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Stabile Verhältnisse: Die CDꓵ hält an der Brandmaꓵer fest. |
"Gegner bedürfen einander oft mehr als Freunde, denn ohne Wind gehen keine Mühlen."
Hermann Hesse
Hätte er nach dem Blinken nach rechts nicht sofort wieder scharf nach abbiegen müssen? Was sollte das jetzt mit den Töchtern, die schon Bescheid wüssten? Will Friedrich Merz nun klarstellen, dass er nicht mit der AfD? Oder dass er anstelle der AfD? Wieso traf sich die CDU-Spitze, um über die künftige Strategie im Umgang mit der derzeit in Umfragen mit Abstand stärksten politischen Kraft zu beraten, nachdem der Kanzler öffentlich bekräftigt hatte, dass das Fundament seiner Politik die Brandmauer ist?
Ricarda Langs Unsicherheit
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Friedrich Merz ist die Alternative für Deutschland. |
Im neunten Monat nach der Geburt der Großen Koalition, die von den Grünen "KleiKo" wie "Kleine Koalition" geschmäht wird, ist Friedrich Merz nicht viel weiter gekommen mit seinem Deutschlandplan. Der Sommer des Umschwungs verging ohne Umschwung, der Herbst der Reformen wird absehbar ohne Reformen vergehen. Statt Ideen hat der Kanzler Kommissionen und statt anzugreifen, ist er ständig damit beschäftigt, sich oder sich und seine bedrückende Bilanz zu verteidigen.
Gewinnen ohne Wumms
Längst ist Merz im Scholz-Modus angekommen, ohne das pappige Scholzsche Pathos zu erreichen. "Wir werden die wirtschaftliche Stärke unseres Landes zurückgewinnen", hatte er gerade versprochen, wo der Vorgänger noch mit "Wumms" und "Doppelwumms" und einem unweigerlich bevorstehenden grünen Wirtschaftswunder warb. Erste Signale, sagte Merz, seien da. Die reichten noch nicht. Doch: "Wir arbeiten daran, dass Deutschland wieder an die Spitze kommt: mit Leistung, Innovation und Zuversicht."
Ein Dreiklang aus aneinanderklappernden Worthülsen, das Merz als einen ausweist, der weiß, was er tut. Sein "Stadtbild", ein Wort, das spätere Generationen mit hoher Wahrscheinlichkeit vergebens im Geschichtsbuch suchen werden, wird im Deutschland des Jahres 2025 eifriger diskutiert als jede Hiobsbotschaft aus der Wirtschaft, jede angekündigte Werksschließung und jeder missglückte Versuch des CDU-Chefs, sich aus der Umklammerung von SPD, Grünen und Linke freizumachen. Merz würde gern. Aber er kann nicht, weil es Mehrheiten für jedwede Art Reform nur dort gibt, wo er sie nicht suchen und nicht nutzen kann.
Nichts gemein mit dem Feind
Nichts habe man gemein, betonte Merz schon vor dem Strategietreffen mit den übrigen CDU-Großkopferten, auf dem angespannte Lage besprochen und Abwehrmaßnahmen beschlossen werden sollte. Viel zu entscheiden gab es nicht. Um gar nicht erst fruchtlose Diskussionen aufkommen zu lassen, hatte Merz schon vorab in einer Rede seine Sichtweise als alternativlos festgelegt.
Aus seinem "Ignorieren und zu glauben, sie würde auf Dauer wieder verschwinden, hat erkennbar nicht funktioniert" ist eine Kriegserklärung geworden. Die AfD sei - soweit sind die Strategen der Union bereit gekommen - der "wahrscheinliche" politische "Hauptgegner". Deshalb werde man sich mit der Partei "auch inhaltlich sehr viel klarer auseinandersetzen", kündigten Merz und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann an.
