie. Für das kommende Jahr sei absehbar, dass die Beitragssätze "wieder unter Druck geraten" - ein zarte Umschreibung für den Umstand, dass auch ein Jahr nach Lauterbachs großer Krankenhausreform nicht genug Geld da ist, um damit auszukommen.

Warken, obschon fachfremd, hat Ideen, was dagegen getan werden müsste. Ohne zu zögern hat sich  vom Kabinett rasches Handeln gefordert. Konkret gebraucht würden "kurzfristige Maßnahmen und langfristig wirkende Strukturreformen." Sollten das nicht gelingen, drohten erneut Beitragssteigerungen, warnte die Ministerin. "Wir haben keine Zeit zu verlieren", sagte sie und kündigte auf längere Sicht die Einsetzung einer Expertenkommission an, die "zeitnah" Vorschläge zur Stabilisierung der Beiträge erarbeiten soll. 

Alle wollen es 

Nina Warken darf auf Unterstützung hoffen. Alle Koalitionsparteien sind sich mit Blick auf die Landtagswahlen im kommenden Jahr einig, dass die Beiträge nicht erneut steigen dürfen. Ab 2027 sollen sie dann schon mit Blick auf die nächste Bundestagswahl "stabilisiert" werden. 

Mit der Möglichkeit einer Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen für die Sozialversicherungen öffnet sich ein Fenster, um denen unauffällig noch etwas mehr abzuverlangen, die heute schon die sozialen Sicherungssysteme finanzieren. Rutscht die Grenze nach oben, wird ein größerer Teil der durch den Inflationsschub der zurückliegenden Jahre nominal aufgeblähten Einkommen beitragspflichtig. Obwohl die Kaufkraft der Löhne und Gehälter in Deutschland heute nicht höher liegt als im Jahr 2019.

Wer symbolisch mehr verdient, obwohl er sich davon nicht mehr kaufen kann, wird in Zukunft mehr Beitrag an die gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen zahlen, ohne dafür mehr Leistungen  zu erhalten. Und das, obwohl die Ampelregierung mit dem sogenannten "Transformationsfonds zur Finanzierung der Krankenhausreform" ein Instrument geschaffen hat, mit dem aus einen Schattenschuldentopf Milliarden zusätzlich zum Bundeszuschuss von 14,5 Milliarden Euro im Jahr fließen, um die Beiträge nicht komplett durch die Decke schießen lassen. 

Keine Überraschung, was die Kommission empfehlen wird: Warkens geplante "Maßnahmen" werden von ähnlichem Kaliber sein: Mehr Steuerzuschüsse, weniger Leistungen, mehr Zuzahlungen.  


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