Für den Alt-Liberalen Wolfgang Kubicki wäre es das Ende der Freiheit. Für das Computermagazin Heise ein Angriff auf die Privatsphäre. Der Schweizer Messengerdienstbetreiber Threema hält die geplante Chatkontrolle für unvereinbar mit der Datensicherheit. Die Chefin des Messengers Signal hat sogar schon angekündigt, dass ihre Firma sich aus der EU zurückziehen werden, wenn die EU-Kommission sich mit ihren totalitären Vorstellungen von einer dauerhaften Überwachung aller in jedem Übertragungsweg durchsetze. Ein Aufreger, um den selbst das frühere Nachrichtenmagazin "Spiegel" nicht ohne ein paar laue Zeilen herumkommt. Für die "Tagesschau" und "ZDF heute" hingegen, die beiden großen, fastamtlichen Nachrichtenportale des Landes, ist die Einführung der umfassendsten und tiefgreifendsten Überwachungsgesetze, die Europa jemals hatte, kein Thema.
Die größte Sorge in Mainz
Es geht doch nur den Kampf um Kinderpornos, hat die "Tagesschau" das Hauptargument der Kommissionschefin zuletzt übernommen. Das ZDF gab sich leicht besorgt. "Können wir bald keine Bilder mehr whatsappen" war die größte Sorge, die Mainz umtrieb. Wer nicht in den dunklen Ecken des Internets liest, erfährt von den Grundversorgern nichts über den geplanten und schon fast vollendeten Angriff auf die Grundrechte seit den Corona-Ausnahmemaßnahmen. Weder Proteste aus der Wissenschaft noch Warnungen von Internetformen oder Petitionen konnten den Drang der Kommission und eines Großteils der Regierungen der EU-Staaten nach lückenloser Kontrolle bisher stoppen.
Nur Friedrich Merz stand bisher zwischen der Rückkehr der Stasi als KI-Filter. Doch der Bundeskanzler, geplagt von mehr Problemen als er selbst noch überschauen kann, deutet seit Tagen auch in diesem Handlungsfeld Bereitschaft zum Umfallen an. Nachdem er die Schuldenbremse abgeräumt, die Strompreisbremse abgesagt und den Amerikaner einen Blankoscheck für höhere Rüstungsausgaben ganz nach Washingtons Wünschen überreicht hat, sind jetzt das Brief-, Post- und das Fernmeldegeheimnis dran.
Sie seien unverletzlich, sagt das Grundgesetz in Art. 10 Abs. 1 GG. Aber die Organisatoren des konzertierten Angriffs auf dieses sogenannte Kommunikationsgeheimnis arbeiten mit einem Trick: Weil sie nicht mitlesen dürfen, soll eine KI mitlesen. Die sei kein jemand, sondern ein etwas. Was sie lese, wisse sie gar nicht.
"Was hier geplant wird, ist nichts anderes als der digitale Generalverdacht", heißt es bei X. Jeder Bürger werde vorsorglich zum potenziellen Straftäter erklärt. "Jede Nachricht, jedes Bild, jede Datei: gescannt, analysiert, verdächtigt, nicht von einem Menschen, sondern von einem fehleranfälligen Algorithmus, der weder Ironie noch Kontext kennt, aber dafür umso besser darin ist, falschen Alarm auszulösen und private Daten in die Hände von Behörden zu spielen."
Ein Gesetz, das unter Anleitung einer Politikerin erdacht und ausformuliert wurde, die ihren Aufstieg ihrem Vermögen verdankt, ihre digitalen Spuren stets rechtzeitig zu löschen. Inzwischen lässt Ursula von der Leyen sogar schon automatisch löschen. Um wertvollen europäischen Speicherplatz zu sparen. "Orwell wäre beeindruckt, Honecker neidisch."
Fehlende Rechtsgrundlage
Die Logik folgt der der automatischen Verkehrsüberwachung, bei der sämtliche Fahrzeugbewegungen samt Insassen und Kennzeichen durch Kameras aufgezeichnet werden, nach einer automatischen Auswertung aber nur die gespeichert bleiben, bei denen automatisiert Verstöße entdeckt wurden. Gerichte lehnten das als Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Autofahrer ab, öffneten aber eine Hintertür: Es fehle an einer "passenden Rechtsgrundlage für diese Form der Überwachung" urteilte das Amtsgericht Trier im Urteil zum Fall Monocam (AZ: 27c OWi 8041 Js 2838/23).
