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Eben noch Faschisten, jetzt nur noch "fanatische Christen" wie Papst Leo XIV. Beim "Spiegel" hat eine grundlegende Neubewertung des US-Präsidenten stattgefunden. |
Gestalterisch geschmackvoll, kühl, analytisch und unumwunden direkt auf den Kern zielend: Mit seiner mit dem Wort "Gotteskrieger" überschriebenen Titelgeschichte nimmt das frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" seine verbliebenen Leser mit in den ultrarechts-christlich-nationalistischen Komplex, der von Washington aus die heute schon die Vereinigten Staaten regiert. Und sich anschickt, seine Macht auf den Rest der Welt auszudehnen. Im Zeichen von Bibel, Kreuz und Donald Trump, so ist es auf dem Titelbild zu sehen, zieht "die freundliche Armee Gottes" (Der Spiegel) aus, Jahrhunderte der Aufklärung vergessen zu machen.
"Jung, weiß, kinderreich"
Geht es nach den neuen Kreuzrittern, die Reporter Jörg Schindler in und um das Kabinett Donald Trumps ausgemacht hat, soll die Welt wieder "jung, weiß, kinderreich und ausgesucht höflich" werden. Mit den "Kreuzfahrern von heute", die der deutsch-amerikanische Schriftsteller Stefan Heym in seinem Buch "The Crusaders" beschrieb, haben die vom "Spiegel" vorgestellten Gotteskrieger nichts zu tun. Heyms GIs, der Autor war selbst einer, zogen aus, Hitler zu besiegen und Europa vom Faschismus zu befreien. Trumps Vizepräsident JD Vance und sein Verteidigungsminister Pete Hegseth hingen seien "erzkonservative Bibelfanatiker", die die USA "in einen theokratischen Staat verwandeln" wollten.Die mit der Wahl des Wortes "Gotteskrieger" bezogene Parallele zum Islamischen Staat, zu Al Kaida und den Taliban ist gewollt. Das immer noch größte deutsche Nachrichtenmagazin setzt eine demokratisch gewählte Regierung, die deren Mitglieder wie alle ihre Vorgänger sei 250 Jahren auf die Bibel geschworen haben, mit Islamisten, Terroristen und theokratischen Diktaturen wie der im Ian, in Syrien oder im Gaza-Streifen gleich. Die von einer Mehrheit der Amerikaner gewählte Administration steht damit auf einer Stufe mit Gotteskriegern, die in Afrika Menschen abschlachten, weil sie an den falschen Gott glauben. Und mit mörderischen Regimes, die am Tag drei Todesurteile vollstrecken.
Instrumentalisiertes Attentat
Keine drei Wochen nach dem Mord an Trumps prominenten Unterstützer Charlie Kirk ist die Zeit gekommen, das Attentat endgültig zu instrumentalisieren. Hatten Dunja Hayali, Elmar Theveßen und andere Prominenten Kirk noch mit ein paar abwertenden, gehässigen Sätzen selbst für seine Ermordung verantwortlich gemacht, schafft es der "Spiegel" jetzt, dem "bei einem Attentat in Arizona getöteten Influencer" in Grab nachzurufen, er habe "bis zu seinem Tod zahllose junge Amerikaner mit seinen rechtsreligiösen und rechtsextremistischen Ansichten berauscht". Und anschließend dafür gesorgt, dass Trump versprach, "Gott jetzt erst recht und wie nie zuvor" ins Alltagsleben zurückbringen zu wollen - auf einer Gedenkfeier mit 90.000 Gästen, die "zusehends einer evangelikalen Rekrutierungsmesse glich".
Der Mord an Kirk selbst spielt keine große Rolle mehr, was genutzt wird, um Angst davor zu schüren, dass Amerika "unter Bibeldiktat" gestellt werden wird, sind die Reaktionen der nach dem Anschlag auf Donald Trump in Pennsylvania zum zweiten Mal von einer Attentäter getroffenen Republikaner. Trumps Erwähnung des "Hasses", der er spüre, und der versprochene "gerechte Zorn", mit dem mögliche Hintermänner des Mordes verfolgt werden sollen, werde in der Darstellung des Magazins zu den Vorboten eines Kreuzzuges gegen Demokratie, Freiheit und die uramerikanischen Werte.
