Montag, 22. September 2025

Starke Truppe: Die traurige Ballade vom Soldaten Kevin

Fünfter von links: Kevin Segemüller war einer der jüngsten Teilnehmer am Ausbildungskurs zum Blitzkrieger, den die Bundeswehr vor sieben Jahren für Wehrwillige anbot.

Was denn tun ohne Bundeswehr, wenn der Russe vor der Tür steht?, diese akute und ernste Frage hat der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn aus gutem Grund aufgeworfen. Hält die Schuldenbremse, kann die Front nicht gehalten werden. Hält die Front nicht, kehrt das russische Besatzungsheer mit seinen Panzern und Panjewagen, den Kalaschnikows und Kastenbroten, den eingesperrten Muschiks und den nach Parfümfabrik riechenden Offiziersfrauen zurück.

Fragen eines Freiwilligen

Aber was tun mit Bundeswehr, wenn der Russe vor der Tür steht?, fragt sich der junge Bundeswehrsoldat Kevin Segemüller, seit er bemerkt hat, wie sich die veröffentlichte Meinung mehr schnell als langsam Richtung Kriegsbereitschaft wandelt. Kann sie die dünnen Linien einige Stunden halten? Oder einen Tag? Geht ihr die Munition sofort aus oder erst nach Sonnenuntergang? Und wird es der Bundestag überhaupt schaffen, auf die Schnelle eine Freigabe des Waffeneinsatzes parlamentarisch zu gestatten, ehe Putins Armeen durch Polen marschiert sind? 

Fragen eines Bürgers in Uniform, die kein Vorgesetzter gültig beantworten kann. Als sich Segemüller, gelernter Konditor und als Chef einer eigenen Eisdiele "gut ausgelastet", wie er sagt, vor sieben Jahren entschloss, Soldat zu werden, war davon noch nicht die Rede gewesen. 

Werbeaktion wirkt 

Segemüller, der aus dem Erzgebirge stammt, hatte damals von einer Werbeaktion der Bundeswehr gehört, die sich bereit erklärt hatte, nach dem Einfall der Russen auf der Krim Freiwillige im Schnellverfahren  zum Kanonenfutter auszubilden. "Ich fand, das klang sehr interessant und abenteuerlich", sagt der kräftige, sportliche Mittdreißiger im Rückblick. Obwohl der Ruf des deutschen Heeres seinerzeit "unglaublich mies" gewesen sei, fühlte er sich angesprochen. 

"Sie schrieben damals überall, dass die Gewehre dort nicht richtig schießen, die Hubschrauber immer nur in der Reparatur sind, die U-Boote undicht und die Panzer an Holland verleast." Aber er habe das nicht glauben wollen. "Ein Land wie Deutschland, das reichste der Welt, und die Armee muss Flugzeuge von ihren Feinden leihen, um ihre Truppen auf die Kriegsschauplätze zu bringen?", schüttelt er noch in der Erinnerung den Kopf. Er habe das für bösartige Gerüchte gehalten, "die ich mit meinem eigenen Einsatz auch ein bisschen widerlegen wollte".

Vater, Mutter, Kinder 

Kevin Segemüller hat Familie, ganz traditionell, beschreibt er, "so Vater, Mutter, Kind, allerdings zwei, Tochter und Sohn". Im Erzgebirge, wo er herkommt, halten sich die alten Werte einer  Gesellschaftsordnung, die längst obsolet geworden ist, wie Schnee im Frühjahr an den schattigen Stellen in den tiefen Tälern auf der Nordseite der Berge. Hartnäckig sitzen die Traditionen der Vorväter in den Seelen, Herzen und Hirnen, so viele Regenbogenfahnen auch gehisst werden.

Segemüller hat nichts gegen niemanden. Es solle doch jeder auf seine Weise glücklich werden, winkt er ab. Aber ihm das gleiche Recht zugestehen. Aus diesen überkommenen Vorstellungen von Freiheit, die nur dort endet, wo sie die Freiheit eines anderen einengt, rührte wohl auch Segemüllers atavistischer Drang, sich als Verteidiger von Heimat, Familie und Volk in eine altertümliche Rolle zu begeben. Sportlich sei er nie gewesen, sagt er. Auch mit der Nation und einer Volksgemeinschaft habe er im Grunde nie etwas anfangen können. "Das war mir immerzu abstrakt." Aber seinen Widerspruchsgeist, eine angeborene Eigenschaft, die sich gerade bei vielen männlichen Nachkommen der sächsischen Bergvölker findet, dem sei er "halt irgendwie auch ausgeliefert".

Der Widerspenstige 

Die Bundeswehr rief, damals, als Heer, Marine und Luftwaffe landauf, landab als Lachnummer galten. Die Gewehre schossen nicht, die Hubschrauber waren dauerhaft zur Reparatur, die U-Boote lagen in der Werft und um ein einziges kleines Kriegsschiff nach Asien fahren zu lassen, brauchte das Verteidigungsministerium ein halbes Jahr Vorbereitungszeit.

In Segemüller klang etwas an, als er an einer Bushaltestelle das große Plakat warb, das versprach, jedermann und jede Frau binnen von nur drei Wochen zum Bundeswehr-Reservisten auszubilden. "Für den Urlaub in dem Jahr damals hatten wir ohnehin noch nichts geplant", erinnert er sich, "also habe ich zu meiner Frau gesagt, warum machen wir das nicht mal?" Sanny, wie er seine Sandra nennt, sei immer für Abenteuer und Experimente offen und statt zum Bergsteigen, Tauchen oder Faulenzen am Strand zu fliegen drei Wochen in einer Kaserne zu verbringen, als wäre man ein richtiger Soldat, "das fand sie spannend". Beide hätten sie sofort Demi Moore als GI Jane vor Augen gehabt. "War doch total heiß, wie sie sich damals radikal den Kopf rasiert hat", sagt Segemüller. 