Die Ankündigung, das gelte "für die kommenden Jahre", zeigt deutlich, dass die Chefetage der Union nicht an einen schnellen Erfolg glaubt. Schon im März wählen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ihre Landesparlamente. Dazwischen, als wäre das nicht schlimm genug, gibt es auch noch Kommunalwahlen in Bayern und Hessen. Kurze Sommerpause, dann folgen die Klatschen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg und schon heute in einem Jahr könnte Merzens Vorhersage eintreffen, dass es keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD gebe. "Jedenfalls nicht unter mir als den Parteivorsitzenden der CDU Deutschlands."
Die "ersten Signale"
Dass viele Menschen die "ersten Signale", die Merz mit seiner Körpergröße von 1,98 Metern schon sehen kann, mangelnden Überblicks wegen nicht wahrnehmen, ist ein Problem. Auch Vizekanzler Lars Klingbeil hatte die Leute draußen im Lande schon beschuldigt, mit ihrer schlechten Laune alles kaputtzumachen, was die Koalition an Aufschwung organisiere.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der die Übernahme eines Ministeramtes unter Friedrich Merz Gerüchten im politischen Berlin zufolge abgelehnt hatte, um sich für später aufzusparen, hat sich dem jetzt angeschlossen. Man wolle ein "positives Deutschlandbild", sagte er. Wenn alle einfach mal mitmachen, statt immer zu schimpfen, dann wird das alles bis dahin.
Deutschland-, statt Stadtbild
Deutschland-, statt Stadtbild. Der Kanzler ist da komplett furchtlos, obwohl in den urbanen Zentren schon erste Demonstrationen stattfinden, auf denen sich Großmütter aus dem Bildungsbürgertum, der progressive Nachwuchs von Klimabewegten und Hamas-Unterstützern mit den hauptberuflichen Protestanten von 551 NGOs den Stadtbildbegriff kulturell anzueignen versuchen.
Auf X warnte das mächtige "Zentrum für Politische Schönheit", eigenen Angaben zufolge die "einzige von Björn Höcke anerkannte Terrorbewegung", was mit einer CDU geschehen würde, "sollte sie jemals mit dem Rechtsextremismus paktieren wollen". Sie würde aus allen Ämtern geworfen von Menschen, die auf die Straßen gingen. "Sie sind eine gesellschaftliche Brandmauer, die stärker ist."
Sturm aufs Kanzleramt
Als was, das erläutert das Zentrum nicht. Auch grundlegende demokratietheoretischen Erwägungen bleiben außen vor. Wird die Macht der Straße ähnliche Ausmaße annehmen wie beim Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021? Oder bleibt es bei einem "Vorfall" wie beim Sturm auf den Reichstag in Berlin im 29. August 2020, als die süddeutsche Heilpraktikerin Tamara K. einen 400-köpfigen Mob zum Parlament lotste, um das "Herz unserer Demokratie" mit einem "aufwieglerischen Landfriedensbruch" aus dem Takt zu bringen.
Alle Hoffnungen, die der Mann aus dem Münsterland noch haben kann, richtet sich darauf, dass trotzdem irgendwie klappen wird, wenn sich bis zu den gefürchteten Landtagswahlen im kommenden Jahr nichts ändert. Im Osten wird es knapp, aber das war es bei der Bundestagswahl auch.
"Wir wollen bei allen diesen Wahlen und können bei allen diesen Wahlen die stärkste politische Kraft in diesem Land bleiben", hat Merz seine Zuversicht ohne jede Begründung in den Raum gestellt. Im Grunde sei doch alles klar: "Wenn wir gemeinsam erfolgreich regieren, dann wird es keine sogenannte Alternative für Deutschland mehr brauchen."
Ehrenwertes Ergebnis
Als Ergebnis einer zweitägigen Strategieklausur der wichtigsten CDU-Vertretern zur Frage, wie man mit der stärker geworden AfD umgehen soll, ist das aller Ehren wert. An die Stelle der Brandmauer, als deren Erfinder der damalige CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer gilt, der sich den Begriff von der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) hatte drechseln lassen, tritt die Behauptung, "Brandmauer" sei nie Sprachgebrauch der Union gewesen.
