Donnerstag, 2. Oktober 2025

Ignorierte Grundwerte: Wie mit Sprachtestes diskriminiert wird


Es waren nur ganz wenige, kaum der Rede wert. Zwar hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Betrügereien bei den vorgeschriebenen Sprachtests vor der Einbürgerung Nochnichtsolangehierlebender bestätigt. Doch schon  die Wortwahl rückte die Dimension des Problems ins richtige Maß zurück. Es gebe "Betrugsversuche bei Sprachzertifikaten", gab die Behörde bekannt. Betrug also gab es nicht - kein Grund zur Beunruhigung. Die Lage ist unter Kontrolle. Die Aufregung, die rechte Blätter und Kommentatoren im Netz mit klarer Zweckbindung geschürt hatten, war völlig übertrieben.

Hochentwickelte Willkommenskultur

Dass selbst seriöse Politiker aus Parteien der demokratischen Mitte angesichts der vermeintlichen Gefahr, dass Ausländer die deutsche Staatsbürgerschaft mit gefälschten Sprachzertifikaten erlangt haben könnten, eine Kontrolle bereits abgeschlossener Einbürgerungen forderten, passt allerdings in die Zeit. Deutschland, das seinen historisch gewachsenen schlechten Ruf durch seine hochentwickelte Willkommenskultur hatte kräftig aufpolieren können, ist heute längst nicht mehr das Land, das die frühere Kanzlerin Angela Merkel einst stolz als das mit dem "freundlichen Gesicht" bezeichnet hatte. 

Statt sich über den anhaltenden Zustrom meist junger, kräftiger Geflüchteter zu freuen, die allein es schaffen können, die nur noch auf einer dünnen Spitze balancierende Alterspyramide zu stabilisieren, herrscht Ärger über jeden, der kommt. Und die offenen Arme, die die Verfolgten aus aller Herren Länder noch vor zehn Jahren begrüßten, haben sich in Bürokratengreifer verwandelt, die jedem, der bleiben will, vor der Einbürgerung eben einen solchen Sprachtest abnötigen.

Bezeichnende Lage 

Bezeichnend für die Lage im Land zehn Jahre nach der Öffnung der Grenzen, von der Barack Obama später aus lauter Unkenntnis über die europäischen Verhältnisse sprach, ist die Reaktion auf die hier und da vermuteten Geschäfte mit gefälschten Sprachkundenachweisen. Nicht nur die AfD witterte massenhaften Betrug bei den Sprachtests, sondern auch Regierungsvertreter zeigten sich entsetzt, nachdem einige wenige tausend Fälle bekannt geworden, in denen Betrüger Sprachzertifikate für Einbürgerungen gefälscht und online angeboten haben sollen. 

Die Polizei ermittelte. Die Medien empörten sich. Die politischen Parteien riefen nach härteren Maßnahmen und strengerer Prüfung. Selbst die Illustrierte "Stern" beklagte, dass Betrüger für die vermeintlichen Zertifikate zwischen 750 Euro und 2.700 Euro verlangten - viel Geld für Menschen, die mit nichts nach Deutschland gekommen sind und wegen mangelnder Sprachkenntnisse oft noch immer keinen Vollzeitjob gefunden haben.

Ignoriertes Grundrecht 

Auffallend dabei ist: Die gesetzliche Regelung, die den Geschäftemachern erst Tür und Tor für ihre dunklen Machenschaften liefert, wird von keiner Seite infrage gestellt. Obwohl das Grundgesetz in seinem Artikel 3 Abs. 1 einen Gleichheitsgedanken festlegt, der schlicht lautet "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", hat es dem Gesetzgeber gefallen, mit der Zertifikatepflicht eine Vorschrift einzuführen, die dieses Prinzip demonstrativ ad absurdum führt.

Kein in Deutschland geborener Mensch wird vom Staat verpflichtet, Prüfungen absolvieren, um sich seine Sprachkenntnisse mit einem "Zertifikat" genannten Zeugnis bestätigen zu lassen. Nicht nur dass: Kein deutscher Staatsbürger ist überhaupt verpflichtet, auch nur ein einziges Wort Deutsch sprechen zu können. Natürlich darf jeder zur Amtssprache greifen, wenn er sich verständlich machen möchte. Aber ebenso selbstverständlich darf jeder versuchen, sich mit einer anderen Sprache seiner Wahl zu behelfen.