Die EU schafft sie, entschlossen, wenigstens auf dem Schlachtfeld, auf dem sie gegen ihre Bürger kämpft, technologisch führend zu bleiben. Der digitale Euro muss noch etwas warten, zu viele technische Fragen sind ungelöst, ehe das Gemeinschaftsgeld bis auf den Groschen genau über Jahre zurückverfolgt werden kann. Bei der eIDAS und dem "European Digital Identity Wallet" (EUDI-Wallet) wiederum, gedacht dazu, jeden Menschen auch im Internet jederzeit identifizieren zu können, wiederum besteht eine gute Chance, dass das Projekt verreckt wie die Elektronischen Patientenkarte.
Aushebeln der Verschlüsselung
Beim Aushebeln der Verschlüsselung der Kommunikation, die die EU selbst mit der Datenschutzgrundverordnung, dem Digital Service Act, dem Cyber Resilience Act und NIS2-Richtlinie zum verpflichtenden Standard gemacht hatte, dürften sich die Wertegemeinschaft der 27 jedoch auf die Mithilfe der Firmen verlassen: Die müssten die Hintertüren für das "Client-Side-Scanning" schaffen, durch die jede Mail, jede Chatnachricht, jede SMS, jeder Facebook-Eintrag und jeder X-Post gescannt, geprüft und bewertet werden, ehe sie - selbstverständlich EU-vorgabengerecht verschlüsselt - gesendet werden. Die bis dahin verletzten Datenschutzrechte nach Art. 7/8 der EU-Charta treten dann wieder vollumfänglich in Kraft.
"Wenn die Chatkontrolle kommt, ist die EU als Freiheitsprojekt tot", warnt Wolfgang Kubicki, inzwischen der letzte Mann der FDP. "Sollte ein solches Gesetz zur Chatkontrolle auf den Weg gebracht werden, bezahlen wir nicht nur mit dem Verlust unserer Privatsphäre. Wir öffnen auch Tür und Tor für Angriffe auf sichere Kommunikationsinfrastruktur", sagt Elina Eickstädt vom Chaos Computer Club. Alarm. Signal-Präsidentin Whittaker sieht das Ende privater Kommunikation kommen. Marco Buschmann, auch er FDP, beschreibt die geplante Funktionsweise der so: Chatkontrolle sei, "als wenn man Briefe vorsorglich öffnet und man nachschaut, ob nicht etwas Illegales darin stehen könnte".
Kein Rechtsstaat mehr
Sowas habe im Rechtsstaat keinen Platz, glaubt der ehemals Justizminister, wohl ahnend, dass diese Art Rechtsstaat nicht mehr existiert. Seiner Nachfolgerin, einer SPD-Frau, würde nicht einmal ein Erfolg des Frontalangriffs der EU auf die Bürgerrechte reiche. Stefanie Hubig, einst Staatssekretärin bei Heiko Maas, dessen Netzwerkdurchsetzungsgesetz die totalitären Fantasien eines Erich Mielke links überholte, plant heute schon Gesetz zur Speicherung aller IP-Adressen.
Ein weiterer Versuch, die von höchsten EU-Gerichten schon mehrfach als grundrechtswidrig verworfene Einführung einer Vorratsdatenspeicherung noch einmal anzugehen. "Was wirklich bitter ist: Die Regierung ist sehr schnell, wenn es darum geht, Grundrechte einzuschränken", kommentiert Christian Dürr, ausgewiesen als "FDP-Vorsitzender" und in Sorge: Die Chatkontrolle öffne "das Tor für beispiellose Überwachung". Der Eifer von Union und SPD dabei, "bürgerliche Freiheiten einzuschränken, zeigt schmerzhaft, wie wichtig das liberale Korrektiv in der deutschen Politik ist".