Bei Merz ist es, ein paar Tage vor der Zeitumstellung, wieder das Jahr 2019. Damals, im Kanzleramt saß noch seine Endgegnerin Angela Merkel, war ihm die Methode klar, mit der sich die Blauen halbieren lassen würden. "Es muss eine ganz klare und messerscharfe Abgrenzung zum politischen Extremismus geben", sagt Merz, denn "je unaufgeregter man mit diesen Leuten in den Parlamenten umgeht, desto schneller werden sich ihre Wahlerfolge auch wieder reduzieren."
Ein echter Coup
Also Aufregung beiseite. Politik als Sprechakt: Mit dem Kurswechsel, die AfD jetzt "inhaltlich zu stellen" und "politisch zu bekämpfen", ist Merz ein echter Coup gelungen. Der "Versuch einer produktiven Auseinandersetzung", in einer aktuellen Studie von der parteieigenen Konrad-Adenauer-Stiftung namens "Zwischen Abgrenzung, Einbindung und Tolerierung" als eine Alternative zur Ausgrenzung aufgezählt, gilt als noch am meisten erfolgversprechendstes Konzept unter allen anderen gescheiterten Ansätzen.
Weder konsequente Abgrenzung noch Tolerierungsmodelle noch Kooperation
oder Einbindung in Regierungsverantwortung hätten anderswo etwas gebracht, führen die parteieigenen Forscher aus. Produktive Auseinandersetzung auch nicht. Aber irgendwann und irgendwo ist immer das erste Mal.
Neue Alternative für Deutschland
Merz und Linnemann wollen "Weiße-Flecken-Kommissionen" schaffen und mit denen reden, die ihnen nicht vertrauen. Es wäre Zufall, wenn sie unterwegs nicht auf die Grünen treffen würden, die im Osten auch schon seit dem Sommer so rührig sind, dass der ganze Parteitroß sich neulich sogar ganz kurz mal in Wittenberg traf. Gemeinsam ist beiden Parteien zudem, dass sie im Gegensatz zur Alternative für Deutschland nicht "unser Land grundsätzlich in Frage" stellen, wie Friedrich Merz den Gegensatz auf den Punkt bringt. Die einen leben von den Problemen, die anderen herbeiregiert haben.
Aber der CDU-Chef hat einen Punkt, wenn er auf die Erfolge verweist, die das Land so lange hatte, dass es sich heute eine Insolvenzquote leisten kann, die um 64 Prozent über der der Vor-Corona-Jahre liegt, ohne dass sich deshalb jemand ernsthaft Sorgen macht. Das "Stadtbild" hält alle Aufmerksamkeit gefangen.
Der Systemfeind
"Die AfD ist der Systemfeind", hat CSU-Chef Markus Söder der großen Parteischwester mit einer weiteren neuen Kampfvokabel aus der Bundesworthülsenfabrik assistiert. Es handele sich um eine "rechtsextreme Kaderpartei, sie ist moskautreu und will autoritäre Strukturen in unserem Land etablieren". Söder ist dagegen, denn "das würde unsere demokratische Kultur grundlegend verändern und unser Land spalten."
Die Union sei das Bollwerk gegen die "antidemokratischen Bestrebungen der AfD", die sich anschickt, demokratische Wahlen reihenweise zu gewinnen. Was bliebe den Verlierern bei Union dann? Friedrich Merz will es "nach der Wahl" entscheiden." Söder sagt: "Jeder, der meint, man könne mit der AfD in irgendeiner Form zusammenarbeiten, irrt sich."
Merz, ein Mann des gespbrochenen Wortes, hat es nicht zurückgenommen - eine Premiere für den 69-Jährigen. Jetzt, wo er die AfD zum Hauptgegner seiner Partei erklärt hat, kann er sie behandeln wie jede andere politische Konkurrenz auch. Die Union werde "wirklich eine Alternative für Deutschland", hatte Friedrich Merz vor zwei Jahren gesagt. Aber eine "mit Substanz".
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