Die wahre "Macht des Bösen"
Es sind hier die Bösen, die mit dem Linksextremismus die "Mächte des Bösen" beseitigen wollen, die aus dem Hamburger Blickwinkel doch für das Gute stehen. Zu traurig, dass es nach der Ermordung Kirks nicht zu ähnlichen Szenen wie nach dem Tod von George Floyd kam. Aufgebrachte Bürgerrechtler plünderten damals Supermärkte, sie verprügelten Menschen, die anders aussahen oder sich ins falsche Stadtviertel verlaufen hatten, und sie lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. In der "Welt der extremistischen Christen" hat die Witwe von Charlie Kirk dem Mörder ihres Mannes vergeben. Im "Spiegel"-Text wird es bedrohlich, als Pastor Jared Longshore verkündet: "Gottesdienst ist für uns Kriegsführung."
Es herrscht im Text ansonsten akuter Mangel an greifbaren Beweisen dafür, dass Trump gerade dabei ist, einen Gottesstaat zu errichten. Ja, der Vorstadtpfarrer sagt: "Christus oder Chaos". Ja, Verteidigungsminister Pete Hegseth hegt eine "gewisse Begeisterung für Kreuzritter". Doch handelt es sich bei der Tatsache, dass "kein Mangel an Kirchen in der Hauptstadt der USA" herrscht, wirklich um einen Hinweis darauf, dass der "graubärtige Prediger" Douglas Wilson als Teil eines "weitverzweigten globalen Netzwerks namens Communion of Reformed Evangelical Churches" nicht nur "wie Gottes Berserker" gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau wettert? Und gegen eine "angebliche Überfremdung Amerikas durch Nichtprotestanten" predigt. Sondern dabei auch von mehr Menschen ernstgenommen wird als die katholischen Bischöfe Deutschlands, wenn sie zu "mehr Klimaschutz" aufrufen?
Eine dünne Suppe
Es ist eine dünne Suppe, die der "Spiegel" zum ökumenischen Abendmahl reicht. Ein Gottesmann aus Idaho, der "mit umgeschnalltem Flammenwerfer Disney-Figuren abfackelt" wie revolutionäre Gruppen in Deutschland Hochspannungsmaste, muss als Beispiel für die gewalttätigen Kämpfer für eine "amerikanische Theokratie" herhalten. Und der bis eben noch nicht gerade als gottesfürchtig bekannte 47. US-Präsident tritt hier als Aufbauhelfer des geplanten Gottesstaates auf. Trump habe "eine Vielzahl" seiner, wie er sagt, "herrlichen Christen in den innersten Zirkel der Macht geholt". Damit werde "das Gebot der Trennung von Staat und Kirche aufgeweicht", analysiert der Reporter aus dem Land, dessen größte Regierungspartei den Namen "Christlich Demokratische Union" trägt.
In der Not, den "herrlichen Christen" um den eben noch als Faschisten auftretenden Trump keine Vielzahl von religiösen und ethnischen Säuberungen nachweisen zu können, lässt Jörg Schindler seine Fantasie schweifen. Trumps Christen seien eben "nicht irgendwelche Christen". Pentagonchef Hegseth etwa hänge "dem Glauben an, dass die Bibel, und nur die Bibel, das Maß aller geistlichen und weltlichen Dinge zu sein hat". Ein Missverständnis, wie es auch die Kirchen in Deutschland fortgesetzt verbreiten, wenn sie behaupten , die Bibel, das sogenannte "Buch der Bücher", enthalte als Wort Gottes die Richtschnur für das Leben, nach der Gläubige zu handeln hätten.
Eine militante Mission
Die ausgiebige Warnung vor den "christlichen Nationalisten", die aus der Heiligen Schrift "nach Gutdünken" auch "Frauen-, Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit, blanken Rassismus und weiße Überlegenheitsfantasien" herauslesen, wirkt im ersten Moment wie ein weiterer Versuch, Trump als das absolut Böse darzustellen. Seine "Regierung befinde sich auf einer militanten Mission", um aus dem Land ein weißes christliches Amerika" zu machen, heißt es. Und das passt genau in die zuletzt ausgerufene "Hatz auf seine Feinde und alle Andersdenkenden hat begonnen – in Medien, Museen und Bibliotheken".
Trumps Bruch mit Hinwendung zu einer "woken" Politik der Vielfalt, die sich mit einer Brandmauer umfangreicher Zensurvorschriften vor Kritik schützt, wird als Kampf gegen liberale Demokratie eingeordnet - unter Zuhilfenahme des Umstandes, dass "liberal" nach deutschem Verständnis für Liberalismus Marke FDP steht. Nach amerikanischem aber für linke, grüne und sozialdemokratische Grundüberzeugungen.