Kein Westerwelle weit und breit
Aber die Partei der Westerwelles, Kubickis und Linda Teutebergs gibt es ja nicht mehr. Nur aus dem Off ruft Kubicki noch, Deutschland dürfe "diesem Frontalangriff auf die Bürgerrechte nicht zustimmen". Nur aus der APO tönt Dürr: "In einer Demokratie müssen die Menschen frei und ohne Angst vor Überwachung kommunizieren können". Die AfD warnt, die EU-Chatüberwachung stellt Bürger unter Generalverdacht. Die SPD schweigt wie der Digitalminister. Wenn Friedrich Merz in Kürze umfällt und eine weitere Grundposition der Union räumt, will niemand unter ihm zu liegen kommen.
Die Warner sind Folklore. Niemand hört auf sie, denn niemand hört sie überhaupt. Und die neuen Bürgerrechtsparteien - Grüne wie Linke - belassen es bei ritualisiertem Protest: "Verschlüsselung muss Standard bleiben – staatliche Hintertüren lehnen wir ab", sagen die Grünen. Der Kommissionsentwurf zur Aufhebung der Kommunikationsgrundrechte komme "einer faktischen Aufhebung des Briefgeheimnisses bei elektronischer Kommunikation gleich", klagte die Linke. Im März 2024.
Beide Parteien fordern beinahe wortgleich "stattdessen echten" (Grüne) oder aber "wirksamen" (Linke) Kinderschutz und sie gehen damit in die Falle, die ihnen die gewitzte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen aufgestellt hat. "Kinderschutz" ist frei erfunden, ein vorgeschobener Strohmann. Aber er wird überall dort gern angenommen, wo selbst unveräußerliche Grundrechte abgewickelt werden können, erscheint nur der damit erwirtschaftete Ertrag lukrativ genug. Die Totalüberwachung aller immer und überall als Preis dafür, "Kinder zu schützen", wie es offiziell heißt. Der Pauschalverdacht gegen jeden als Sicherungsmaßnahme. Ursula von der Leyen wäre nicht die, die sich ist, wüsste sie nicht: Dieses Tor ist groß genug, dass in Zukunft noch sehr viel mehr durchgedrückt werden kann.
Es riecht nach Stasi-Zentrale
Das Thema ist ohnehin keins, mit dem man Wahlen gewinnen kann. Grundrechte sind für den größten Teil der Medien, das ist seit der Corona-Pandemie bekannt, nicht mehr als ein Füllwort, das in Stellung gebracht wird, wenn es gerade passt. Auch die meisten Politiker wissen, dass ihnen der Schutz eines toten Igels mehr Stimmen bringt als der Einsatz für ein abstraktes Prinzip, das die meisten Bürger gegen hundert Euro bar und eine Bratwurst sofort abgeben würden. Wer nichts zu verbergen hat, hat schließlich auch nichts zu befürchten.
Wolfgang Kubicki weiß das auch. "Merz und seine Regierung gehen offenbar davon aus, dass dieses Thema nicht genug Menschen interessiert und man mit einer Zustimmung durchkommen könnte", mutmaßt der 73-Jährige. Mit der Chatkontrolle wird es also kommen, das Ende der Privatsphäre in Europa und damit das Geständnis der EU, dass vom "Freiheitsprojekt", als das sie einst startete, nur ein Trümmerhaufen übrig ist, der nach Stasi-Zentrale riecht. "Die EU droht, den digitalen Überwachungsstaat zu etablieren – nicht als Notlösung, sondern als neue Normalität", schreibt LibertyHannes: "Das ist diese Freiheit, die uns von Putin oder Xi unterscheiden soll? Ernsthaft?"
2 Kommentare:
Wollte grad über Buschmann scherzen, aber er war auch als Minister dagegen. Habe ich nicht erwartet. Kein bißchen.
Stichwort: 5G
Technische Überwachungsmöglichkeiten, die Orwells1984 wie heimlich am Elternschlafzimmer lauschende Kinderneugier wirken lassen.
Der freiwillig oder gezwungen digitalisierte Mensch wird zum gläsernen und ferngesteuerten Zombie, dem anonyme Mächte per Mouseclick die gesamte Existenz ausknipsen können. Kurze Abweichung von der verordneten Mainstream-Meinung, und du wirst per Hightech mittelaterlich mit der Acht belegt bzw. exkommuniziert.
Und wie die lieben Vielfalts-Demokraten reagieren, hat der Probelauf Corona gezeigt.
Vermutlich werden die nächsten Scheiterhaufen aber klimaneutral brennen.
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