Schnellausbildung zum Kanonenfutter 

Dass es in den 21 Tagen einer Schnellausbildung zum Kanonenfutter nicht ganz so hart zur Sache gehen werde, hofften beide trotzdem. "Uns war ja klar, dass das kein Out of area-Einsatz wird, sondern wir nur die Basis dafür legen, dass wir einem möglichen Invasionsheer selbstbewusst entgegentreten können. "Wir haben uns die Bundes-Blitzkrieger genannt", schmunzelt er. Niemand habe dabei aber unselige Erinnerungen an die dunklen Kapitel der deutschen Geschichte heraufbeschwören wollen. "Es ging nur darum, dass wir das Kriegshandwerk eben in Höchstgeschwindigkeit erlernen durften. 

Abgesehen von einem einzigen Mal, als er selbst auf einer Ranch in Kanada auf Einladung des Gastgebers ein paar Schüsse aus einem Trommelrevolver auf eine Zielscheibe hatte abgeben dürfen, sei er "militärisch quasi unbeleckt", sagt Segemüller. "Also denke ich, dass auch ich aufgrund der geopolitischen Veränderungen zukunftsfähig werden und dazu neue Wege beschreiten muss." 

Abschreckende Bürokratie 

Enttäuscht worden ist der Sachse nicht. Natürlich werbe die Bundeswehr nicht nur um Fachkräfte ohne Militär-Erfahrung für die Reserve, sondern sie quäle diejenigen, die sich melden, auch mit einem echten deutschen Bürokratie-Chaos, durch das die neuen Blitzkrieger in spe oft endlos hingehalten und am Ende sogar abgewiesen werden. Sandra und Kevin Segemüller haben das als Herausforderung gesehen. "Wir konnten zeigen, dass wir nicht so leicht aufgeben", sagt Segemüller stolz. Er gehe nach seinen Erfahrungen allerdings davon aus, dass im Ernstfall alles schneller, besser und unbürokratischer laufen wird. "Steht der Russe vor Vilnius, wird in den Wehrämtern niemand mehr viele Fragen stellen."

Ganz vorn dabeigewesen zu sein und mit privater Initiative eine Streitmacht gestärkt zu haben, die über die zurückliegenden zwei Jahrzehnte ganz allein und ausschließlich mit dem Kampf gegen ihre inneren Feinde beschäftigt zu sein schien,  hat Segemüller mit einem guten Gefühl ausgestattet. "Aus heutiger Sicht denke ich, dass sich meine jugendliche Widerspenstigkeit damals noch mal geregt hat", sagt Segemüller. Wie in seinen Teenagerjahren, als er mit zerrissenen Jeans, Punkerfrisur und Doc-Martens-Stiefeln fast schon reflexhaft gegen die Baseballschlägerjahre protestiert habe, sei er als Familienvater, Unternehmer und Steuerzahler innerlich auf Krawall gebürstet gewesen, als es geheißen habe, Deutschlands bunte Familienarmee habe keine Chance gegen Putins entmenschte Truppen.  

Zitternde morsche Knochen 

"Ich dachte wirklich, Leute, das kann doch nicht wahr sein", sagt er, "vor ein paar Jahren sind deutsche Truppen noch fast bis Moskau durchmarschiert und jetzt zittern die morschen Knochen, wenn der Kerl im Kreml hustet?" Heute wisse er, dass die Realität eine andere sei, je nachdem, ob Putin gerade hochrüstet, um nach der kleinen Ukraine möglichst schnell auch den ganzen großen Westen anzugreifen. Oder ob gerade eine dieser Woche abgehalten werde, in denen Russlands Panzervorräte schrumpfen und dem neuen Zaren die Munition oder die Mannschaften ausgehen.

Doch egal, wie auch immer. Kevin Segemüller weiß, dass seine Kameraden nicht wanken und nicht weichen werden. "Wenn du diese Einheit überrennst, dann freue dich nicht zu lange", sagt er mit Blick nach Osten. Es werde vielleicht zwei Stunden oder auch vier Wochen dauern, "aber dann ereilt dich ein Gegenschlag". Den werde die Bundeswehr zwar nicht mehr selbst ausführen können, doch sie werde Zeit gekauft haben, um die amerikanischen Entsatztruppen anrücken zu lassen. "Mir wäre es egal", sagt Segemüller, "denn ich bin dann nicht mehr da. Aber Hauptsache, wir gewinnen."


2 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

>> nach Parfümfabrik riechenden Offiziersfrauen

Das stinkt mir heute noch sobald die S-Bahn-Tür aufgeht und das erste der Geruch der Marke Roter Oktober ist, der mich von nun an bis Fahrtende begleiten wird. Der Geruch ist schneller in den Nüstern als die Frau in den Wagen geklettert.

Anonym hat gesagt…

OT Wort zum Sonntag / via Presseagentur B. Zeller

Skandal? Dachte ja einen Moment, dass die da einen Muezzin hingesetzt haben, der seinen Salat (صلاة) in die Kamera plärrt. Aber schade, war bloß eine Konformistin evangelischen Bekenntnisses (100% Konformistenquote) , die der Teufel geritten haben muss. Bzw reitet.