Eine Verschwörungstheorie
Das Bemerkenswerte an der vom "Spiegel" so sorgsam ausgearbeiteten Verschwörungstheorie, christliche Nationalisten und fanatische Gotteskrieger seien dabei, der USA eine "autoritäre Umgestaltung" zu einer "abgeschotteten, protoamerikanischen, biblisch geprägten Nation" zu verpassen, ist der Umstand, dass die im ersten Moment als Geschichte einer Radikalisierung zu lesende Geschichte eigentlich die Geschichte einer Normalisierung beschreibt. Schon vor zehn Jahren, als sich Trump zum ersten Mal anschickte, US-Präsident zu werden, wurde der Republikaner nicht nur als "Hassprediger" (Frank-Walter Steinmeier) beschimpft, sondern auch als Zentrum einer neuen faschistischen Bewegung gesehen. "Heil Trump!" wurden Berichte über den "Faschismus made in USA" (Deutschlandfunk) überschrieben.
Dass der 46. Präsident in seinen ersten vier Jahren keine Anstalten machte, die Vereinigten Staaten zur amerikanischen Version des Dritten Reiches umzubauen, vermochte nicht zu verhindern, dass der Anlauf zu seiner zweiten Präsidentschaft ihm nicht nur Bezeichnungen wie "Irrer" und "Putin-Freund", "Milliardär", "Frauenfeind", "verurteilter Straftäter" und "Rassist" eintrug, sondern auf den letzten Metern auch eine Woge an Bezichtigungen, er sei ein "Faschist" (Die Zeit) und natürlich der Wiedergänger Adolf Hitlers.
Der Tanz mit Mussolini
Der mediale Tanz mit Mussolini endete wenige Tage nach Trumps Wiederwahl wie mit einer Schere abgeschnitten. Furchtsam und eingeschüchtert blickten Brinkbäumer, Theveßen, Doemen und Rodriguez nach Washington. Die Redaktion in Hamburg, die Trump bis dahin häufiger auf ihr Titelblatt gerückt hatte als irgendeinen anderen lebenden oder toten Menschen, begnügte sich 2025 bislang mit nur noch fünf Coverbildern. Nur dreimal war Trump allein abgebildet – als "Imperator", "Raubritter" und "Weltpolizist".
Er verschlang keine Welten mehr, köpfte nicht die Freiheitsstatue, trug keine Klu-Klux-Klan-Uniform und verbündete sich nicht mit Diktatoren, um die Menschheit atomar auszulöschen. Noch kein ganzes Jahr vor seinem Wahltriumph gegen die favorisierte Kandidatin Kamala Harris verschwand die Beschreibung Trumps als „Faschist“ selbst dort, wo Festmeter Papier mit vermeintlichen Nachweisen bedruckt worden waren, dass der Faschismus genau so aussieht. Aus Hitler wurde ein christlicher Glaubenskrieger, aus dem Faschisten ein Frömmler. Wissenschaftlich ist inzwischen belegt, dass Trump „Nationalismus mit evangelikalem Fundamentalismus“ (Die Zeit) verbindet. Von Faschismus, bis März scheinbar unbestreitbar nachgewiesen, kann offenbar doch nicht die Rede sein.
Eine Entwarnung ist das nicht, zumindest soll es keine sein. Trump versuche jetzt nicht mehr, in die 1930er Jahre zurückzukehren, sondern „das Rad um Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte zurückzudrehen – in eine Zeit, in der Männer noch Männer waren und Konflikte auf ihre eigene Weise lösten: mit Gottvertrauen und Revolver“, schreibt Jörg Schindler über die "betont maskuline rechtsaußen Antwort auf eine als feminin und moralinsauer empfundene Identitätspolitik von links".
Nicht mehr die Neonazi-Gruppen, die gerade noch als seine Basis dargestellt wurden, sondern die „Bibelfanatiker“ gelten jetzt als Grundlage seiner Macht.
1 Kommentar:
In dem Zusammenhang sei an ein erst kürzlich vorgestelltes Cover erinnert, daß eine Ikone in den Schützengräben der Ostfront werden könnte.
Wenn ich Ikonenmaler wäre, ich täte das irgendwie in einem halbindustriellen Verfaahren adaptieren, daraus vergoldete Hosentaschenikonen gestalten und den orthodoxen Russen, die an der Front sind, für schmales Geld verticken.
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Manchmal ist Haßpropaganda auch ein Rohrkrepierer und geht nach hinten los.
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