Die lingua franca der Deutschen 

In modernen, vielfältigen und bunten Metropolen wie Berlin oder Frankfurt ist es oft das Englische, das als lingua franca die Funktion übernimmt, als gemeinsame Verkehrssprache eine Kommunikation von Sprechern unterschiedlicher Muttersprachen und Dialekte zu ermöglichen. Sachsen, Hessen und Polen, Bayern, Dänen und im Wedding geborene Alt-Berliner zeigen in hippen Kaffeeshops und Weinrestaurants, dass Deutschland nicht mehr das Land der Knobelbecher und des preußischen Kasernenhofgebrülls ist, in dem jeder Fremde verloren ist, wenn er sein Anliegen nicht in korrekter deutscher Grammatik formulieren. 

Es ist der Staat, der sich dem Trend entgegenstellt. "Sprache ist der Schlüssel zur Integration", behaupten die Ewiggestrigen und was sie meinen, ist nicht etwa, dass ein Mensch sprechen können sollte, sondern dass er gefälligst Deutsch zu sprechen habe. Die von der SPD unterhaltene Friedrich-Ebert-Stiftung hat sogar Aydan Özoğuz, ehemals Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, gewonnen, um die krude These von der angeblich überall in Deutschland vorgeschriebenen Einheitssprache in einer sich wissenschaftlich gebenden Studie zu verbreiten. 

Sprache als Kompetenz 

Mit der Behauptung, "Sprache sei eine Kompetenz, um dazuzugehören", vertritt die frühere Staatsministerin dort genau die schräge Auffassung, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes noch rundheraus abgelehnt hatten. Sie verzichteten auf eine Festlegung der deutschen Sprache als Amtssprache oder Landessprache, weil sie überzeugt waren, dass jeder sprechen solle, "wie ihm der Schnabel gewachsen" (Niederdeutsches Sprichwort). Verständnis  untereinander, für den Nächsten und die gesamte Gesellschaft werde nicht durch eine bestimmte Sprache begründet, sondern durch gegenseitige Rücksichtnahme, Respekt und die Bereitschaft, zuzuhören.

Siebeneinhalb Jahrzehnte später leben diese Bereitschaft Millionen Menschen jeden Tag, wenn sie zur Schule gehen und in drei, vier oder fünf Sprachen mit ihren Klassenkameraden oder Schülern kommunizieren, wenn sie Bus und Bahn benutzen und sich in einem babylonischen Sprachgewirr wiederfinden. Es sind Politiker und Behörden, die ihren Hang zum Hineinregieren ins Private, zu Prüfung, Kontrolle und Bestrafung nicht zügeln können. 

Gleiches wird nicht gleich behandelt 

Mit den willkürlichen Kategorien Muttersprache und Herkunftssprache und Vorschriften zur Prüfung von Sprachfähigkeiten als Voraussetzung zur Verleihung der Staatsbürgerschaft eines Landes, das weder eine gesetzliche Landessprache noch einen gesetzliche vorgeschriebenen Grundwortschatz für seine  Bürger kennt, verletzt der Staat selbst die ihm vom Grundgesetz auferlegten Vorgaben: Gleiches wird nicht gleich behandelt, Menschen werden einsortiert in Kategorien, für die unterschiedliche Regeln gelten. 

Der Sohn eines Ehepaares mit deutscher Staatsbürgerschaft wird niemals einen Sprachlehrgang machen und ein echtes oder falsches Zertifikate zum Nachweis seiner Deutschkenntnisse vorlegen müssen, selbst wenn er keinen einzigen geraden Satz formulieren kann. Zugezogene hingegen, Aydan Özoğuz nennt sie Gewanderte, müssen es sich gefallen lassen, auf diese Weise als Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden. Und alles, was den Oppositionsparteien, den engagierten Nichtregierungsorganisationen und den großen Medienhäusern dazu einfällt, sind Schlagzeilen darüber, dass womöglich ein Problem existiert, es aber nicht sehr schlimm ist und Hilfe bereits unterwegs.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Der Genetiv ist den Akkusativ sein Feind.